Transatlantische Jazz-Begegnung in New York
Während zwei Wochen spielen Musiker aus der Zürcher Jazz-Szene in New York in verschiedenen Gruppierungen mit US-Kollegen und -Kolleginnen. Konzertort ist das Lokal "The Stone", das auf radikale Art Musik und nicht Kommerz ins Zentrum stellt.
Kuratiert werden die rund 26 Konzerte von Patrik Landolt, dem Mann hinter dem Zürcher Label Intakt Records. Der 1986 gegründete Verlag hat sich zu einem der bedeutendsten Label für innovativen, zeitgenössischen Jazz aus der Schweiz und der globalen Szene entwickelt und hat bis heute rund 200 CDs herausgegeben.
Eingeladen wurde Intakt Records vom Musiker und Produzenten John Zorn, dem künstlerischen Leiter des «Stone». Das Lokal wird von einer nicht auf Profit ausgerichteten Institution getragen und bietet Raum für experimentelle und improvisierte Musik verschiedener Sparten.
Zum Betriebskonzept des «Stone» gehört es, dass immer wieder andere Leute die Konzerte kuratieren, oft Musiker aus der New Yorker Szene oder kleinere Indie- oder Avantgarde-Labels aus den USA. Jetzt wurden auch Labels aus aller Welt eingeladen, darunter Intakt Records.
«Diese Einladung ist für Intakt Records eine grosse Ehre. Gleichzeitig war es eine Herausforderung, das Ganze von Zürich aus zu organisieren», erklärt Patrik Landolt im Gespräch mit swissinfo.ch in New York.
«Ich kenne die weniger kommerzielle Szene in den USA sehr gut.» Es gebe viele ausgezeichnete Musiker und Musikerinnen, doch oft fehle es an Geld.
Ausdrucksfreiheit
Ein Lokal wie das «Stone» biete die Möglichkeit, dem entgegen zu wirken, es sei ein Fenster für innovative Kultur. «Es ist ein radikaler Freiraum, geprägt vom Motto der Rede- und Ausdrucksfreiheit.» Ein Anliegen, das John Zorn sehr wichtig sei.
Die Radikalität zeige sich in allen Aspekten des «Stone»: Der simple Raum, keine Bar, die Arbeit von Freiwilligen, das Ganze habe auch etwas Asketisches an sich. «Es ist ein Modell, wie man in einer stark kommerzialisierten Welt wie hier in New York eine gegenkulturelle Öffentlichkeit schaffen kann.»
Präsentation und Begegnungen
Das Zusammenstellen des Programms sei kein Problem gewesen. Zwei Punkte, sagt Landolt, seien ihm wichtig gewesen: Einerseits die Präsentation der Arbeit der Musiker und Musikerinnen, andererseits die Begegnung zwischen Zürich und New York, wobei es auch darum gehe, neue Dinge auszuprobieren, den Auftritten durch neue Formationen einen Werkstatt-Charakter zu verleihen.
«Und vielleicht ergeben sich aus neuen Begegnungen hier auch nachhaltigere Kontakte, so dass neue Projekte vertieft und eine Zukunft haben werden. Die kreative Auseinandersetzung mit der US-Jazzszene ist auch für die Szene in der Schweiz von Bedeutung. New York ist Wiege und Hauptstadt des Jazz, der sich hier bis heute auch immer wieder erneuert.»
Finanzen und Visa-Bürokratie
Neben der Programmgestaltung musste sich Landolt um die Finanzierung von Reise und Unterkunft kümmern. Dazu wurde zu einem traditionellen Mittel gegriffen: Es wurde ein Verein «Zürich-New York» gegründet und dank tatkräftigem Engagement aller Beteiligten kamen schliesslich die Finanzmittel zusammen. Dies vor allem dank der Unterstützung von Pro Helvetia, von Stadt und Kanton Zürich sowie der Stiftungen Stanley-Johnson-Thomas und Bloch.
Am aufwendigsten aber war die Organisation der Einreise in die USA, denn wer als Musiker hier einen Auftritt hat, braucht ein Arbeitsvisum. Eingereicht wurden die Visaanträge schliesslich mit Hilfe einer spezialisierten Agentur.
Trotzdem hat nicht ganz alles geklappt: Einer der Musiker konnte nicht mitreisen, weil er noch immer auf sein Visum wartet, sein Pass liegt bei der US-Botschaft.
Full House
Die Konzertreihe im «Stone» ist gut gestartet. An den ersten drei Abenden war das Lokal praktisch zum Bersten voll. Zum Auftakt spielten der Schweizer Drummer Matthias Bossi mit dem Bassisten Shahzad Ismaily und dem Gitarristen Fred Firth, im zweiten Set Fred Frith und der Drummer Lucas Niggli.
Am zweiten Abend spielte die Saxophonistin Co Streiff mit Fred Frith. Zuvor hatte Niggli einen weiteren Auftritt – mit dem Gitarristen Elliott Sharp und Melvin Gibbs, einem Bassisten, der früher bei Ornette Coleman spielte. «Mit dieser Formation ging für mich ein Wunsch in Erfüllung «, erklärte Niggli nach dem Auftritt gegenüber swissinfo.ch voller Begeisterung.
«Für mich ist das eine Art Studienreise. Als ich von dem Projekt hörte, war mir klar, das wird ein Moment und ein Ort für Experimente sein. Eine Chance, die zahlreichen Kontakte nutzen zu können, die Patrick [Landolt] hier hat.»
Dass er nun mit Sharp und Gibbs spielen konnte und am Tag darauf noch Studioaufnahmen folgen würden «macht total Spass», so Niggli. «Ich hoffe, dass sich daraus etwas Nachhaltiges ergeben wird.»
Begeistert über die Möglichkeiten, die sich ihm hier bieten, zeigte sich auch der Schlagzeuger Julian Sartorius. «Ich freue mich extrem, hier in New York zu sein, dem legendären Zentrum des Jazz, das ist eine tolle Erfahrung, neue Begegnungen mit derart vielen Musikerinnen und Musikern», sagte der Jüngste aus der Schweizer Gruppe.
Lokale Gäste
«Intakt ist ein hervorragendes Label», erklärte einer der Zuhörer, die am ersten Abend des von Landolt kuratierten Gastspiels an einem windigen Abend vor dem «Stone» standen und auf die Türöffnung warteten, auf die Frage von swissinfo.ch, was ihn hierher gebracht habe. «Zudem bin ich ein Fan von Fred Frith, ein Grund mehr, wieder mal von New Jersey nach Manhattan zu kommen.»
Ähnlich äusserte sich ein Fan, der aus New Hampshire angereist kam und fünf Stunden Weg auf sich genommen hatte. «Ein guter Moment, ein paar Tage nach New York zu kommen.» Beide waren übrigens von den ersten Auftritten derart eingenommen, dass sie am nächsten Abend gleich nochmals kamen.
Folgende Musiker und Musikerinnen aus der Schweiz haben im Verlauf der Konzertserie Zürich-New York – «Intakt Records at the Stone» Auftritte:
Piano: Irène Schweizer und Gabriela Friedli
Saxophon: Co Streiff, Michael Jaeger und Jürg Wickihalder
Schlagzeug: Pierre Favre, Lucas Niggli, Julian Sartorius und Dieter Ulrich
Gitarre: Philipp Schaufelberger
Bass: Fabian Gisler und Jan Schlegel. Ebenfalls zur Gruppe gehört der Bassist Christian Weber, der bis zur Abreise kein Visum erhalten hatte.
Zu den Musikerinnen und Musikern aus den USA gehören unter anderem die Saxophonisten Tim Berne und Oliver Lake, der Geiger Mark Feldmann, die Gitarristin Mary Halvorson, die Gitarristen Fred Frith und Elliott Sharp, der Drummer Andrew Cyrille, die Bassisten Melville Gibbs, Drew Gress und Ray Anderson, die (Schweizer) Pianistin Sylvie Courvoisier, Russ Johnson (Trompete), Tony Malaby (Sax), Tom Rainey (Drums) und Ingrid Laubrock (Sax).
Für einige der Musiker und Musikerinnen aus Zürich werden es die ersten Auftritte in New York sein. Die Konzertreihe dauert noch bis zum 15. März.
Das unscheinbare, kleine Lokal liegt in einem Eckhaus an der Avenue C und der 2. Strasse im East Village.
Alles ist ganz einfach gehalten, ein paar Reihen Klappstühle, einige Schaumstoffkissen, der Platz für die Musiker – eine Bar gibt es nicht, denn im «Stone» geht es nur um die Musik.
Das Lokal fasst rund 75 Personen, mehr sind feuerpolizeilich nicht erlaubt.
Die Einnahmen aus den Eintrittsgeldern gehen nach jedem Auftritt direkt an die Künstler und Künstlerinnen.
Betrieben wird das «Stone» von Freiwilligen, die sich um die Eingangskontrolle und die Technik kümmern.
Der Eintritt kostet zehn Dollar. Gästelisten im klassischen Sinne gibt es nicht, jeder und jede bezahlt.
Normalerweise einmal pro Monat findet ein Benefizkonzert mit höheren Eintrittspreisen statt. Der Erlös aus diesen Konzerten, an denen immer wieder Grössen wie Lou Reed oder Laurie Anderson auftreten, dient dazu, die Kosten der Miete zu decken.
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