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Stefan Kaegi: «Ich will die Aufmerksamkeit auf Taiwan lenken»

Ein Mann und zwei Frauen auf einer Theaterbühne
Wie lebt es sich in einem Land, das nicht international anerkannt ist? Ein Schweizer Theaterschaffender geht dieser Frage nach. © Claudia Ndebele/Théâtre Vidy-Lausanne

Der Berner Regisseur Stefan Kaegi porträtiert Taiwan in seinem neuen Stück "Ceci n'est pas une ambassade (Made in Taiwan)". Das dokumentarische Theater ist hochpolitisch und bezeugt die Meinungsvielfalt der Insel, wie er im Gespräch erläutert.

Die internationale Karriere von Stefan Kaegi wurde 2005 mit «MnemoparkExterner Link» eingeleitet. Dieses Stück bewies die Fähigkeit des Berner Regisseurs, der ein bekennender Anhänger des Dokumentartheaters ist, die Realität mit einer unterhaltsamen und zugleich grimmigen Spielweise abzubilden.

Mit seinem Modell einer grossen Modelleisenbahnanlage vermittelte «Mnemopark» das Bild einer kleinen Schweiz, die ein komplexes Spielzeug in den Händen einiger Modelleisenbahnbauer ist. Stefan Kaegi, der nie um eine Metapher verlegen ist, hat seither zahlreiche Stücke inszeniert, die unsere Welt kritisch reflektieren.

Das jüngste Stück trägt den Titel «Ceci n’est pas une ambassade (Made in Taiwan)» – «Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)». Das Dokumentarstück, das im Januar in Berlin uraufgeführt wurde, und nach Stationen in Wien und Basel nun in Lausanne zu sehen istExterner Link, wird 2024 weiter durch Europa touren.

Auch in Asien sind Zwischenstopps geplant, mit einem ersten Halt im April in Taipei, der Hauptstadt Taiwans. Die Aufführung wird in der National Theater & Concert Hall stattfinden, die das Stück zusammen mit dem Théâtre de Vidy-Lausanne produziert.

Der Trailer des Stücks:

Im Jahr 2022 hielten sich Stefan Kaegi und sein Bühnenbildner Dominic Huber zwei Monate in Taiwan auf. Vor Ort stellten die beiden Nachforschungen an. Sie befragten Unternehmende, Ingenieurinnen, Diplomaten, Künstlerinnen usw. Die Idee: ein autonomes Land zu porträtieren, das jedoch nicht als solches anerkannt wird.

SWI swissinfo.ch: Was hat Sie nach Taiwan geführt?

Stefan Kaegi: Meine Tourneen, bei denen ich vor Ort sehr gute Kontakte zu Künstlern knüpfen konnte. So entstand die Idee für dieses Projekt, das ich gemeinsam mit einem Taiwanesen, David, und zwei Taiwanesinnen, Chiayo und Deby, aus der Zivilgesellschaft durchführe.

Sie sind keine Schauspielende, sondern Zeugen, die auf der Bühne ihre Sicht auf ihr Land darlegen und über die Beziehung sprechen, die sie zu ihrer Insel haben.

Stefan Kaegi
Stefan Kaegi zVg

Die Wahl des Themas ist nicht naiv, mein Ziel ist es, die Aufmerksamkeit des Publikums auf die prekäre diplomatische Situation Taiwans zu lenken. Das Land hat nur vierzehn Botschaften in der Welt und wird daher von der grossen Mehrheit der Staaten nicht anerkannt. Allen voran von dem sehr mächtigen Nachbarn China, der damit droht, die Insel wieder in seinen Besitz zu bringen.

Sie nutzen die Gelegenheit, um auch über diesen mächtigen Nachbarn und seine Beziehung zum Westen zu sprechen. Ihre Show tourt durch Europa. Nun hat aber jedes Land seine eigenen, spezifischen Beziehungen zu China. Passen Sie den Inhalt des Stücks an das jeweilige Publikum an?

Ja, der Inhalt kann sich von einem Land zum anderen ändern. Man kann auf einer deutschen oder österreichischen Bühne nicht das Gleiche sagen wie auf einer französischen oder schweizerischen Bühne. Ich erkläre es mir so: Wir haben schon in Wien und Berlin gespielt und dabei zum Beispiel berücksichtigt, dass Red Bull, ein bekanntes österreichisches Getränk, in China in grossem Stil vermarktet wird und dass China der grösste Kunde der deutschen Automobilindustrie ist. Wir müssen also die Empfindlichkeiten schonen. Wir sind uns der diplomatischen Zwischenfälle bewusst, die jede unpassende Äusserung unsererseits auslösen kann.

«Dies ist keine Botschaft» – und doch errichten Sie auf der Bühne eine solche. Wie erklären Sie Ihren Titel?

Denken Sie an Magrittes berühmtes Gemälde «Ceci n’est pas une pipe» (Dies ist keine Pfeife). Was der Maler vorschlägt, ist nur eine Zeichnung, die Pfeife ist also alles andere als real. Dasselbe gilt für mich, ich biete lediglich die Simulation einer Botschaft.

Vergessen Sie nicht, dass wir uns im Theater befinden, alles ist vergänglich, die Botschaft «stirbt» am Ende jeder Vorstellung. Nichtsdestotrotz bleibt sie ein Instrument der Reflexion, das es ermöglicht, Fragen zu stellen und Meinungen aus dem Mund der drei Zeugen auf der Bühne zu äussern.

Welche Gesichter der taiwanesischen Gesellschaft repräsentieren diese Zeugen?

Zunächst muss man sagen, dass sie nicht der gleichen Generation angehören. Der 70-jährige David ist ein pensionierter Journalist und Diplomat. In der Show repräsentiert er einen Teil der taiwanesischen Bevölkerung, der sich China kulturell nahe fühlt und eine Wiedervereinigung der beiden Länder wünscht, allerdings unter bestimmten Bedingungen. Er verurteilt jegliche Einmischung der USA in die Angelegenheiten seines Landes. Seine Position ist nicht mit der seiner Bühnenpartnerinnen vergleichbar.

Wie unterscheiden sie sich von ihm?

Chiayo (30) glaubt nicht an die offizielle Diplomatie. Als Vertreterin der jungen digitalen Generation ist sie in den sozialen Netzwerken sehr aktiv und hat so weltweit Freundschaften geschlossen, um Taiwan bekannt zu machen. Sie setzt sich vehement für die Demokratie ein und möchte China auf Distanz halten.

Die 27-jährige Debby, Erbin eines grossen Bubble-Tea-Unternehmens, ist eine Anhängerin des kapitalistischen Systems und glaubt, dass Taiwans Ansehen auch durch das Gedeihen kleiner und mittlerer Unternehmen gefördert werden kann.

Lassen Sie uns noch einen Moment beim Titel verweilen. Sie setzen (Made in Taiwan) in Klammern. Warum?

Weil es eine identitätsstiftende Auszeichnung ist, die die wirtschaftliche Entwicklung Taiwans im Laufe der Zeit markiert. In den 1970er- und 1980er-Jahren produzierte das Land die berühmten Plastikspielzeuge, mit denen Kinder in Europa aufgewachsen sind. Damals war dies der grösste Industriezweig des Landes.

Heute zeichnet sich die Insel durch die Herstellung von Hightech-Instrumenten, einschliesslich Halbleitern, aus. Es wurde ein langer Weg zurückgelegt.

Welche Botschaft möchten Sie insbesondere dem Schweizer Publikum vermitteln?

Mein Wunsch ist es, die Gemeinsamkeiten zwischen der Schweiz und Taiwan hervorzuheben. Geografisch gesehen ist die Insel klein und von Bergen durchzogen. Zudem strebt das Land nach Neutralität und zögert, den grossen internationalen Organisationen beizutreten. Ein Teil der Bevölkerung will dies, der andere nicht.

Die Schweiz stand vor ihrem Beitritt zu den Vereinten Nationen vor dem gleichen Dilemma. Es gibt also Ähnlichkeiten, aber auch ein Bedauern: Taiwan hat keine Botschaft in der Schweiz. Wir wollen mit unserem Dokumentartheater Fragen wie diese aufwerfen: Wie können wir ein diplomatisches Protokoll erstellen, um Taiwan besser anzuerkennen?

Sie zeichnen ein vielfältiges Bild der Insel, aber was ist mit der Ästhetik?

Man darf nicht vergessen, dass der künstlerische Ausdruck, den die beiden Frauen beherrschen, Teil der Show ist. Debby ist Musikerin und arbeitet mit Klängen. Chiayo, die sehr gut mit der Kamera umgehen kann, filmt Szenen live und überträgt sie auf eine Leinwand. Hier gibt es eine akustische und visuelle Darstellung von Macht.

Meiner Meinung nach ermöglicht das Theater eine emotionale Verbindung mit der Realität eines Landes, die sich sehr von den eher kalten Informationen unterscheidet, die ein Zeitungsartikel liefern kann.

Waren die von Ihnen befragten Taiwanerinnen und Taiwaner überrascht von Ihrem Vorgehen?

Da ihr Land nicht offiziell anerkannt ist, haben sie das Gefühl, dass sie niemand ernst nimmt, und manchmal werden sie sogar mit Thailändern verwechselt. Das zeigt, wie frustriert sie sind. Wenn ein Europäer ihnen also eine Präsenz auf den grossen Bühnen des alten Kontinents bietet, ist das für sie sehr aufwertend.

Editiert von Pauline Turuban. Übertragung aus dem Französischen: Giannis Mavris

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