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UNO enthüllt Barcelós «Sixtinische Kapelle» in Genf

Der spanische Künstler Miquel Barceló hat am UNO-Sitz in Genf den neuen "Saal der Menschenrechte" enthüllt. Einen Schatten über die Eröffnung warf der Miteinbezug von Entwicklungshilfe-Gelder des spanischen Steuerzahlers zur Finanzierung.

Die komplette Renovation des Sitzungsaales hat 30 Mio. Franken gekostet. 60% finanzierten spanische Grosskonzerne, 40% der Staat. Der 51-jährige Mallorquiner hat in der 1400 Quadratmeter grossen Kuppel mit riesigem Aufwand ein schäumendes Meer dargestellt, das in unzähligen Farben leuchtet.

Die Wellen, die wie Stalaktiten von der Decke hängen, erinnern an eine grosse Tropfsteinhöhle.

Der Saal wird nun bereits als «Sixtinische Kapelle des 21. Jahrhunderts» bezeichnet. Eingeweiht wurde sie am Dienstag vom spanischen Königspaar Juan Carlos und Sofia, vom Premierminister José Luis Rodriguez Zapatero, von UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon und dem Schweizer Bundespräsidenten Pascal Couchepin.

In seiner Rede forderte Ban Ki-moon die Diplomaten auf, künftig «denselben Sinn für Kreavität wie Barceló» auch in ihren Debatten über Menschenrechte einzubringen:

«Lasst uns den Status quo nicht akzeptieren! Seien wir visionär, kreativ und dreist», sagte er vor den 700 geladenen Gästen.

Bis zur Vollendung des grossen Kunstwerks dauerte es zwei Jahre. Es brauchte 35’000 kg Farbe und 20 Assistenten, darunter einen Koch und einen Höhlenexperten.

Spanisch-türkisches Projekt

Das Projekt war 2006 gemeinsam vom Zapatero und seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan lanciert worden, um den Dialog zwischen dem Westen und der islamischen Welt zu erleichtern.

«Die Höhle dient als Metapher für die Agora, wo sich erstmals die Menschen zum Gespräch trafen», sagt Barceló. «Den grossen afrikanischen Baum, unter dem man sitzt und palavert – als einzig mögliche Zukunft für Dialog und Menschenrechte.»

Das Meer hingegen symbolisiere die Vergangenheit, den Ursprung der Arten und das Versprechen einer neuen Zukunft, durch Auswanderung und Reisen.

Technische Herausforderung

Um die Stalaktiken herzustellen, die teils bis einen Meter lang sind, konstruierte Barceló eine Aluminium-Wabenstruktur, an denen die Formen aus Kurzharz hängen. Eingefärbt wurden sie mit Farbstoffen aus der ganzen Welt.

Der spanische Künstler verspricht, dass die Stalaktiten sicher angebracht sind und nicht von der Decke herunterfallen werden. «Doch einige UNO-Mitarbeiter sagten mir, sie sähen es nicht ungern, wenn die Stalaktiten auf gewisse Diplomatenköpfe im UNO-Menschenrechts-Rat fallen würden…», scherzte Barceló gegenüber der News-Agentur AFP.

Die Deckenkonstruktion sei eine «grosse technische Herausforderung» gewesen. Die Zusammenarbeit mit Kunst-Konservatoren garantiere die Solidität und die Langlebigkeit der Farbstoffe. Barceló arbeitete zuerst in seinem Atelier ein Jahr am Projekt, und dann 13 Monate in Genf vor Ort.

Er erfand eine speziell starke Farben-Düse, um die Farbe auf die Decke zu sprayen. «Zuerst hatte ich vielerlei Probleme», so der Künstler. «Ich war mir des riesigen Raums nicht richtig bewusst. Meine Technik hatte ich bereits auf Leinwand angewendet. Doch hier musste ich alles nochmals neu erfinden.»

Das Gebilde ändere sein Form je nach der Perspektive des Betrachters: «Dies ist eine Art Multilateralismus.»

Sturm im Künstler-Glas?

Zwar wirft die neue Saaldecke nur wenige Fragen auf, was den artistischen Wert des mallorquinischen Künstlers betrifft. Doch viel politischen Staub aufgewirbelt hat in Spanien der Preis des Werks.

Die Renovation kostete etwas mehr als 30 Mio. Franken. Davon wurden 60% von spanischen Sponsoren gedeckt. Der Rest ist Geld aus der spanischen Staatskasse, inklusive einer halben Million Euro aus einem Fond für Entwicklungshilfe.

Die konservative Volkspartei verurteilte den Griff in den Entwicklungsfonds denn auch als «regelwidrig», «abnormal» und möglicherweise «illegal».

«Wie viele Impfstoffe, wie viele Brunnenlöcher hätten mit dem Geld gebaut werden können, wie vielen Kindern hätte geholfen werden können?», fragte Gonzalo Robles, Parlamentarier der oppositionellen Volkspartei.

Die regierenden Sozialdemokraten versuchten hingegen, die Kontroverse zu ignorieren, beteuerten ihre Unschuld und bestanden darauf, dass die Nutzung dieses Fonds für das Kunstwerk nicht gegen die Regeln verstosse.

Aussenminister Miguel Angel Moratinos wollte die genauen Gesamtkosten nicht bekanntgeben: «Nur Narren verwechseln den Preis mit dem Wert. Dieses Projekt ist eine neue Art, Diplomatie und Aussenpolitik zu betreiben.»

Laut der spanischen Regierung war das Geld aus dem Entwicklungsfonds nicht nur speziell für arme Länder vorgesehen, sondern generell für die Promotion «internationaler Solidarität».

Der Künstler bleibt vorsichtig

Laut Spaniens UNO-Botschafter Javier Garrigues rechtfertigt der Ort die Nutzung von Entwicklungshilfe-Geldern: «Die Finanzierung des Hauptsitzes des Menschenrechts-Rats fällt ganz klar unter die Kategorie Entwicklungshilfe.»

Die stellvertretende Premierministerin Maria Teresa Fernandez de la Vega hat aus Angst vor einem politischen Rückschag die volle Offenlegung der Projekt-Kosten verlangt.

Der Künstler Barceló scheint vom Krach nicht überrascht zu sein, gibt aber zu, dadurch vorsichtiger geworden zu sein. «Das ist Politik und wird natürlich als Waffe ausgenützt», sagte er letzte Woche gegenüber der spanischen Zeitung El Pais.

Er habe dabei gelernt, «im Kontakt zur politischen Klasse vorsichtig zu sein und mehr Zeit in seinem Atelier zu verbringen.»

swissinfo, Simon Bradley in Genf
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)

1957: Geboren am 8. Januar in Felanitx auf der Insel Mallorca (Spanien).

1973-74: Studien an der Schule der Schönen Künste in Palma di Mallorca.

1976: Kunsthochschule Barcelona. Erste Einzelausstellung «Cadaverina 15» in Palma zum Thema Metamorphosen.

1982: Einladung zur Documenta 7 in Kassel.

1986: Auszeichnung mit dem spanischen Kulturpreis «Premio Nacional de Artes Plasticas».

1986-88: Lebt und arbeitet in Barcelona, Paris und New York.

1988: Erste Reise nach Afrika. Danach Pendler zwischen Paris, Mallorca und Mali.

2004: Das Louvre in Paris zeigt Illustrationen Barcelós zu Dantes Göttlicher Komödie.

2006-2007: Arbeiten an einer Kapelle der Kathedrale von Palma de Mallorca.

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