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Unter der Virtual-Reality-Brille der Schweizer Animatorin Zoe Roellin

Zoe Roellin in einem Raum, in dem die Leute an VR-Brillen angeschlossen sind.
Die Virtual-Reality-Künstlerin Zoe Roellin bei der Eröffnungsausgabe des Festivals ART*VR in Prag. Christopher Small

Schweizer Virtual-Reality-Künstler:innen sind auf dem Vormarsch. SWI swissinfo.ch traf Zoe Roellin aus Zürich an einem VR-Festival in Prag, wo sie ihr neues Kunstwerk nach dessen Uraufführung am Filmfestival in Venedig vorstellte.

Das Filmfestival von Venedig hat sich unter Künstler:innen und Fans der virtuellen Realität (VR) den Ruf erworben, sich ernsthaft mit den aufkommenden Virtual Reality-Kunstformen auseinanderzusetzen.

Festivalbesucher:innen, die dazu bereit sind, sich ein klobiges VR-Headset aufzusetzen, um in die Welt der virtuellen Realität einzutauchen, müssen zunächst über das Wasser nach Lazzaretto Vecchio gelangen, eine kleine Insel abseits des Festivaltrubels. Die ehemalige Unterbringungsstätte für Lepra- und Pestkranke der Stadt Venedig dient jedes Jahr im September als Sprungbrett und Treffpunkt für eine Reihe aufstrebender Extended Reality-Künstler:innen aus aller Welt.

Eine davon ist Zoe Roellin, Animatorin und Filmemacherin aus Luzern, deren von Meta produzierter Film Perennials (2023) in den VR-Brillen der Besucher:innen des Lazzaretto seine Weltpremiere feierte.

«Ich war vor einem Jahr mit einem Projekt in Vendig, an dem ich als Illustratorin und Animatorin gearbeitet hatte [The Choice: VR Documentary, 2022]. Es war also nicht komplett neu für mich. Doch mit meiner eigenen Arbeit dort zu sein, war ein ganz anderes Gefühl», erzählt mir Roellin bei unserem Treffen.

Zoe Roellin auf dem Roten Teppich von Venedig
Zoe Roellin war im August 2023 auf dem roten Teppich in Venedig. Elie Zananiri

«An Perennials habe ich im Grunde eineinhalb Jahre lang allein in meinem Wohnzimmer gearbeitet. Jetzt bin ich endlich draussen, sehe, wie die Leute es erleben, spreche mit den Zuschauer:innen und höre, was sie darüber denken.»

Wir unterhalten uns nicht in Venedig, sondern in Prag, bei der Eröffnungsausgabe des ART*VR Festivals im November.

Dieses sechstägige Schaufenster für künstlerische VR-Filme ist die zweite Veranstaltung, bei der Roellins Projekt seit seiner Premiere im September gezeigt wird. Zuvor wurde das Werk anlässlich des 60-jährigen Jubiläums der diplomatischen Beziehungen zwischen der Schweiz und Korea an einem vom Kollektiv Virtual Switzerland organisierten Networking-Event für Schweizer Künstler:innen in Seoul vorgeführt.

Bei der Veranstaltung in Prag handelt es sich ebenfalls um eine Erstauflage, doch wird man das Gefühl nicht los, dass all diese «künstlerischen» VR-Events, bei denen die Filme als Kunstwerke und nicht als virtuelle Abenteuerspielplätze behandelt werden, neu und experimentell sind.

Den Trailer von Perennials sehen Sie hier:

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Virtuelles Gedächtnis

Perennials ist jedoch eher ein Spielfilm. Ein junger Mann kehrt mit seiner Nichte in ein verlassenes Ferienhaus seines kürzlich verstorbenen Vaters zurück.

Roellin inszeniert den Raum, voller Erinnerungen und generationenübergreifendem emotionalen Ballast, als Schauplatz einer frustrierenden, schwierigen Konfrontation nach der anderen.

«Perennials ist für mich sehr persönlich, weil es auf einer persönlichen Geschichte im Ferienhaus meines eigenen Grossvaters in Italien basiert. Auf der anderen Seite erfährt man aber auch nicht wirklich viel über die Charaktere und ihre Identitäten. Der Ort ist sehr vage festgelegt; er könnte überall sein. Das war die richtige Wahl für diesen Film, aber in Zukunft würde ich auch gerne Arbeiten machen, die nischenhafter und spezifischer sind, zum Beispiel für Menschen mit queeren Identitäten.»

Scene of Perennials
Immersive Landschaft: eine Szene aus «Perennials» Zoe Roellin

Mit dem VR-Headset beobachte ich, wie die Nichte eine Frage nach der anderen stellt. Ihr Onkel weist sie mürrisch und gefühllos zurück. Gezeichnet vom Trauma des Todes seines Vaters ist er unfähig, liebevoll mit dem Kind zu sprechen. Unwissentlich wiederholt er die ungeduldigen Diskussionen seines eigenen Vaters mit dessen Sohn.

Beim Betrachten dieser Szenen aus dem Inneren des Headsets kann man den Kopf vor und zurück, nach links und rechts bewegen, aber die Aufmerksamkeit ist streng gelenkt: Die Handlung entfaltet sich in Episoden, die über das schwarze, 360°-Nichts verstreut sind, das den Träger des Headsets umgibt.

Wenn am Rand ein Lichtfleck auftaucht, spielt sich in diesem Proszenium eine bestimmte Szene ab: Onkel und Nichte gehen im Wald spazieren, unterhalten sich am Kamin, ein Blatt schwebt vor uns in der Luft. Die eigenen Hände, die man als Zuschauer:in im Film sieht, werden durch die Controller repräsentiert, die man in der realen Welt bedient; greift man nach unten, kann man sich auf unheimliche Weise durch virtuelle Büsche, Teller oder Polster schneiden.

Während ich mich in einer Ecke der Ausstellungshalle des Museums für Moderne Kunst, in dem ART*VR stattfindet, durch diese Welt bewege, spüre ich den Luftzug einer Tür zum Innenhof, die immer wieder geöffnet und geschlossen wird. Das lässt meine Haare auf den Armen kribbeln, obwohl ich in der virtuellen Realität neben einem knisternden Kamin sitze.

Zusammenarbeit mit Meta

Roellin kam nach einem Besuch des australischen VR-Künstlers Sutu an ihrer Fakultät an der Hochschule Luzern auf den Geschmack, im virtuellen Raum zu illustrieren und zu animieren. «Ich setzte mir das Headset auf und stellte fest, dass man in der virtuellen Realität frei zeichnen kann. Ich war sofort Feuer und Flamme», sagt sie. «Zum Teil war es die Faszination für die Immersivität von VR. Zum Teil lag es aber auch daran, dass ich anfing darüber nachzudenken, okay, wenn ich in einem 360°-Raum zeichnen kann, was bedeutet das dann für das Geschichtenerzählen?»

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Wie der Zufall es wollte, hatte die Universität vor kurzem ein Headset für Student:innen angeschafft, das sie nutzen konnten. «Ich habe die gesamte Sommerpause in der virtuellen Realität verbracht und eigentlich nur gezeichnet und experimentiert.» Danach ergaben sich nach und nach weitere Möglichkeiten. «Es ging Schritt für Schritt. Ich durfte einen neunminütigen Dokumentarfilm für Fantoche, ein Animationsfestival in Baden, machen.»

Der Wechsel von Tilt Brush zu Quill, zwei VR-Illustrations- und Animationstools, brachte den Durchbruch. Roellin konnte sich mit der lebhaften Quill-Community auf der ganzen Welt verbinden und begann, für die VR-Serie Lustration zu animieren, die sie 2022 zum ersten Mal nach Venedig führte.

Wann wurde Meta, die Muttergesellschaft von Facebook und Produzentin von Perennials, auf sie aufmerksam? «Sie sind in so ziemlich alles involviert, was mit Quill zu tun hat, denn es gehörte lange Zeit Meta. Und obwohl wir eine wirklich coole Bandbreite an unterschiedlichen Werken haben, die in der Community entstehen, werden sie letztendlich alle von Meta produziert oder finanziert.»

Für einen Aussenstehenden, der diese Community beobachtet, ist es bemerkenswert und sogar beunruhigend, wie tief Meta in so viele Bereiche der XR-Welt eindringt. Bei ART*VR kam ein Jurymitglied, Štěpán Soukeník, aus der XR- und KI-Abteilung von Meta in Europa.

Mark Zuckerberg auf einer Bühne
Die Headsets, mit denen wir auf dem Festival neue Projekte entdeckten, waren das Metaquest 2 oder die neu erschienene 3er-Serie, die oben bei ihrer Vorstellung durch Mark Zuckerberg im September letzten Jahres abgebildet ist. Copyright 2023 The Associated Press. All Rights Reserved

Für eine unabhängige Künstlerin wie Roellin kommt es vor allem auf die Beziehungen zu den einzelnen Produzenten an. «Ryan [Genji Thomas] und Gora [Fujita], zwei Meta-Produzenten, leisten wirklich grossartige Arbeit bei der Förderung dieser Projekte und machen sie erst möglich.»

VR vs. Kino

Als jemand, der aus der Welt des Kinos kommt, fand ich es faszinierend zu sehen, wie eine Gemeinschaft von Künstler:innen an die technologischen und formalen Grenzen einer relativ neuen Kunstform stösst, die sie als ihre eigene bezeichnet. Wie in den Anfängen des Kinos sind technische Pannen und die Verwirrung des Publikums an der Tagesordnung, und es war deutlich zu sehen, dass die Filme die Dynamik dieser ursprünglichen Epoche des Filmemachens wiederholten.

Die meisten Projekte lassen sich entweder der barocken und fantastischen Schule von George Méliès oder der kargen, realistischen Schule von Louis und Auguste Lumière zuordnen.

Ich frage Roellin nach diesem Wildwest-Gefühl, bei dem alles möglich ist und die Regeln erst noch geschrieben werden. «Nun, es ist ein Gemeinschaftswerk. Bei der Kameraführung haben wir uns für eine einfache Lösung entschieden: langsam und gleichmässig. Sehr wenig Rotation. Wenn eine Ballerina lernt, eine Pirouette zu drehen, sagt man ihr, sie solle sich auf einen einzigen Punkt vor ihr konzentrieren. Wir haben gelernt, dass das auch für VR gilt: Gib dem Publikum einen Fokuspunkt.»

«Mit Perennials versuche ich eine Geschichte zu erzählen, in der viel unter der Oberfläche passiert und in der das Publikum den Figuren viel Aufmerksamkeit schenken muss», betont sie. Während andere Erfahrungen vielleicht einen offeneren und spielerischeren Ansatz haben, «brauche ich diesen Fokus, und das ist es, was in meine Ideen für den Handlungsrahmen einfliesst. Ich mache grobe Skizzen im Headset, indem ich einfach die Umgebung [der Szenen] blockiere. Und dann bewege ich die Kamera, um zu sehen, wo es sich gut anfühlt.»

Die VR-Community in der Schweiz wächst. Neben Virtual Switzerland, dem bereits erwähnten Netzwerk von XR-Künstler:innen, welches das Treffen in Seoul organisierte, gibt es das Internationale Filmfestival Genf, das in der internationalen Community hohes Ansehen geniesst und bei seinen VR-Ausstellungen mit einem grossen Festival wie Locarno zusammenarbeitet.

Inzwischen ist Roellin auch an ihre alte Fakultät zurückgekehrt, wo sie einer neuen Generation zeigt, wie Kunst aus dem Headset funktioniert.

«Jetzt sehe ich, wie sich Animationsstudent:innen, Kunststudent:innen und Objektdesignstudent:innen der VR annähern. Wenn ich sie bei ihren ersten Versuchen begleite, erinnere ich mich an die Freude, die ich hatte, als ich neu in der VR war. Einfach etwas in einem völlig neuen Medium zu erschaffen. Alles ist weit offen.»

Editiert von Virginie Mangin

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