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Unspunnen: Stein des Anstosses

Der Unspunnenstein von 1905, "geschmückt" mit Europasternen und Béliers-Emblem. swissinfo.ch

Einen 167 Pfund schweren Stein möglichst weit stossen, kernige Hosenlupfe, Jodeln, Musizieren, Trachten und Brauchtum aus der ganzen Schweiz.

Das Trachten- und Alphirtenfest Unspunnen blickt auf eine bewegte 200-jährige Geschichte zurück.

Unter dem Motto «Patriotismus, Brauchtum und Tourismus unter einen Hut!» feierte vor 100 Jahren – 1805 – das Unspunnenfest sein 100-jähriges Jubiläum.

«Eigentlich sollte man nicht das Jubiläum in den Vordergrund stellen sondern die Tatsache, dass dies das einzige Fest ist, bei dem alle traditionellen folkloristischen Disziplinen dabei sind», sagt Unspunnen-Pressechef Peter Wenger gegenüber swissinfo.

«Das Unspunnen-Fest ist das einzige, das Trachtengruppen, Jodler, Fahnenschwinger, Alphornbläser, Schwinger, Steinstösser und Volksmusikanten vereint», erklärt Wenger weiter.

Lange Geschichte

Schon im 13. Jahrhundert hatten auf der Burgwiese zu Unspunnen Feste der Versöhnung und Freundschaft stattgefunden. Man wollte so Spannungen zwischen Stadt und Land, zwischen Regierung und Regierten abbauen.

So auch einige hundert Jahre später, vor dem ersten traditionellen Unspunnenfest im Jahr 1805. Die Berner Oberländer hatten sich bereits früher gegen die Vorherrschaft der Stadt Bern aufgelehnt und strebten ihre Selbständigkeit an.

Zwischen 1798 und 1803, in der Helvetischen Republik, bildeten sie einen eigenen Kanton. Damit waren Stadt und Land gleichgestellt.

Doch schon bald danach sassen im wiedervereinten, 195 Mitglieder zählenden Grossen Rat 125 Bernburger. Viele Oberländer betrachteten das als Rückschritt, Unzufriedenheit machte sich breit.

Die Gegner der Berner Patrizier nannten sich «Patrioten». Sie arbeiteten im Untergrund, denn offener Widerstand war gefährlich.

Erfolgreiche Spiele

Um die erhitzten Gemüter zu beruhigen, organisierten der bernische Schultheiss, Niklaus Friedrich von Mülinen, und Franz Ludwig Thormann, Oberamtmann in Interlaken, mit dem Berner Kunstliebhaber Sigmund Wagner und dem Maler Niklaus König aus Unterseen 1805 das erste Unspunnen-Fest.

Kulturell und wirtschaftlich waren die 1805 und 1808 stattfindenden Anlässe ein voller Erfolg. Dichter und Maler wurden zu Botschaftern für das ländliche Brauchtum und präsentierten die landschaftlichen Schönheiten der Oberländer Alpenwelt in den Kulturzentren Europas.

Auf diese Weise hielt der Tourismus im Berner Oberland Einzug und begründete den bis in die Gegenwart anhaltenden Weltruf des Fremdenverkehrsortes Interlaken.

Früher «Fichen-Skandal»

Der Beziehung zwischen Stadt und Land brachten die Unspunnen-Feste jedoch keine Besserung. Sie blieben von Misstrauen geprägt.

Die Berner Regierung hatte über 600 Spitzel eingesetzt, welche die «Patrioten»-Anführer überwachen sollten. Wer sich unbotmässig verhielt, wurde hart bestraft.

Deshalb wurde das Unspunnen-Fest auch nicht, wie ursprünglich geplant, alle zwei, drei Jahre wiederholt.

Jahrhundertpause

So dauerte es ein gutes Jahrhundert, bis der Geist von Unspunnen im Jahr 1905 wieder erwachte.

Während dieser Zeitspanne war der originale Unspunnen-Stein, Symbol von Urkraft und Sinnbild für die Nationalspiele, verloren gegangen. Ein anderer Stein zum Stossen war rasch gefunden. Er war aber leichter als das Original. Der neue wog 167 Pfund, der alte brachte 184 Pfund auf die Waage.

Erst 1946 wurde das Unspunnen-Fest als Schweizerisches Trachten- und Alphirtenfest wieder durchgeführt. Es stand nach den zwei Weltkriegen im Zeichen des Friedens, den man sehnlich erhoffte.

Nach 1946 wurde das Unspunnen-Fest regelmässig wiederholt: 1955, 1968, 1981 und 1993.

Symbolisches Urgestein

Seine nationale Symbolkraft demonstrierte der Unspunnen-Stein 1984. Die Jugendgruppe des «Rassemblement jurassien», die «Béliers», entführte den Stein aus politischen Motiven.

Glücklicherweise musste er nicht das Schicksal des Soldatendenkmals «Le Fritz» von Les Rangiers teilen, welches im selben Jahr von den Béliers vom Sockel gestürzt und später durch einen Brand zerstört wurde.

Zu den bereits eingemeisselten Jahrzahlen 1805 und 1905 fügten die Béliers dem Unspunnen-Stein einen «Zusatzschmuck» von gelben Europasternen bei.

Erst am 11. August 2001 wurde der Unspunnen-Stein mediengerecht durch Ex-Botschafter-Gattin Shawne Fielding-Borer via Brüssel und Saignelégier nach Interlaken zurückgeführt.

Neuer Brocken

Für das Fest im Jahr 1993 hatte eine Kopie des Originals hergestellt werden müssen. Diese gelangt auch im Jubiläumsjahr 2005 zum Einsatz, da der Stein von 1905 durch die Manipulationen der Béliers nicht mehr sein ursprüngliches Gewicht hat.

Der «Originalstein» kann übrigens im Rahmen einer interessanten «Unspunnen-Austellung» im Hotel Viktoria Jungfrau besichtigt werden.

Und die Kopie ist diebstahlsicher im Schalterraum der Bank UBS in Interlaken untergebracht.

swissinfo, Etienne Strebel, Interlaken

200 Jahre Unspunnenfest 2005, Trachten- und Alphirtenfest

2. bis 4. September 2005 in Interlaken

Teilnehmende Aktive:
5000 Trachtenleute
2000 Jodlerinnen und Jodler
120 Schwinger und mindestens 30 Steinstösser

Teilnehmende Gäste:
5000 Personen am Trachtentanzfest
70’000 Personen am Umzug
10’000 Personen am Schwingfest
40’000 Personen am Festakt/Festspiel

Organisation und Helfer: 800 Personen

Das 9. Unspunnenfest ist eine «Olympiade der Schweizer Volksbräuche».

Im friedlichen Rahmen wird geschwungen, gestossen, gejodelt, musiziert, gesungen, Alphorn geblasen und getanzt.

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