Vielfältiges Schweizer Filmschaffen
Die Schweizer Filmszene blüht wie nie. Ein neuer Band gibt Einblick in die Biografien und Filme von vierzig Regisseurinnen und Regisseuren. Den typischen Schweizer Film gibt es seit den 1970er-Jahren nicht mehr.
In der Schweiz entsteht seit Jahren ein reichhaltiges Filmschaffen, den aktuellen Diskussionen um die Verteilung der Filmförderungsgelder zum Trotz. Dies belegt der neu erschienene Sammelband «Von ‹Höhenfeuer› bis ‹Herbstzeitlosen›. Schweizer Filmregisseure in Nahaufnahme». Verfasst wurde das Werk von der Übersetzerin und Journalistin Andrea Sailer.
Präsentiert werden vierzig Schweizer Regisseurinnen und Regisseure aus der Deutsch- und Westschweiz sowie dem Tessin zusammen mit den Filmen, die sie gedreht haben. Darunter ist zum Beispiel Oscar-Preisträger Xavier Koller («Reise der Hoffnung») und viele weitere preisgekrönte Cineasten.
Beschrieben werden hauptsächlich Regisseure und Regisseurinnen von Spielfilmen, einige auch aus der Dokumentarfilmbranche. Eines ihrer Auswahlkriterien war, dass die Filmemacher und – macherinnen «noch aktiv sind. Einzige Ausnahme ist der Genfer Alain Tanner, der 2004 seinen letzten Film gedreht hat», sagt die Autorin. Tanner erhielt 2010 in Locarno einen Ehrenleoparden für sein Lebenswerk.
«Alain Tanner hat in den 70er-Jahren sehr bekannte Filme gemacht. Er hatte grossen Erfolg und eine grosse Wirkung auf die kommenden Generationen von Schweizer Regisseuren», sagt Sailer.
Tanners Film «La salamandre» (1971) war der erste Spielfilm, der nach einer Gesetzesanpassung mit einer kleinen Unterstützung des Bundes realisiert wurde. Vorher wurden ausschliesslich Dokumentarfilme gefördert.
Was ist ein Schweizer Film?
Schweizer Filme seien längst nicht mehr als typische Schweizer Filme erkennbar, sagt Andrea Sailer. «In den siebziger Jahren gab es eine Aufbruchsphase, eben mit Alain Tanner, Fredi Murer, Rolf Lyssy und anderen. Sie wollten den alten, klassischen Schweizer Film beerdigen und etwas Neues machen.»
Die neue Generation wollte keine Schwänke oder künstliche Bürgerdramen mehr drehen, sondern alltagsnahe Geschichten erzählen und rebellierten gegen die ältere Regie-Generation.
Durch die Erfolge, die diese neuen Schweizer Filme damals auch im Ausland verzeichneten, konnte sich eine vorher nie gesehene Breite an Themen und Schauplätzen in Schweizer Filmen etablieren. Die Autorin schätzt die Zahl der Filmerinnen und Filmer in der Schweiz auf «sicher mindestens rund 300».
«Heute gibt es auch Filmschulen, die Profis ausbilden.» Es sei zudem viel weniger kostspielig, einen Film zu drehen – dank der modernen Digitalkameratechnik.
Plump und konstruiert
Schweizer Spielfilme haben jedoch nicht bei allen ein gutes Image. Schweizer Produktionen gelten oft als plump, konstruiert und als nicht lustig.
«Oft gehen die Produzenten von Filmen, die im Fernsehen gezeigt werden, Kompromisse ein. Sie müssen den Geschmack des breiten Publikums treffen. Aber die Filme, die im Kino zu sehen sind, sind anders», meint dazu die Autorin des Filmwerks.
Sie habe – auch während der Recherche für ihr Buch – viele gute Schweizer Produktionen gesehen, die bestimmt auch anderen Leuten gefallen würden. Das Problem sei, dass viele gar nie vor einer grossen Öffentlichkeit gezeigt würden.
«Auch Kinos kämpfen heute ums Überleben. Neue Filme werden jeweils am Donnerstag erstmals gezeigt. Massgebend ist dann, wie viele Zuschauerinnen und Zuschauer am ersten Wochenende diese Filme sehen wollen.»
Sei das Publikum zahlreich, schaffe es der Film noch in andere Kinos. Kämen aber am ersten Wochenende nicht viele, werde der Film vielleicht noch zwei Wochen gezeigt und dann abgesetzt. «Filme leben auch von der Mund-zu-Mund-Propaganda. Zwei Wochen sind dafür viel zu kurz.»
Die amerikanischen Blockbuster, die ein Massenpublikum anziehen, «machen den Autorenfilmen manchmal das Leben schwer.» Laut Sailer ist für die Kinos das Risiko, einen Schweizer Film zu zeigen, viel höher als bei einem Hollywoodfilm, der stark beworben wird. «Das heisst aber nicht, dass die Schweizer Filme nicht auch ihr Publikum fänden.»
In Sailers Band sind vierzig aktuelle Filmemacherinnen und Filmemacher aufgeführt, die das Kulturleben der Schweiz prägen und häufig auch im Ausland gefeiert werden.
Der aktuell weltweit wohl bekannteste Regisseur, Marc Forster, der mit einem James-Bond-Film einen ebensolchen Blockbuster realisiert hat, hatte für die Mitarbeit an ihrem Buch keine Zeit.
Bundesrat Didier Burkhalter hat am 4. August 2011 in Locarno auf dem Monte Verità zum ersten Mal öffentlich die Eckpunkte seines Filmförderungsprogrammes präsentiert.
Wie von vielen Seiten gefordert, wird die erfolgsabhängige Filmförderung gestärkt – gemäss Burkhalters Plänen steigt der Anteil dieses Förderinstruments von heute zehn Prozent der Produktionsmittel auf rund 30 Prozent.
Als Massstab für den Erfolg eines Films gilt nicht nur das Kassenergebnis, sondern auch der Gewinn von Festivalpreisen. Profitieren sollen von der erfolgsabhängigen Förderung nicht nur die grössten Erfolge des Schweizer Filmschaffens, sondern auch Streifen, die an den Kassen zum breiten Mittelfeld zählen.
Während Burkhalters konziliantes Vorgehen in der von zahlreichen Rivalitäten geprägten Schweizer Filmbrache überwiegend Unterstützung fand, machte sich auch Opposition bemerkbar. Die IG unabhängige Filmproduzenten setzte sich ab.
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