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Aarau, leuchtendes Vorbild gegen die Zersiedelung

Wakker Preis / Aarau
Wolkenförmig: Die neue Überdachung beim Bahnhof Aarau. Keystone

Wie kann eine Stadt gegen wachsende Pendlerströme, Zubetonierung und verschandelte Landschaften kämpfen? Das von der restlichen Schweiz wenig beachtete Aarau erhält als "Vorbild für die innere Verdichtung" und dafür, dass die Identität der Wohnquartiere trotz Neubauten erhalten blieb, den Wakker-Preis 2014 des Schweizer Heimatschutzes.

Schnauze um Schnauze an einem Auspuff stehen die Autos auf der Einfallstrasse ins Stadtzentrum. Es ist früh am Morgen, die Pendler fahren zur Arbeit. Am Bahnhof steigen Passagiere aus und ein. Dahinter drehen sich die Baukräne. Aarau baut und wächst, die Wirtschaft boomt.

Aarau ist das Zentrum einer Agglomeration mit 80’000 Einwohnern, liegt im Dreieck Zürich, Basel, Bern, hat 20’000 Einwohner und 30’000 Arbeitsplätze. Das sei «eine landesweite Besonderheit und ein Missverhältnis», sagt Stadtbaumeister Felix Fuchs. «Deshalb sind wir seit Jahren bestrebt, zusätzlichen Wohnraum zu bauen.»

Mehr Wohnungen in der Stadt, das heisst weniger Pendlerverkehr in die Stadt, aber auch zusätzlicher Bedarf an Boden. Statt wie vielerorts in der Schweiz üblich Landwirtschaftsland, Naherholungsgebiete und andere Grünflächen in Bauland zu verwandeln, setzt Aarau seit rund 20 Jahren konsequent auf eine Begrenzung der besiedelten Gebiete, auf Verdichtung, die Erneuerung und Aufwertung bestehender Quartiere und auf die Umnutzung ehemaliger Gewerbe- und Industrieareale.

Kompakte, verdichtete Siedlungsräume sind ein Gebot der Stunde in einer Schweiz, die zusehends zubetoniert, mit einem Siedlungsbrei überzogen wird und unter Platznot und wachsenden Pendlerströmen leidet. Die Stadt setzt seit Jahren die Rahmenbedingungen des revidierten schweizerischen Raumplanungsgesetzes um, das die Stimmbürger 2013 mit grossem Mehr gutgeheissen haben und das seit dem 1. Mai 2014 in Kraft ist.

Dass Aarau bereits in einer Zeit, als der Boden im Land noch nicht so rar war wie heute, auf eine hohe Ausnützung gesetzt hat, zeigt die Hochhaussiedlung «Telli». Sie wurde zwischen 1970 und 1989 und schon damals verkehrsfrei gebaut.

Felix Fuchs ist seit 25 Jahren Stadtbaumeister Externer Linkund hat die Stadtentwicklung und die Transformation wesentlich mitgeprägt. 63-jährig, kommt er «langsam ans Ende der Amtsperiode», aber «jetzt werden noch wesentliche Eckpunkte der planerischen Bemühungen sichtbar», sagt er mit Blick auf Gebäude, die zurzeit im Bau sind oder kürzlich die Baubewilligung erhalten haben.

Ein zentral gelegenes, grosses Entwicklungsgebiet der Stadt ist das Torfeld Süd, eine grosse Industriebrache neben dem Bahnhof. Bis im Frühjahr 2013 stand am Eingang des Areals hier ein 12-stöckiges Hochhaus. Es wurde als erstes Hochhaus der Schweiz gesprengt: Die Besitzerin kam zum Schluss, dass ein Neubau günstiger kommt als eine Sanierung.

Ins Zentrum mit dem Fussball-Stadion

Jetzt, ein gutes Jahr später, stehen hier Baukräne. Ein neues Hochhaus wächst Stock um Stock und die nächste grosse Bauetappe auf dem Areal Torfeld Süd steht in den Startlöchern: Das neue Fussball-Stadion für den FC Aarau, mitsamt Einkaufszentrum, Multiplex-Kino und Wohnungen.

Der Standort mitten im Zentrum war lange Zeit umstritten und gab im Städtchen entsprechend zu reden. «Planerisch ist es vielleicht kühn, aber ein Stadion mit seiner Magnetwirkung gehört in den Stadtkörper rein und nicht auf die grüne Wiese am Stadtrand. Es ist Teil des öffentlichen Lebens und hier mit dem öffentlichen Verkehr viel besser zu erreichen», sagt Fuchs.

Wie in jeder Stadt stehen auch in Aarau etliche Bausünden. Um weitere zu verhindern, setzt Fuchs seit seinem Amtsantritt vor einem Vierteljahrhundert «überall, wo es geht und wo es sinnvoll ist», auf Architekturwettbewerbe. «Das kostet mehr Aufwand und mehr Denkanstrengungen, aber nach dem erfolgreichem Abschluss eines Bauprojektes habe ich nie jemanden gesehen, der gesagt hat, es habe sich nicht gelohnt».

Ruhige Wohnquartiere

Mit dem Hochhaus, dem Stadion, dem vor wenigen Jahren gebauten neuen Bahnhof und weiteren geplanten Wohn- und Geschäfts-Gebäuden ist rund um den Bahnhof ein neues, urbanes Aarau am entstehen. Südlich der Bahngeleise liegen die Gartenstadtquartiere. Es sind ruhige, inzwischen auch verkehrsberuhigte Wohnquartiere, die zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und der Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden sind.

Diese «durchgrünten» Quartiere seien «städtebaulich von nationaler Bedeutung», schreibt der Schweizer HeimatschutzExterner Link in seiner Begründung zur Vergabe des Wakker-Preises: «Um das Erscheinungsbild dieser Quartiere zu erhalten, nimmt die Stadt Aarau nicht nur Einfluss auf die Gestaltung der Gebäude, sondern hat auch erkannt, wie wichtig Umfriedungen, Bepflanzungen und Strassenräume für den Quartiercharakter sind.»

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Neu, verdichtet und dennoch in einer massstäblichen Grössenrelation zu den umliegenden Häusern: Wohnhäuser an der Ecke Augustin-Keller Strasse und Jurastrasse. Keystone

Wohnen in diesen Quartieren gilt als attraktiv. Entsprechend gross ist der Druck von Besitzern und Investoren auf Neu-, Erweiterungs- und Umbauten. Die Stadt stehe hier «beratend zur Seite» und verfolge das Ziel, dass Neubauten «in einer massstäblichen Art in das bestehende Siedlungsgefüge eingepasst» würden, sagt Fuchs und räumt ein, es habe «auch Unglücke», also Neubauten gegeben, die nicht in die Umgebung passten, weil sie beispielsweise zu gross ausgefallen oder von zu viel asphaltierten Parkplätzen umgeben seien. «Aber anhand von einzelnen verunglückten Situationen ist auch die Bevölkerung darauf sensibilisiert worden, dass man bei Neubauten sorgfältig vorgehen muss.»

Die Altstadt wurde in den vergangenen Jahre saniert, herausgeputzt und vom Privatverkehr befreit. Der Stadtbach fliesst nicht mehr unterirdisch, er ist nun genauso Bestandteil des Stadtbildes wie das erneuerte Kopfsteinpflaster. Aarau hat sich gewandelt, ist gewachsen, ohne die Freiräume und Grünflächen anzutasten.

Vom Rest der Schweiz wird Aarau jedoch immer noch kaum als attraktive Stadt wahrgenommen. Fuchs erklärt das auch mit dem Sog der grossen Zentren Zürich und Basel, von denen Aarau lediglich je weniger als 40 Kilometer entfernt ist: «Die Stadt stellt ihr Licht immer unter den Scheffel. Warum ist für mich bis heute nicht erklärbar. Es gibt viel Selbstkritik und Genörgel. Vielleicht trägt der Wakker-Preis dazu bei, das ein anderes Selbstbewusstsein entsteht.»

Wakker-Preis

Der Schweizer Heimatschutz (SHS) vergibt jährlich einer politischen Gemeinde den Wakkerpreis. Aarau erhält den Preis 2014 am 28. Juni.

Der Wakkerpreis zeichnet Gemeinden aus, welche bezüglich Ortsbild- und Siedlungsentwicklung besondere Leistungen vorzeigen können.

Das Preisgeld hat mit 20’000 Franken eher symbolischen Charakter, der Wert der Auszeichnung liegt in der öffentlichen Anerkennung vorbildlicher Leistung.

Erstmals ermöglicht wurde der Wakkerpreis 1972 durch ein Vermächtnis des Genfer Geschäftsmannes Henri-Louis Wakker an den Schweizer Heimatschutz. Weitere seither eingegangene Legate erlauben es dem SHS, den Preis bis heute vergeben zu können.

 Die Auszeichnung von Stein am Rhein, Guarda, Ernen etc. in den 1970er-Jahren erfolgte vor dem Hintergrund, dass die Erhaltung historischer Zentren nicht selbstverständlich war.

Im heutigen Fokus stehen Gemeinden, die ihren Siedlungsraum unter zeitgenössischen Gesichtspunkten sorgfältig weiterentwickeln.

Hierzu gehören insbesondere das Fördern gestalterischer Qualität bei Neubauten, ein respektvoller Umgang mit der historischen Bausubstanz sowie eine vorbildliche, aktuelle Ortsplanung.


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