Unesco-Welterbe: die Schweiz hat ein Wort mitzureden
Die Schweiz nimmt Einsitz im Unesco-Welterbe-Komitee. Sie wurde mit einem glänzenden Ergebnis gewählt. Der Schweizer Botschafter, der nächstens das Amt an seinen Nachfolger übergibt, beleuchtet mit einem kritischen Blick die Arbeit der Unesco.
Die Nachricht ging Ende Oktober fast unbemerkt durch die Medien: Die Schweiz erobert einen Sitz im Unesco-Welterbe-Komitee, jenem Organ, das Stätten und Landschaften von «aussergewöhnlichem universellem Wert» erkürt. 12 von 21 Sitzen mussten neu besetzt werden.
29 Vertragsstaaten kandidierten, und die Schweiz erhielt 104 der 140 Stimmen. «Ein absoluter Rekord in der Geschichte dieser Wahl», freut sich der Schweizer Botschafter Ernst Iten.
Während die Schweiz auf internationalem Parkett kritisiert wird, kann sie nun mit dieser Wahl zeigen, dass sie in ihren Kompetenzbereichen die Leute hinter sich zu scharen weiss, stellt Ernst Iten fest. Hat Libyen auch für die Schweiz gestimmt? «Keine Ahnung, die Wahl ist geheim.»
Ein Team
Teamgeist prägt den Sieg. Dazu gehören das Bundesamt für Umwelt, das Bundesamt für Kultur und das Departement für auswärtige Angelegenheiten. Und es ist auch ein kleiner Sieg für Ernst Iten, der aber daraus keine grosse Sache macht und bescheiden bleibt.
Die «Kampagne» war streng, fast wie bei einer Präsidentenwahl. «Ich musste jeden Abend an drei oder vier Cocktail-Partys teilnehmen», erzählt er ein wenig erschöpft von der Kampagne «à la française», – von der Arbeit im Hintergrund ganz zu schweigen.
Einfluss nehmen
Die Mitgliedschaft im Komitee des Welterbes bietet verschiedene Vorteile, am Wichtigsten ist sicher die Nabelschau: man will die Chancen von Schweizer Kandidaturen erhöhen.
Die Schweiz hat bereits zehn klassierte «Welterbe-Stätten». Darunter die Berner Altstadt, das Weinbaugebiet des Lavaux, der Stiftsbezirk St. Gallen und die Stadtlandschaft und Uhrenindustrie La Chaux-de-Fonds/ Le Locle.
Die Kandidatur «Architektonisches und urbanistisches Werk von Le Corbusier» , berühmter Sohn der Stadt, wurde von der Unesco aber verschoben.
Im nächsten Jahr wird das Komitee zudem eine neue Kandidatur aus der Schweiz prüfen: Die prähistorischen Seeufersiedlungen, im Volksmund auch Pfahlbauten genannt, die von den Anfängen der Landwirtschaft in Europa zeugen.
Idee Kulturerbe pflegen
Doch die Mitgliedschaft im Komitee soll vor allem dazu beitragen, die Bewahrung des Kulturerbes als Idee aufrechtzuerhalten und zu pflegen. Ein Schwerpunkt ist dabei die Einbindung der lokalen Bevölkerung.
«890 Stätten sind bereits als Weltkulturerbe eingetragen», stellt Ernst Iten fest. «Um das Label vor inflationärem Gebrauch zu schützen, müssen die Ansprüche hoch gehalten werden.»
Die Qualität der Kandidaturen ist weiterhin oberstes Ziel, aber die Wahl sollte auch multinationale Stätten berücksichtigen, wo Kultur und Natur eine Einheit bilden. Die Zeit der mittelalterlichen Perlen wie Assisi oder Vézelay ist mehr oder weniger vorbei.
Labor der Kultur
Ernst Iten verlässt in dem Moment Paris, wo auch die Spitze der Unesco ausgewechselt wird. Der Japaner Koïchiro Matsuura überlässt die Nachfolge der Bulgarin Irina Bokova.
Der Scheidende sei ein guter Geschäftsführer gewesen. «Er hat wieder Ordnung ins Haus gebracht, dabei aber die Öffentlichkeitsarbeit und die Reflexion etwas vernachlässigt.»
«Wozu die Unesco?», titelte kürzlich die Zeitung Le Monde. «Die Institution sollte wieder zum Laboratorium für Bildung, Wissenschaft und Kultur werden, schätzt Iten.
Ein Beispiel für die mangelnde Dynamik: Im Bereich der Sozial- und Humanwissenschaften habe die Unesco ihre Aufgaben nicht gemacht, sie konnte der Wirtschaftskrise nicht die Stirn bieten.»
Bildung muss Priorität haben
«In den letzten acht Jahren gaben sich im Bereich der Sozial- und Humanwissenschaften sechs Vizegeneraldirektoren die Klinke in die Hand! Wie soll unter diesen Bedingungen konstruktive Politik gemacht werden?
«Dies ist ein Zeichen für einen tiefer greifenden Konflikt: andere Organisationen, namentlich die Unicef und die OECD, kommen der Unesco ins Gehege, die ihre Führerrolle in Sachen Bildung verloren hat.»
Wozu also dient die Unesco? Was nützt sie, namentlich auch der Schweiz? «Die Idee einer besseren Koordination der Schulbildung – heute ein wichtiges Thema in der Schweiz – wurde nach dem Krieg innerhalb der Unesco geboren», erinnert sich Ernst Iten.
«Kulturelle Vielfalt – bei uns hoch im Kurs – ist Gegenstand einer Konvention. Im Bereich des illegalen Handels mit Kulturgütern hilft die Unesco den Herkunftsländern, zum Beispiel in Afrika, ihre Rechte geltend zu machen.»
Mathieu van Berchem, Paris, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)
Zweifache Premiere. Irina Bokova ist die erste Frau, die an die Spitze der Unesco gewählt wurde. Sie ist zudem die erste Person aus einem osteuropäischen Land, die im System der Vereinten Nationen eine hohe Funktion ausübt.
Ex-Kommunistin. Sie ist Botschafterin Bulgariens in Frankreich und seit 2005 bei der Unesco. Sie ist 57jährig, ehemalige Kommunistin, Karrierediplomatin und überzeugte Europäerin.
Jeunesse dorée. Als bekannte Persönlichkeit in der heute oppositionellen sozialistischen Partei gehörte sie unter dem kommunistischen Regime zur «Jeunesse doré». Ihr Vater, Gueorgui Bokov, war Chefredaktor der kommunistischen Parteizeitung Rabotnitchesko Delo.
Annäherung. Irina Bokova war die erste stellvertretende Aussenministerin und koordinierte von 1995 bis 1997 die Beziehungen zwischen Bulgarien und der Europäischen Union (EU) , bevor sie von November 1996 bis Februar 1997 Chefin der bulgarischen Diplomatie wurde.
Beitritt. Irina Bokova gehört zu den Vorkämpferinnen für den 2007 vollzogenen Beitritt Bulgariens zur EU. Sie wurde nach der Wende zweimal als Abgeordnete in die verfassungsgebende Volksversammlung gewählt, von 1990 bis 1991 und dann als stellvertretende Vorsitzende des aussenpolitischen Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und Mitglied des parlamentarisches Ausschusses für europäische Integration.
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