Uhrmacher gewähren Einblick in ihre Kunst
Am Samstag, dem 2. Denkmaltag der Uhrenindustrie im Neuenburger Jura, öffneten 25 Uhrenfirmen ihre Tore und gewährten Interessierten Einblicke, was es braucht, bis eine Schweizer Uhr tickt.
La Chaux-de-Fonds und Le Locle im Neuenburger Jura sind wahrlich keine Grossstädte. Aber beides sind Metropolen, was die Herstellung von Schweizer Uhren betrifft.
Als Hüterinnen der traditionellen Schweizer Uhrmacherei kandidieren die beiden Städte für eine Aufnahme ins Unesco-Weltkulturerbe.
Findige Köpfe um Jean-Daniel Jeanneret, den Projektleiter der Kandidatur, haben den Begriff «Urbanisme horloger» geprägt. Gemeint ist ein Stadtbild, das von der Uhrenindustrie geprägt ist. Salopp könnte man auch von einem Urbanismus sprechen, der nach der Uhr tickt.
Keine Monumente
Der «Urbanisme horloger» soll ausdrücken, dass es nicht um Kathedralen und Schlösser geht, sondern um zwei Städte des 19. Jahrhunderts, denen eine Industrie den Stempel aufgedrückt hat.
«250 Jahre Uhrenindustrie haben die beiden Städte gebaut und geformt», sagt Jeanneret gegenüber swissinfo.
Diese Prägung zeigt sich dem Städtewanderer nicht in Form von riesigen Uhren-Monumenten. Die industrielle Präsenz ist diskreter Natur, lässt sich vielfach erst auf den zweiten Blick an Architektur und Stadtbau ablesen. Etwa an den Fensterreihen, einem traditionellen Element der Industrie- und Fabrikarchitektur des 19. Jahrhunderts.
Der Charme des Reissbretts
La Chaux-de-Fonds ist gebaut nach dem Schachbrettmuster. Wie New York entstand die neue Stadt am Reissbrett, nachdem 1794 ein Feuer das alte Dorf vernichtet hatte.
Einerseits strömt so mehr Licht durch die Fenster. Licht ist eine wesentliche Voraussetzung für die präzise Arbeit der Uhrmacher. Andererseits erleichtert ein Netz von rechtwinkligen, breiten Strassen den Warenverkehr mit den Lieferanten. Im Winter ist auch die Schneeräumung leichter, denn nicht zu vergessen: Die Stadt liegt auf knapp 1000 Meter über Meer, und da können die Winter hart sein.
Der «uhrmacherische Fussabruck» findet sich auch im Wohnungsbau für die Uhrenarbeiter. Deren Häuser weisen eine ausserordentlich hohe Qualität auf, mit den schon angesprochenen Fensterbändern, die viel Licht in die hohen Zimmer herein lassen.
Können und Stolz
Diese Wohnbauten zeugen schon fast von einer Arbeiter-Aristokratie. Denn die Angestellten, die mit ihrer Präzisionsarbeit unverzichtbar waren und es immer noch sind, wussten dies gegenüber den Patrons in die Waagschale zu werfen.
Was macht die beiden Uhrenstädte weiter einzigartig? La Chaux-de-Fonds und Le Locle sind konsequent und vollständig auf die Bedürfnisse der Industrie ausgerichtet. La Chaux-de-Fonds sei eine einzige Uhrenfabrik, hatte Karl Marx im «Kapital» geschrieben.
In der Tat: Auf den Stadtplänen sind keine Industrieviertel, Arbeiterquartiere und Villen der Patrons auszumachen. Diese Bereiche sind vollständig ineinander verschränkt. Die klassische Stadt des 19. Jahrhunderts dagegen ist nach dem Grundsatz der gesellschaftlichen Segregation gebaut.
Zudem führt ein roter Faden vom 19. ins 21. Jahrhundert. Denn Städte und Region leben auch heute noch im Takt der Uhrenherstellung. Auch La Chaux-de-Fonds und Le Locle sind an ihren Rändern gewachsen, den Kern aber haben sie bewahrt.
Die Uhrenindustrie bedingt keine grosse Infrastruktur wie Metallgiessereien oder die Chemie. Einzelteile konnten Uhrenarbeiter auch zu Hause zusammen setzen. Ab 1830 waren Ateliers im Erdgeschoss oder im obersten Geschoss fester Bestandteil von Wohnbauten.
«Es ist überraschend, dass heute noch ein Teil der Produktion in Ateliers und Wohnhäusern stattfindet», sagt Jean-Daniel Jeanneret.
Um 1850 kamen neue, abgetrennte Ateliers hinzu, und 30 Jahre später wurden die ersten Fabriken gebaut. Seither haben sich nur Konstruktion und Architektur-Stile geändert. Und natürlich die Einwohnerzahl. Sie erhöhte sich in Chaux-de-Fonds zwischen 1800 bis 1900 von 3000 auf 40’000.
Regionales Bewusstsein
Die Kandidatur der Region unter dem Label des «Uhrmacher-Urbanismus» ist wichtig, nicht nur für die Region und die Schweiz, sondern auch für die Unesco selbst. Denn momentan sind die industriellen und urbanen Zeitzeugen des 19. Jahrhunderts innerhalb des Unesco-Kulturerbes noch stark untervertreten. Ganz im Gegensatz zu Städten von Antike und Mittelalter.
Was erhoffen sich die «Macher» um Jean-Daniel Jeanneret von einem Ja der Unesco? Die Aufnahme wäre die Kirsche auf den Kuchen, nämlich eines regionalen Bewusstseins, so Architekt Jeanneret. «Vor dreissig Jahren wollte man alles niederreissen. Heute erkennt man im Erbe ein Pfand für eine künftige Entwicklung.»
Von der Kirsche erhoffen sich die lokalen Behörden einen Gewinn an Image und touristischem Marketing. «Im Vergleich mit Genf, Luzern oder Zermatt haben wir sehr wenig Touristen», sagt Jeanneret. Die beiden Städte sähen zwar gern mehr Gäste.
Das Unesco-Gütesiegel soll aber in erster Linie gegen «innen» wirken, nämlich bei den Bewohnern. Sie sollen einen Stolz entwickeln. Denn «man muss das Erbe lieben, wenn man es bewahren will», so Jeanneret.
Keine Museen
Die «Weihung» durch die Unesco wäre aber auch mit Aufwand verbunden. So müssen die Kandidaten in ihrem Dossier ausweisen, dass sie die Ressourcen für den Unterhalt des Erbes aufbringen können. Diese umfassen Verwaltung, finanzielle und technische Mittel, gesetzliche Grundlagen sowie politische Unterstützung durch die Behörden.
«Es steht nicht zur Debatte, La Chaux-de-Fonds und Le Locle unter eine Käseglocke zu stellen und grosse Museen aus ihnen zu machen», beschwichtigt Jean-Daniel Jeanneret.
swissinfo, Pierre-François Besson
(Übertragung aus dem Französischen: Renat Künzi)
Am Samstag, 8. November öffneten in Le Locle und La Chaux-de-Fonds 25 Uhrenhersteller dem Publikum ihre Türen.
Auf dem Programm standen architektonische Führungen sowie solche durch Ateliers, Museen und Herstellungsbetriebe, ferner Filme und Vorträge.
La Chaux-de-Fonds zählt 37’400 Einwohner, Le Locle 10’400.
Bisher wurden die Berner Altstadt, der Stiftsbezirk St. Gallen, das Benediktinerinnen-Kloster St. Johann in Müstair, die Burgen und die Stadtbefestigung von Bellinzona und im Jahr 2007 die Kulturlandschaft Weinbaugebiet Lavaux aufgenommen.
Im Juli 2008 wurden die Rhätische Bahn (Strecke Thusis-Tirano) und die Glarner Hauptüberschiebung ins Weltkulturerbe aufgenommen.
Im Bereich des Naturerbes sind es die Stätten Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn, der Monte San Giorgio im Tessin und das Entlebuch im Kanton Luzern.
Die Uhrenstädte La Chaux de Fonds und Le Locle haben Ende 2007 ihre Kandidatur für die Auszeichnung eingereicht.
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