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Ein Sieg in Locarno garantiert keine Kinoauswertung

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Mit dem Goldenen Leoparden für den Film "Right Now, Wrong Then" geht das 68. Filmfestival von Locarno zu Ende. Doch auch der Siegerfilm von Hong Sang-soo wird es wohl kaum in Schweizer und ausländische Kinos schaffen. Warum? Nadia Dresti, Delegierte der künstlerischen Leitung des Filmfestivals Locarno und verantwortlich für die die internationalen Beziehungen, sagt, warum das so ist.

Zehn Filme wurden seit 2005 mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet. Doch nur drei dieser Filme schafften es in die Schweizer Kinosäle – ein Film aus Frankreich sowie zwei Schweizer Filme. Woran liegt das?

Nadia Dresti: Seit über 30 Jahren im Dienste des Filmfestival Locarno und der Achten Kunst, dem Kino. pardolive.ch | Ivana De Maria

Nadia Dresti: Locarno ist ein Festival für den Autorenfilm. Die von der Jury ausgewählten Filme erfüllen künstlerische, keine kommerziellen Kriterien. Da immer weniger Leute die Kinosäle besuchen, setzen die Verleiher aber ihrerseits immer stärker auf mögliche Kassenschlager.

Ein fünfstündiger Streifen wie der Gewinnerfilm von 2014 («From what is before» von Lav Diaz) wird ausserhalb seines Produktionslandes wohl kaum je in einem Kino gezeigt werden. Im Übrigen gilt dieser Trend auch für andere Festivals, die häufig sogar eine kommerziellere Ausrichtung haben als Locarno – vielleicht mit Ausnahme von Cannes.

Zudem hat mit der digitalen Revolution die Zahl der produzierten Filme stark zugenommen. Die Entwicklung ist geradezu dramatisch. Denn die Auswahl wird immer schwieriger. In der Regel profitieren davon Filme, die leicht zugänglich sind. Wir sind uns durchaus bewusst, dass die traditionellen Wege für den Verleih von Autorenfilmen nicht mehr ausreichen. Wir suchen daher nach Alternativen.

Filmfestival LocarnoExterner Link: Die Goldenen Leoparden seit 2005

2005: «Nine Lives” von Rodrigo García, USA

2006: «Das Fräulein” von Andrea Staka, Schweiz/Deutschland

2007: «Ai no yokan” von Masahiro Kobayashi, Japan

2008: «Parque vía» von Enrique Rivero, Mexiko

2009: «She, a Chinese» von Xiaolu Guo, Grossbritannien/Frankreich/Deutschland

2010: «Han Jia» («Winter Vacation») von Li Hongqi, China

2011: «Abrir puertas y ventanas» von Milagros Mumenthaler, Schweiz/Argentinien/Niederlande

2012: «La fille de nulle part» von Jean-Claude Brisseau, Frankreich

2013: «Historia de la meva mort» von Albert Serra, Spanien/Frankreich

2014: «Mula sa kung ano ang noon» («From What Is Before») von Lav Diaz, Philippinen

(Fett gedruckt die drei Filme, die in Schweizer Kinosälen gezeigt wurden)

Zu bedenken ist auch, das die Jungen immer seltener ins Kino gehen. Filme werden zusehends als VOD (Video on demand) am Fernsehen oder auf einem Tablet angeschaut. Diese Entwicklung können wir nicht ignorieren. VOD besitzt ein grosses Potential, aber gleichwohl stellt sich die Frage, wie Filme, von denen niemand spricht, via VOD einer grösseren Öffentlichkeit näher gebracht werden können.

swissinfo.ch: Glauben Sie, dass VOD eine Plattform sein kann, um den Schweizer Film im In- und Ausland bekannter zu machen?

N.D: Das war eines der Themen, die wir während des Festivals diskutiert haben. Es gibt Länder, beispielsweise Spanien, die Plattformen für Autorenfilme lanciert haben, die auch unter kommerziellen Gesichtspunkten erfolgreich sind. In der Schweiz erwiesen sich alle entsprechenden Versuche bisher als Fehlschlag.

Es gibt Leute, die vom Bund ein stärkeres finanzielles Engagement verlangen, um Schweizer Filme als VOD zu fördern.  Doch meiner Meinung nach ist nicht das Geld ein Problem, sondern ein Mangel an Kreativität und Unternehmergeist.

Das Schweizer Filmschaffen kann kein staatliches Filmschaffen sein. Wir befinden uns in einer freien Marktwirtschaft. Daher muss man aufhören, immer wieder in Bern um mehr Geld zu betteln, ohne etwas dafür zu unternehmen. Ich gehöre der Eidgenössischen Filmkommission an. Und ich muss einräumen, dass ich mich über diesen ständigen Ruf nach neuen Finanzspritzen mächtig ärgere.

Wir müssen an diesem Punkt auch ehrlich sein: Mit Ausnahme von Spitzenprodukten wie «More than Honey» fehlt den Schweizer Produktionen oft die Qualität, um einen internationalen Verleiher zu finden. Ein guter Film findet einen Käufer, egal ob der Film aus Uruguay oder den USA kommt. Doch Schweizer Filme überzeugen in der Regel nicht.

Wahrscheinlich sollte man einfach etwas mehr an den Drehbüchern arbeiten. Und vor allem aufhören, in zu grossen Dimensionen zu denken und die eigenen Produktionen unbedingt in die Kinosäle bringen zu wollen.

Neue Wege für Schweizer Filmschaffen ins Ausland

Die Schweizer Filmschaffenden können etwas aufatmen. Ab Januar 2016 werden Massnahmen in Kraft treten, um das Schweizer Filmschaffen im Ausland besser präsentieren zu können.

Im letzten Jahr waren die Verhandlungen über eine weitere Teilnahme der Schweiz am EU-Filmförderprogramm MEDIA nach der Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative auf Eis gelegt worden.

Bundesrat und Kulturminister Alain Berset bekräftigte zur Eröffnung des diesjährigen Festivals in Locarno den Willen der Regierung, die Schweiz wieder ins MEDIA-Programm zu integrieren. Auf technischer Ebene sei man dazu bereit. «Aber die EU macht die weitere Teilnahme der Schweiz am MEDIA-Abkommen von institutionellen Fragen etwa bei der Personenfreizügigkeit abhängig», rief Berset in Erinnerung.

Die Schweiz sei auch offen für eine provisorische Teilnahme. Berset sieht jedoch keine Anzeichen für eine baldige Lösung betr. Wiederaufnahme. Deshalb sei es wichtig, dass die vom Bundesrat getroffene Übergangslösung nun weitergeführt und ausgebaut werde.

swissinfo.ch: Die Faszination einer Filmproduktion ist doch klar mit der grossen Kinoleinwand verbunden…

Natürlich träumt jeder Regisseur davon, den eigenen Film auf einer Grossleinwand zu sehen, vielleicht sogar auf der Piazza Grande. Doch angesichts der unglaublich grossen Konkurrenz ist dies heute einfach nicht möglich.

Das Problem muss man an der Wurzel suchen: Wer in der Schweiz Filme mit grossem Budget dreht, möchte natürlich, dass diese in den Kinosälen oder an Festivals gezeigt werden. Doch das Publikum interessiert sich nicht für die Frage, wie teuer die Produktion eines Filmes war… Die Frage ist: Warum gelingt es jungen Filmschaffenden in Ländern wie Argentiniern, Filme zu drehen, deren Produktion wenig bis nichts kostet, während bei uns Millionen ausgegeben werden, um Mittelmass zu produzieren?

Ich bin der Meinung, dass man wieder zu kleineren Budget zurückkehren und sich vermehrt auf das Storytelling konzentrieren sollte.

swissinfo.ch: Welche Rolle spielt das Filmfestival von Locarno für die Verbreitung des Autorenfilms?

Seit einigen Jahren organisieren wir am Filmfestival die so genannten Industry Days. Bei diesem Anlass bringen wir Produzenten und Verleiher zusammen, um den Autorenfilm zu fördern. Drei Tage lange zeigen wir die Filme des internationalen Wettbewerbs, die Filme der Piazza Grande sowie der Sektion «Cineasti del presente» (Filmschaffende der Gegenwart), die sich Erstlingswerken widmet. Die Teilnehmenden der Industry Days kommen vor allem aus Europa, doch es gibt auch Repräsentanten aus den USA, gelegentlich aus China oder Korea.

Unser Filmfestival kann keinen Einfluss darauf nehmen, ob der eine oder andere Film von Verleihern eingekauft wird. Doch immerhin geben wir durch unsere Initiative die Möglichkeit, dass sich Profis aus der Branche treffen können. Sie können die Filme sehen, diskutieren und sich vernetzen.

Externer Inhalt

Wichtigste Preise 2015

Goldener Leopard: «Right Now, Wrong Then”, von Hong Song-soo, Südkorea

Beste Regie: «Cosmos», von Andrzej Zulawski, Frankreich / Portugal

Cineasten der Gegenwart: «Thithi», von Raam Reddy, Indien / USA / Kanada

Leoparden von Morgen, nationaler Wettbewerb: «Le Barrage», von Samuel Grandchamp, Schweiz / USA

Piazza Grande, Publikumspreis: «Der Staat gegen Fritz Bauer», von Lars Kraume, Deutschland

Der einzige Schweizer Film im Wettbewerb, die gemeinsame Arbeit von zehn Regisseuren («Heimatland»), erhielt den dritten Preis der Jugendjury.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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