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Solothurn-Basel: Die Achse der Literatur

Peter Bichsel beschliesst mit einer fulminanten Lesung die Solothurner Literaturtage 2005. swissinfo.ch

Basel mutierte am Auffahrtswochenende zu Klein-Frankfurt, Solothurn blieb das Mekka der Literaturliebhaber.

Trubel und Messerummel in den Hallen der Messe Basel standen den Veranstaltungen in den kleinräumigen, gemütlichen Sälen im und ums Solothurner Landhaus gegenüber.

Konkurrenzieren sich die Solothurner Literaturtage und die BuchBasel? Nein!

In Solothurn lässt sich hautnah miterleben, wie Literatur entsteht, wie sich Autorinnen und Autoren intensiv mit ihrem Metier auseinandersetzen, wie Leser für kurze Zeit zu Hörern werden.

Literatur ist ein Geschäft – das ist in Basel allgegenwärtig. Die drittgrösste deutschsprachige Literaturmesse hinter Frankfurt und Leipzig ist dazu da, Geschäfte zu machen, Produkte zu verkaufen. Denn trotz Buchpreisbindung ist die Literatur ein Produkt wie eine Uhr, ein Schwedenofen oder ein Computer-Netzwerk.

Stars als Promotoren

Der Verkauf steht im Vordergrund, Business, Trubel, Menschentrauben, Wettbewerbe, Gedränge. Hier diskutiert Ex-Fernsehmoderator Charles Clerc mit bekannten Übersetzerinnen unter dem Schirm von Pro Helvetia, eingehüllt in einen Messegeräuschteppich, während Kinder laut nach dem Buch «Der kleine Eisbär» schreien.

Da können Starautoren und –autorinnen wie James Salter (Ein Spiel und ein Zeitvertreib), Eric-Emmanuel Schmitt (Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran), der Schriftsteller und Journalist Hellmuth Karasek, Leila Marouane (Entführer), interessant lesen oder diskutieren. Sie gehen unter in der Brandung der Messebesucher – optisch wie akustisch.

Wohltuende Ausnahme von der Regel

Und dann, mitten im Hochglanzprospekt-Rummel, ein Kleinstverlag nach dem Motto: «Jute statt Plastik». Die Katzengraben-Presse aus Berlin Köpenick. Bücher, teilweise von Hand geschrieben, oder sonst nach gutenbergischer Art in Blei gesetzt, handgebunden, als Markenzeichen ein Faden.

Zitat aus dem Verlagsprospekt: «Ein Faden zieht sich seit den siebziger Jahren durch hand-geschriebene Bücher, die nur so entstehen konnten, weil gedruckt im ehemaligen und später untergegangenen anderen deutschen Land nicht erscheinen durften.»

Aus dieser Not machte Christian Ewald eine Tugend. Zweimal jährlich, im Frühling und im Herbst, erscheint je ein Buch, eine deutsche, manchmal zweisprachige Erstausgabe – handverlesen.

Die Auflage dieser bibliophilen Schmuckstücke ist streng auf 999 Exemplare begrenzt, eine zweite Auflage gibt es nicht. Ewald gestaltet seine Bücher für Sammler und für Menschen, für die das Berühren eines handgemachten Buches ein sinnliches Erlebnis ist.

Kontrast

Ohne die Zwangspause der dreiviertelstündigen Busfahrt mit dem zwischen Solothurn und Basel verkehrenden Literatur-Shuttlebus wäre der Kontrast der beiden Veranstaltungen kaum auszuhalten.

Klar herrscht in Solothurn auch ein grosses Gedränge, zusätzliche Stühle müssen verteilt werden, um der grossen Nachfrage nach den Stars wie Milena Moser oder Lukas Hartmann gerecht zu werden.

Doch diese Bewegung, Aufregung beschränkt sich auf die Zeiten des Saalwechsels. Die Lesungen und Diskussionen selbst sind von der Konzentration auf das Geschehen auf dem jeweiligen Podium geprägt. Kein Messestrom stört hier die Aufmerksamkeit.

Grosse Themen

In Solothurn können die grossen Themen wie Lüge und Verrat , Erinnerung und Lüge auf einem ihnen gebührenden Niveau stattfinden.

Da unterhalten sich vier spanischsprachige Welt-Literatur-Stars über ihre An- und Einsichten zum Thema Lüge und Verrat. Sind das wichtige Werkzeuge der Literatur, weil sie zur Grundausstattung der menschlichen Natur gehören?

Der Argentinier Tomàs Eloy Martìnez zitiert Faulkner, welcher der Ansicht war, dass der Künstler nur seinem Werk verantwortlich sei. Ein «echter» Literat nehme sein Werk gar wichtiger als sich selbst. Ehre, Sicherheit, Beziehungen müssten zurücktreten.

Als krasses Beispiel führt Martìnez den amerikanischen Schriftsteller Truman Capote an. Dieser sagte, er stehle, bettle, mache alles, um an sein Ziel zu kommen. Und all dies setzte Capote in den 50er-Jahren bei einem Interview mit Marlon Brando ein, um zu intimen Informationen zu kommen und diese auch zu veröffentlichen. Folge: Riesenskandal, Prozess.

Moral und Integrität

«Es spielt keine Rolle, ob der Autor moralisch integer ist oder nicht», findet der Argentinier Juan José Saer. Für die Literatur an sich habe das keine Bedeutung.

Saers These: «Die einzige Wahrheit findet sich in der Fiktion. Und nur dort findet man die Wahrheit, nicht in der Realität.»

«Ohne Lüge geht es nicht,» sagt auch die Uruguayanerin Carmen Posada. Dies sei jedoch nicht verwerflich. Sie erfinde, was sie gehört oder aufgeschnappt habe neu und mache etwas Neues daraus.

Wahrheit hinter der Lüge aufdecken

Carlos Ruiz Zaf’ón, Schöpfer des Bestsellers «Der Schatten des Windes», glaubt, Literatur müsse keine moralische Wirklichkeit reflektieren. Sogar die Sprache selbst sei eine Interpretation der Wirklichkeit.

Für Ruìz sollte die Literatur die Wahrheit hinter der Lüge aufdecken.

Lüge und Verrat – ein grosses Thema, von grossen Schriftstellern diskutiert, auf Spanisch, einer wunderbaren, melodiösen Sprache, der man sehr gerne lauscht.

Irgendwann blitzt jedoch die Erkenntnis auf, verführt zu werden von dieser reichen Sprache. Und nach dem Tiefgang befragt, zeigen sich manche Hörer, die eben auch Leser sind, ein wenig enttäuscht, dass dieses Thema nicht profunder behandelt wurde.

Literatur satt

Der noch junge Monat Mai ist geprägt durch die Literatur. Was mit der internationalen Buchmesse in Genf begonnen hat, wird mit der BuchBasel und den Solothurner Literaturtagen weitergeführt.

Diese Massierung ist zu stark, das müsste nicht sein. Eine bessere Abstimmung wäre der Literatur sicher dienlich.

swissinfo, Etienne Strebel, Solothurn und Basel

Buch Basel:
270 Autoren, Schauspieler, Musiker und Moderatoren
405 Verlage aus dem deutschsprachigen Raum und Frankreich
Kinder- und Jugendliteraturfestival
Comicfestival

Solothurner Literaturtage:
68 Autoren
62 Lesungen und Veranstaltungen

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