Tinguelys pensionierter Gralshüter restauriert weiter
20 Jahre lang war er Assistent des Künstlers. Seit 1996 hat er den Maschinenpark im Tinguely Museum Basel unterhalten. Nun ehrt ihn das Museum mit einer Ausstellung: Josef Imhof ging an seinem 65. Geburtstag in Pension.
«Eigentlich war ich hier Kunst-Handlanger.» – Josef Imhof steht im Museum und untertreibt. Keiner ist mit den Maschinen so vertraut wie er.
Jean Tinguely war der geistige Vater. Seine Skizzen waren fragmentarische Anweisungen. Nur Imhof konnte sie lesen, hat gelötet, geschweisst, gebaut. Sie waren Komplizen, Abenteurer und bereisten die Welt. «Er war der Chef, ich der Schlosser. Ich hatte nie Ambitionen, selbst Künstler zu werden.»
12 Jahre lang hat Imhof die fragilen Konstruktionen im Museum betreut. Er hat dafür gesorgt, dass die Räder drehen, die Achsen knarren, die Schläuche stöhnen, die Choreographie stimmt.
«Zu Jeans Zeiten haben wir einfach einen neuen Motor eingebaut, wenn einer defekt war. Jetzt ist das nicht mehr so einfach», erzählt Imhof und schildert, wie er kürzlich einen defekten Motor drei Wochen in Petrol eingelegt hatte und ihn anschliessend mit dem Schweissbrenner langsam erwärmte. «Es knallte, aber das Gehäuse blieb zum Glück ganz. Der Motor läuft wieder.»
Im Museum seien sie immer etwas eifersüchtig gewesen. Alle hätten gespürt, dass Imhof zu den Maschinen eine besonders intensive Beziehung habe, sagt Museumsdirektor Guido Magnaguagno. «Seppi war unentbehrlich. Man weiss gar nicht, wer der Chef war, er oder ich. Jedenfalls ist er der Gralshüter Tinguelys.»
Seine eigenen Skulpturen und Kerzenständer bezeichnet Imhof als Handwerk, nicht als Kunst. Schelmisch erzählt er, wie Kunsthistoriker bei Museumsführungen ihre Fantasien in die Maschinen hinein interpretierten. «Da haben die Totenköpfe plötzlich eine tiefere Bedeutung. Jean hat sie schlicht bei einem befreundeten Metzger geholt und daran gehängt.»
Bügelmaschinen-Konstrukteur
Schon vor der Zeit mit Tinguely war Imhof ein Tüftler. In den 1960er-Jahren arbeitete der gelernte Maschinenschlosser in einem Eisenwerk. Seine Mutter hatte einen Waschsalon. Imhof half dort in seiner Freizeit aus.
«In einer Papierfabrik fand ich alte Walzen, mit denen das Papier getrocknet wurde. Sie waren mit Öl gefüllt und heizbar. Daraus habe ich eine Bügelmaschine gebaut. Sie bügelte die Leintücher in einem Durchgang. Das sparte Zeit und Geld.»
1971 sah er in der Zeitung ein Inserat. Jean Tinguely suchte einen Schlosser, schwindelfrei, Autofahrer, mit Jasskenntnissen. Die beiden waren sich auf Anhieb sympathisch.
Tinguely bezeichnete seinen Assistenten einmal als den «besten Schlosser, dem ich erst das ‹Pfuschen› beibringen musste.» – Imhof sagt dazu: «Ich musste mich vom genauen Arbeiten an das Verlotterte gewöhnen. Wenn etwas zu lange war, haben wir es einfach abgeschnitten. Das gab dann diese verjuxten Formen. Bewegung war das Wichtigste.»
Künstlerische Freiheit
Tinguely habe immer nur das getan, was ihm Spass machte. «Als wir den Basler Brunnen bauten, da wollte einer auch so einen Brunnen haben und hat dafür eine Riesensumme geboten.»
Flug nach Frankfurt: «Da hätten wir in einer hässlichen Überbauung einen Brunnen machen sollen. Jean sagte, er wolle keine Dekoration beisteuern, so einen ‹Schmarren› mache er nicht. Der nächste Flieger brachte uns nach Hause.»
Freiheit: Tinguely tat gegen Ende seines Lebens viel, um den eigenen Marktwert zu zerstören. «Als er merkte, dass seine Briefe auf dem Kunstmarkt verkauft wurden, reagierte er wütend und sagte, jetzt schreibe er ‹jedem Löu› einen Brief, damit das Zeugs nichts mehr wert sei.»
Ursprünglich wollte «Der Assistent» nur während eines Jahres für den Meister arbeiten, blieb ihm jedoch bis zu seinem Tod treu. «Wenn er nicht gestorben wäre, wären wir noch heute zusammen.»
Die Schande von Paris
Die Arbeit wird Imhof nicht ausgehen. Überall auf der Welt stehen Tinguely-Maschinen. Viele lagern in Museums-Depots oder in den Kellern von Sammlern, rosten vor sich hin, bleiben stumm.
«Der Brunnen beim Centre Pompidou in Paris ist eine Ruine. Nicht einmal mehr das Wasser spritzt. Das ist eine Schande. Auch die Maschinen im Centre stehen still. Das ist nicht ihr Zweck, die müssen laufen.»
Sammler und Museen haben ihn gefragt, ob er jetzt Zeit habe. «Ich habe noch Leichen im Keller», sagt Imhof und meint damit einen in Einzelteile zerlegten Radioapparat und einen Peugeot, Jahrgang 1938. Es sind Geschenke Tinguelys. Auch sie müssen wieder funktionieren.
swissinfo, Andreas Keiser, Basel
Für seine Ausstellung im Tinguely Museum Basel erhielt Josef Imhof «Carte Blanche».
Der Titel bezieht sich auf das Stelleninserat, das Imhof mit Tinguely zusammenbrachte: Tinguely suchte einen Schlosser mit Jasskenntnissen. «Tschau Sepp» ist eine Variante des Kartenspiels.
Imhof zeigt Objekte aus seiner Privatsammlung: Werke seiner Freunde Bernhard Luginbühl, Ben Vautier, Niki de Saint Phalle, Briefe und Anweisungen seines Chefs sowie eigene Skulpturen und Kerzenständer.
Die Ausstellung dauert bis am 10. August.
Josef Imhof wird am 23. Mai 1943 in Bern geboren. Kurz darauf zieht die Familie nach Solothurn.
1961 beginnt er eine Lehre als Maschinen- und Konstruktionsschlosser.
Von 1967 bis 71 arbeitet er als Schlosser bei der Von Roll AG.
1971 meldet er sich auf Inserat von Jean Tinguely, der einen Schlosser für den Bau einer «Riesenplastik in der Nähe von Paris» sucht.
Bis zu dessen Tod am 30. August 1991 ist Imhof Assistent von Jean Tinguely.
Von 1994 bis 2008 ist er beim Museum Jean Tinguely angestellt. Zuerst als Monteur der Maschinen, die hier neu aufgestellt werden müssen und seit der Museums-Eröffnung 1996 als Restaurator.
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