Sprachpolitischer Lackmustest in Schaffhausen
Nur noch Englisch und kein Französisch mehr in der Primarschule: Am 26. Februar stimmt Schaffhausen über eine Volksinitiative mit politischem Zündstoff ab.
Abstimmungen in andern Deutschschweizer Kantonen stehen an. Entscheiden wird dereinst der Bund – zugunsten einer Landessprache?
Schaffhausen – das bedeutet für die Medien der französischsprachigen Schweiz gewöhnlich nicht mehr als «FC Schaffhouse». Jetzt ist es anders. Die Volksinitiative, welche de facto den Französischunterricht auf Stufe Primarschule zugunsten des Englischen abschaffen will, wirft auch im Westen der Schweiz Wellen.
Das Lausanner Boulevardblatt Le Matin warnt vor einem «Sprachenkrieg», die Genfer Zeitung Le Temps diagnostiziert ein so grosses Interesse am Ostschweizer Grenzkanton, wie «seit ewigen Zeiten» nicht mehr.
Kohäsion kontra Wirtschaft
Die Abstimmung in Schaffhausen ist landesweit die erste zur Frage der Anzahl Fremdsprachen in der Primarschule. In den Kantonen Zürich, Thurgau, Luzern und Zug sind analoge Begehren hängig.
Sie verlangen eine statt zwei Fremdsprachen in der Primarschule und favorisieren den Englischunterricht. Initiiert wurden die Initiativen von Lehrer- und Elternkreisen.
In Appenzell Innerhoden lernen die Primarschüler bereits seit 2001 ausschliesslich Englisch. Nidwalden wendet das Modell aufgrund eines Parlamentsbeschlusses seit dem laufenden Schuljahr an.
Lange Jahre war es ein ungeschriebenes Gesetz: Schweizer Schülerinnen und Schüler lernten als erste Fremdsprache eine Landessprache. Die nationale Kohäsion stand über anderen Interessen.
Das änderte sich in den 1990er-Jahren, als der Kanton Zürich Französisch durch Englisch ersetzte. Der damalige Erziehungsdirektor Ernst Buschor begründete das Vorprellen mit den Interessen der Wirtschaft.
Überforderung der Schüler?
Vor zwei Jahren einigten sich die kantonalen Erziehungsdirektoren nach langen Diskussionen auf einen Kompromiss. Demnach unterrichten die Primarschulen in der ganzen Schweiz zwei Fremdsprachen. Eine erste ab der 3., die zweite ab der 5. Klasse. Eine der beiden Sprachen muss eine Landesprache sein. Die Kantone entscheiden, mit welcher Sprache begonnen wird.
Die frankophonen Kantone, das Tessin, Graubünden, Bern und die Nordwestschweiz setzen das Konzept um, indem sie zuerst eine Landessprache unterrichten. Die Mehrheit der Deutschschweizer Kantone hingegen favorisieren Englisch.
Die Schaffhauser Volksinitiative verlangt, dass an der Primarschule nur eine Fremdsprache unterrichtet wird: Englisch. Mit zwei Fremdsprachen seien die Schüler überfordert, argumentieren die Initianten.
Oder der Lehrer?
Es sei merkwürdig, dass diese Diskussion ausgerechnet in der mehrsprachigen Schweiz und in keinem anderen europäischen Land stattfinde, sagt der Präsident der Erziehungsdirektoren-Konferenz, EDK, Hans Ulrich Stöckling: «Es geht primär um sich überfordert fühlende Lehrer und nicht um Schüler.»
In Schaffhausen gehen die Emotionen im Vorfeld der Abstimmung hoch, was sich vor allem in den Leserbriefen im Lokalblatt äussert. Beobachter prognostizieren einen äusserst knappen Ausgang der Abstimmung.
Die Regierung und auch das Kantonsparlament lehnen die Initiative ab. Sie befürchten Nachteile für Schaffhauser Kinder auf dem Arbeitsmarkt.
Die Parteien hingegen haben sich dafür ausgesprochen. Einzig die Freisinnigen lehnen das Vorhaben ab. Deren Präsident Christian Heydecker befürchtet bei einem Ja an der Urne, «dass sich der Röstigraben in eine Festungsmauer verwandelt.»
Mehr Kompetenzen für den Bund?
Doch selbst bei einem Ja ist nicht klar, dass die Initiative im Kanton Schaffhausen auch umgesetzt wird. Am 21. Mai stimmt das Schweizer Stimmvolk über den – kaum umstrittenen – revidierten Bildungsartikel in der Bundesverfassung ab.
Dieser wird dem Bund die Kompetenz geben, in Schulfragen einzuschreiten und das Konzept der Erziehungsdirektoren-Konferenz mit zwei Fremdsprachen umzusetzen. Zur Zeit liegt die Schulhoheit noch bei den Kantonen.
Vieles deutet zudem darauf hin, dass im neuen nationalen Sprachengesetz eine Landesprache als erste Fremdsprache festgeschrieben wird.
swissinfo, Andreas Keiser
«Für das Schulwesen sind die Kantone zuständig.» – So lautet der Artikel 62 der Bundesverfassung (Grundgesetz).
Das hat zur Folge, dass die viersprachige Schweiz 26 unterschiedliche Schul-Systeme kennt.
Nicht nur das Erlernen von Fremdsprachen, sondern auch Schulrhythmen (Schulbeginn, Dauer, Ferien, Tageszeiten), Lehrpläne und Bildungsziele variieren von Kanton zu Kanton.
Am 21. Mai stimmt das Schweizer Volk über den neuen Bildungsartikel ab. Dieser gibt dem Bund mehr Kompetenzen.
Die EDK will mit dem Projekt HarmoS das Schulwesen in der Schweiz harmonisieren und so Mobilitäts-Hindernisse abbauen.
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