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Viele Stars aus USA, keine Förderpunkte aus Bern

Glamour in Zürich: John Travolta wurde am diesjährigen Zürcher Filmfestival für sein darstellerisches Lebenswerk ausgezeichnet. Thomas Beck/EQ Images

John Travolta, Richard Gere, Helen Hunt oder Susan Sarandon: Auch die 8. Ausgabe des Zürcher Filmfestivals glänzt mit grossem Star-Aufgebot und hohem Glamourfaktor. Trotzdem kämpfen die Veranstalter abseits des grünen Teppichs mit Handicaps.

Im Vergleich mit dem Internationalen Filmfestival Locarno, das 1946 im Garten des Grand Hotel ins Leben gerufen worden war, verfügt das Zurich Film Festival, wie der Anlass korrekt heisst, mit Geburtsjahr 2005 erst über eine äusserst zarte Tradition.

Tradition hingegen hat an der Limmat bereits die Parade von Grössen aus dem Filmgeschäft, vornehmlich aus Hollywood. Ebenso Tradition ist auch die Farbe des Teppichs, über den die illustren Gäste im Blitzlichtgewitter schreiten: Dieser ist nicht rot, sondern grün.

Das jährliche Schaulaufen von Leinwand-Stars samt Medienhype, ein gediegener Festival-Rahmen sowie die finanzielle Rückendeckung durch die Wirtschaft der Finanzmetropole haben dazu geführt, dass die Events in Locarno und Zürich teilweise bereits auf gleicher Höhe gesehen werden. «Der wundersame Aufstieg eines Festivals. Das Zurich Film Festival übertrifft nach und nach das von Locarno», überschrieb etwa die Basler Zeitung ihre Vorschau auf den diesjährigen Anlass, der vom 20. bis 30. September dauert.

Sven Wälti hält von einem solchermassen stilisierten Konkurrenzkampf zwischen den beiden ungleichen Festivals eher wenig. Er ist bei der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG), zu der auch swissinfo.ch gehört, seit Frühling 2012 Verantwortlicher der Abteilung Film. «Dieser wiederkehrende Vergleich, wer wem den Rang abläuft, ist müssig. Beide Festivals haben ihre Berechtigung und beleben die Schweizer Kulturlandschaft», sagt Wälti.

Neben der Fokussierung auf Stars gehe fast ein wenig unter, dass Zürich über ein «feines Programm verfügt, das auf guter Auswahl und gutem Geschmack» basiere, lobt Wälti. Punkto internationalen Wettbewerb könne Zürich durchaus mit Locarno mithalten.

Nur Qualitätssiegel aus Bern

Zum Budget von knapp 6 Mio. Franken, das die Zürcher problemlos mit Sponsoren decken können, steuert der Bund lediglich 50’000 Franken bei. Locarno dagegen wird vom Bundesamt für Kultur (BAK) mit dem fast 30-fachen Betrag alimentiert.

Auch wenn der Beitrag aus Bern für das Zürcher Festival verschwindend klein scheinen mag, schreibt ihm Sven Wälti grosse Bedeutung zu. «Er verleiht dem Festival den Stempel der Unterstützung durch die öffentliche Hand. Das ist für die Veranstalter sehr wichtig, denn es unterstreicht, dass der Anlass Qualitätskriterien erfüllt», so Wälti, der bis 2011 Präsident von Ciné Suisse war, dem Dachverband der Schweizerischen Filmbranche.

Am meisten dürfte die Organisatoren um Festivaldirektor und –gründer Karl Spoerri ärgern, dass Zürich auf dem Parkett der eidgenössischen Filmpolitik erst schwach positioniert ist. Bei Succes Festival, dem Förderprogramm des Bundes, ist das Zürcher Filmfestival nicht dabei.

Schaffen Schweizer Filme an 55 vom BAK ausgewählten Festivals den Sprung in den internationalen Wettbewerb, wird das mit Referenzpunkten respektive Fördergutschriften für künftige Filmproduktionen honoriert (siehe Spalte rechts).

Aus der Schweiz figurieren nebst Locarno und Nyon nur noch die kleinen Festivals Fantoche in Baden und die Kurzfilmtage Winterthur auf der Liste. Nicht aber Zürich.

Für die Nichtberücksichtigung seitens des BAK hat Karl Spoerri «absolut null Verständnis», sie sei «wettbewerbsbehindernd und vor allem für die Filmemacher unfair», hat er sich jüngst Luft verschafft.

Im November auf der Festivalliste?

Laurent Steiert, stellvertretender Leiter der Sektion Film im BAK, kann Spoerris Ärger gut verstehen. «Für die Festivals ist eine Nichtberücksichtigung ein politischer Entscheid. Da die Veranstalter von ihrem Projekt überzeugt sind, ist es normal, dass sie sich beschweren.»

Verantwortlich im BAK für die Festivalliste ist eine Expertengruppe, deren acht- bis neun Mitglieder aus der Filmbranche stammen. Kriterien sind unter anderem Alter und Profil eines Festivals, Gehalt der Wettbewerbe oder die Zusammensetzung des Publikums.

Im Falle des Zürcher Festivals seien die Meinungen unter den Filmexperten geteilt gewesen, berichtet Steiert. «Es ist zwar kein ganz junges Festival mehr, aber immer noch im Aufbau begriffen.» Eine Frage sei auch gewesen, wie national oder international das Zürcher Filmfestival sei, insbesondere, ob es auch Zuschauer aus der Westschweiz anziehe oder diese meist aus Zürich stammten.

Aufschlussreich mag dazu folgende Äusserung des langjährigen Festivalgängers Sven Wälti sein: «In Locarno sind ‹alle›, Zürich dagegen hat nur wenige Besucher aus der Westschweiz.»

Das BAK kann die Festivalliste jährlich anpassen. Dies könnte bereits im November der Fall sein, wenn die Expertengruppe das nächste Mal tagt. «Je nach Entscheid kann das Zürcher Filmfestival 2013 dabei sein», sagt Steiert. Denkbar sei etwa, dass der Bund für einen der insgesamt vier internationalen Wettbewerbe Festivalpunkte vergebe, die Zürich veranstaltet.

Betreffend Publikum hat Zürich tatsächlich einige Mühe. Keineswegs, was die Besucherzahlen angeht, kamen doch 2011 bei der siebten Austragung bereits über 50’000 Zuschauer. Doch das Vorurteil, dass am Festival Glamour und Sponsorenbedürfnisse zu stark dominierten, hält sich hartnäckig.

Co-Direktorin Nadja Schildknecht versuchte dies zu korrigieren, indem sie vehement darauf pocht, dass das Zürcher Filmfestival wie Locarno ein Publikumsfestival sein will, wie sie in einem Interview am Schweizer Radio betonte.

Schnittstelle Locarno 

Das Zürcher Filmfestival kämpft noch gegen ein weiteres gewichtiges Handicap an: Der geringe kulturpolitische Stellenwert gegenüber der nach wie vor überragenden Bedeutung Locarnos als Schnittstelle von Kultur, Politik und Wirtschaft.

Bundesräte nutzen Locarno traditionell als Bühne, um filmpolitische Weichenstellungen zu verkünden, mit Beteiligten über Filmförderung zu sprechen oder Streitereien innerhalb der Branche zu schlichten, sagt Wälti. «Diese Wichtigkeit hat Zürich nicht. An der Zürcher Filmnacht lassen sich einflussreiche Politiker an einer Hand abzählen.»

8. Ausgabe, vom 20. bis 30. September.  

120 Filme aus 20 Ländern.

Knapp 40 Filme in Wettbewerben.

Kategorien: Internationaler Spielfilmwettbewerb,

internationaler Dokumentarfilmwettbewerb,

deutschsprachiger Spielfilmwettbewerb und

deutschsprachiger Dokumentarfilmwettbewerb.

Auszeichnungen: Goldenes Auge, je 20’000 Franken; Critics’ Choice Award (Kritikerpreis) sowie Publikumspreis.

Besucherzahlen: 51’000 (2011). Vergleich zu Locarno: rund 160’000 Besucher; Solothurn: 55’000, Nyon: 25’000 Zuschauer.

Das Förderinstrument ist Bestandteil der erfolgsabhängigen Filmförderung Succes Cinema des Bundes.

Succes Festival basiert auf Fördergutschriften, die an Schweizer Filme vergeben werden, die den Sprung in die Wettbewerbe von 55 wichtigen internationalen Filmfestivals schaffen. 

Das Zürcher Filmfestival figuriert nicht auf der Liste, die das Bundesamt für Kultur bestimmt.

Die Fördergutschriften für künftige Produktionen bemessen sich an Festivalpunkten, deren Höhe sich nach der Bedeutung des Events richtet.

In Cannes, dem Top-Event der rund 14 weltweiten A-Festivals, setzt das BAK für eine Teilnahme am internationalen Wettbewerb 20’000 Referenzpunkte aus.

Dies entspricht 20’000 Zuschauern im Kino und wird für den Produzenten mit 4.40 Franken pro Eintritt belohnt (88’000 Fr.).

In Locarno dotiert Bern eine Wettbewerbs-Teilnahme mit immerhin 10’000 Festivalpunkten.

Die Gutschriften werden aber nur ausbezahlt, wenn der Film in mindestens 14 Vorstellungen in einem regulären Kino läuft.

Oftmals aber schaffen es Siegerfilme, ob in Cannes, Venedig, Locarno oder sonstwo ausgezeichnet, gar nicht in die Kinos.

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