Sprachtest für Einbürgerungswillige
Ostermundigen ist die erste Schweizer Gemeinde, die für Einbürgerungs-Kandidaten schriftliche Sprachtests einführt.
Laut Befürwortern verbessern diese Tests die Integration. Kritiker sprechen allerdings von einer möglichen Diskriminierung.
«Wir haben rund 22 Prozent Ausländer in unserer Stadt», sagt Ursula Norton, Gemeinderätin von Ostermundigen im Kanton Bern. «Im Gespräch mit Einbürgerungs-Kandidatinnen und –kandidaten stellten wir oft fest, dass ihre Deutschkenntnisse sehr schlecht waren.»
«Wir wollten etwas für die Eingliederung tun und beschlossen, bei der Sprache zu beginnen», erklärt das Ostermundiger Regierungsmitglied gegenüber swissinfo.
Lokale Autonomie
In der Schweiz müssen Ausländer, die sich einbürgern lassen wollen, bei ihrer Wohngemeinde ein Gesuch einreichen. Das Verfahren findet also auf lokaler Ebene statt.
Das bedeutet, dass die Gemeinden bei der Bestimmung der Einbürgerungs-Kriterien viel Freiheit geniessen.
Der neue Sprachtest wurde in Zusammenarbeit mit der Migros-Klubschule entwickelt. Die Sprachkenntnisse werden anhand eines Multiple-Choice-Tests in der deutschen Schriftsprache geprüft.
Auch wenn der Test nicht sehr schwierig ist, wird diese Methode dennoch kritisiert. Laut der Ethnologin Stefanie Gass könnten schriftliche Tests zu einer Ungleichbehandlung von Kandidaten führen.
«Einwanderer sprechen nicht ungenügend oder gar kein Deutsch, weil sie nicht wollen, sondern weil ihnen die Gelegenheit dazu fehlt», betont Gass im Gespräch mit swissinfo.
«Häufig sind sie einfach zu Hause mit ihren Kindern oder putzen abends leere Büros. Somit fehlt ihnen die Gelegenheit, Deutsch zu praktizieren.»
Gass kritisiert auch, dass der obligatorische Sprachtest dann zum Zuge kommt, wenn eine Ausländerin oder ein Ausländer das Bürgerrecht erwerben will.
«Man muss 12 Jahre in der Schweiz gelebt haben, bevor man das Gesuch stellen kann», erklärt sie. «Wir sollten also fragen, was diese Leute in den vergangenen 12 Jahren getan haben; hatten sie die Möglichkeit, Sprachkurse zu besuchen?»
Missglückte Integration?
In Ostermundigen können Einbürgerungs-Kandidaten Sprachkurse besuchen, müssen diese allerdings selber berappen. Die Gemeinde übernimmt jedoch die Hälfte der Kosten, wenn der Kursteilnehmer mindestens 80 Prozent der Lektionen besucht hat.
Für Ursula Norton ist jedoch klar, dass die Integrations-Bemühungen in den Anfängen des Aufenthalts in der Schweiz verbessert werden könnten.
«Wenn sie ankommen, werden sie schriftlich informiert und erhalten einige Angaben über unsere Gemeinde. Wenn sie mehr wissen wollen, müssen sie hier oder dort nachfragen.»
Leben in der Schweiz
Der Besuch in einem Ostermundiger Sprachkurs ist eine interessante Erfahrung: Schnell wird klar, dass nebst der Sprache auch Schweizer Kultur und Verhalten unterrichtet werden.
Gearbeitet wird mit dem Lehrmittel «Das Leben in der Schweiz». Auf einer Zeichnung sind zum Beispiel zwei Kinder zu sehen: das eine sitzt ruhig in einer Ecke, das andere wirft Bauklötze in die Höhe.
Das erste Kind beschreiben die meisten Schülerinnen als «ruhig». Die Antwort lautet jedoch «gut». Beim zweiten Kind schlagen die Deutschlernenden «am spielen» vor. Die Lehrkraft korrigiert: «Ein Kind, das mit Klötzen um sich wirft, ist schlecht erzogen.»
«Ich bin aufgeregt wegen diesem Test», sagt Saibua Grädel aus Thailand. Ich weiss nicht, was sie mich fragen werden, was sie prüfen wollen. Und Deutsch ist eine sehr schwierige Sprache.»
Finanzen auf dem Prüfstand
Ihre Nervosität ist möglicherweise berechtigt. Denn Ostermundigen hat neben dem Sprachtest auch verfügt, dass Einbürgerungs-Kandidaten nicht hoch verschuldet sein sollen.
«Wenn jemand Schulden hat, kann er schwerlich Schweizer werden», sagt Norton. «Wenn jemand zum Beispiel einen Bankkredit für ein Auto hat, überprüfen wir die ‹Rückzahlungsmoral'».
Norton gibt allerdings zu, dass sie sich bei solchen Überprüfungen nicht ganz wohl fühlt. «Es geht um das Image der Schweiz: Ein Schweizer Bürger hat keine Schulden, macht nichts Illegales, was natürlich alles nicht stimmt.»
Auswahl-Kriterien
Den Behörden auf nationaler Ebene ist klar, dass es problematisch sein kann, wenn die Gemeinden ihre eigenen Kriterien festsetzen.
«Es liegt in der Kompetenz der Gemeinden», sagt Roland Schärer vom Bundesamt für Zuwanderung, Integration und Auswanderung.
«Die Kantone sind autonom, was zu ungleicher Behandlung führt. Ich würde ein einheitliches Einbürgerungs-Verfahren vorziehen – das wird jedoch noch Jahrzehnte dauern.»
Unterdessen lernen die Einbürgerungswilligen in Ostermundigen weiterhin fleissig für ihre Sprachtests. Dass sie dabei Deutsch lernen, ist positiv, sind lokale Sprachkenntnisse doch ein wichtiger Schlüssel zur Integration in einer neuen Heimat.
Die kritischen Stimmen jedoch bleiben. Sie vermuten, dass Ostermundigen und andere Gemeinden mit der Einführung von speziellen Anforderungen an die Kandidaten deren Zahl reduzieren wollen.
«Mir scheint das keine Vision einer Integration zu sein», sagt Gass. «Es handelt sich meiner Meinung nach eher um ein Auswahl-Verfahren.»
swissinfo, Imogen Foulkes
(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)
Die Einbürgerungs-Kriterien sind in der föderalistischen Schweiz sehr unterschiedlich. In der Stadt Bern werden Ausländer nach 12 Jahren mehr oder weniger automatisch eingebürgert.
In anderen Gemeinden müssen die Kandidatinnen und Kandidaten teils in ausführlichen Befragungen Auskunft über ihr Leben, ihre Arbeit, ihre finanzielle Situation und ihre Kenntnisse über die Schweiz geben.
In Berlin, der Hauptstadt Deutschlands, wurden vor zwei Jahren Sprachtests eingeführt. 80% der Kandidaten bestehen die Prüfung.
Laut Kritikern sollten schriftliche Tests nur angewendet werden, wenn die Kandidaten von einer Integrations-Politik profitieren konnten, wie beispielsweise Gratis-Sprachkurse.
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