Späte Rettung für Monte-Verità-Erbe
Die berühmte Ausstellung von Harald Szeemann über die Geschichte des Monte Verità in Ascona wird wegen der anstehenden Restauration abgebaut. Noch ist unklar, wann und wie sie wieder zu sehen sein wird.
«Die letzten Tage für die Casa Anatta» betitelte die Stiftung Monte Verità ob Ascona dieser Tage eine Medienmitteilung. Und inzwischen verbleiben sogar nur noch wenige Stunden. Am 2.November wird das Museum geschlossen, um eine aufwändige Restaurierung des historischen Hauses in die Wege zu leiten.
Diese Restaurierung ist bitter nötig. Denn der Zustand der Casa Anatta ist erbärmlich – so erbärmlich, dass sogar die Frankfurter Allgemeine Zeitung darüber berichtete. Teilweise regnet es durchs Dach.
Darunter haben nicht nur Struktur und Substanz des 1904 erstellten Holzgebäudes gelitten, sondern auch die Exponate, mit welcher der 2005 verstorbene Berner Ausstellungsmacher Harald Szeemann die Gründerzeit und Geschichte des Monte Verità eindrucksvoll dokumentierte.
Die Ausstellung «Monte Verità – Die Brüste der Wahrheit», 1978 zuerst in Ascona, dann in Zürich, Berlin, Wien und München gezeigt, gehört wie die «Junggesellenmaschinen» zu Szeemanns legendär originellen Kreationen.
Ruth Dreifuss hilft Geld sammeln
Die Stiftung Monte Verità rechnet mittlerweile mit Kosten von 4 Mio. Franken, die zur Restaurierung der Casa Anatta nötig sind. Kritiker halten dieses Budget für überrissen, bei der Stiftung verweist man auf die komplizierte Sanierung des Gebäudes.
Das grösste Problem ist allerdings ein anderes: Niemand weiss so genau, wo dieser enorme Betrag herkommen soll. Mit Sicherheit wird der Kanton als Besitzer etwas einschiessen. Grosse Hoffnung setzt man aber auf eine Gruppe von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, darunter der langjährige BAK-Direktor David Streiff und Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss, die helfen sollen, private Geldquellen zu erschliessen.
In einem ersten Schritt wird nun die Ausstellung abgebaut und genau inventarisiert. Damit wurde der Berner Historiker und Monte-Verità-Kenner Andreas Schwab beauftragt, wie Claudio Rossetti, Direktor der Stiftung Monte Verità, erklärt.
Notdach gegen Regen
Danach werden Facharchitekten eine genaue Bestandesaufnahme des Hauses machen und einen Arbeitsplan festlegen. Das Haus soll mit einem Notdach geschützt werden, um Schlimmeres zu verhindern.
Noch ungeklärt ist die Frage, in welcher Form die Szeemann-Ausstellung dereinst wieder zu sehen sein wird. Die Erbengemeinschaft, darunter Witwe Ingeborg Lüscher, geht davon aus, dass die Ausstellung identisch wieder aufgebaut wird, weil es sich um das das einzig erhaltene «Kunstwerk» Szeemanns handelt.
Lüscher verweist auf eine entsprechende Klausel im Kaufvertrag der Exponate zum Monte Verità, welche die gleichnamige Stiftung von der Erbengemeinschaft für fast eine Million Franken erworben hat.
Lebende Legende im Museum
Die Stiftung wiederum will die Ausstellung in ein neues Museumskonzept einbetten. Das letzte Wort in dieser Sache ist noch nicht gesprochen. Vorgesehen ist auf alle Fälle, im benachbarten «Russenhaus» eine kleine thematische Ausstellung zu Szeemanns Wirken zu inszenieren.
Eine Epoche geht jedenfalls zu Ende. Auch für Hetty Rogantini, die über 18 Jahre lang das kleine Museum und deren Besucher betreute. Sie ist Tochter von Alessandro Guglielmo De Beauclair, dem ersten Sekretär von Henri Oedenkoven, der einst die vegetarische Kolonie gründete.
Damit verkörperte Hetty Rogantini wie keine andere Person die Tradition des Monte Verità. Jetzt müssen sich Monte-Verità-Pilger in Geduld üben. Die Wiedereröffnung der Casa Anatta dürfte kaum vor dem Jahr 2011 erfolgen.
Gerhard Lob, Ascona
Der Monte Verità oberhalb von Ascona war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Fluchtort für Aussteiger und später die Geburtsstätte für viele künstlerische und soziale Bewegungen. Er wurde vor allem von Deutschsprachigen frequentiert.
Der Kanton Tessin erbte den Monte Verità 1964 und machte daraus gegen Ende des 20. Jahrhunderts in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich ein wissenschaftliches Seminarzentrum.
Die Stiftung Monte Verità hat sich entschieden, die Idee eines «Hügels der Utopien» zu erneuern, das Zentrum als Ort der Kultur, Reflexion und Gastronomie zu positionieren und damit auch das italienischsprachige, einheimische Publikum anzuziehen.
Die Aufarbeitung der Geschichte des Monte Verità verdankt sich dem Ausstellungsmacher Harald Szeemann (1933-2005).
1900: Aussteiger aus Belgien und Deutschland gründen auf dem Monte Verità eine «vegetabilische Cooperative»
1926: Übernahme des Monte Verità durch Baron Eduard von der Heydt
1964: Monte Verità geht an den Kanton Tessin über
1989: Centro Stefano Franscini der ETH führt erste Seminare durch
2000: 100-Jahr-Jubiläumskongress Monte Verità
Grösse des Parks: 70’000 Quadratmeter
Jahresbudget Stiftung: 2,5 Mio. Franken; Angestellte: 25
Stiftungspräsident: Staatsrat Gabriele Gendotti (FDP)
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