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Vom Alpenland zum Gesundheitsparadies

Ganzkörperwickel im Davoser Sanatorium "Lebendige Kraft" um 1910. Bircher-Benner-Archiv

Das Schweizerische Landesmuseum Zürich zeigt, wie die Schweiz und ihre "Zauber Berge" Ende des 19. Jahrhunderts zum Inbegriff für gesunde Luft und heilendes Wasser wurde. In seiner neuen Ausstellung spürt es der Zeitgeist dieser prägenden Epoche nach.

Die Berge? Unbewohnbare Überreste der Sintflut, mit der die Menschen für ihre Sünden bestraft wurden. Die Höhenluft? Sie bringt die Adern zum Platzen und führt zu Kropfbildungen.

Und das Wasser? Das Trinken des zwischen Felswänden eingezwängten Nass führt zu Verblödung.

Dies war die vorherrschende Meinung im 17. Jahrhundert, wie der Historiker François de Capitani im Katalog zur Ausstellung im Schweizerischen Landesmuseum Zürich «Zauber Berge. Die Schweiz als Sanatorium und Kraftraum» schreibt.

Diese Wahrnehmung ändert sich im Laufe der Zeit grundlegend: Zwei Jahrhunderte später gilt dasselbe Land als «Sanatorium» und «Wasserschloss» Europas.

Am Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert ist die Schweiz der Inbegriff für gesunde Höhenluft und heilendes Wasser. Wohlhabende Patienten pilgerten in Scharen zum Kuren ins Graubünden, ins Tessin, ins Berner Oberland oder in die Waadtländer Alpen.

«Wichtiges Kapitel in der Geschichte»

Die Kuratoren sprechen von einem «wichtigen Kapitel in der Geschichte der Schweiz». Dieses Kapitel erinnert an eine andere Schweiz, an eine, die nichts mit der aktuellen Bankgeheimnis-Debatte oder den Steuer-Affären zu tun hat.

Laut dem Ko-Kurator Felix Graf wurden die Theorien der Brüder Lumières und vor allem auch jene von Jean-Jacques Rousseau Ende des 19. Jahrhunderts angesichts der Modernisierung und Urbanisierung wieder aktuell.

«Diese Theorien über die Lebenshygiene, die Ernährung und den Sport verbreiteten sich in ganz Europa. Darauf geht auch der heutige Erfolg von Bio-Produkten und der Alternativmedizin zurück.»

Vier «Zauber Berge»

Der Titel der Ausstellung basiert auf dem Roman von Thomas Mann «Der Zauberberg». In der Ausstellung werden vier «Zauber Berge» vorgestellt.

Beim ersten handelt es sich um den Monte Verità, oberhalb von Ascona und dem Lago Maggiore gelegen, wo 1900 eine Lebensreform-Kolonie gegründet wurde. Der Schriftsteller Hermann Hesse verbrachte 1907 drei Wochen auf dem Monte Verità, wo sich Anarchisten, Naturisten und Vegetarier aus aller Welt trafen.

Der zweite «Zauber Berg» ist das Sanatorium «Lebendige Kraft» von Max Bircher-Benner am Zürichberg. Thomas Mann hatte vor seinem Kuraufenthalt in Bircher-Benners Sanatorium noch über das «hygienische Zuchthaus» gespöttelt, fand dann aber Gefallen daran. Der Schriftsteller reiste später wiederholt in Schweizer Sanatorien.

Gandhi in Leysin

Als «Zauber Berg» in der Ausstellung aufgeführt ist auch das in den Waadtländer Alpen gelegene Leysin mit seinen 80 Kliniken. Auch hier wurden illustre Gäste beherbergt. So besuchte etwa Mahatma Gandhi 1931 hier den französischen Schriftsteller Romain Rolland beim Kuren.

Der Arzt Auguste Rollier, der Begründer der Heliotherapie, nutzte in Leysin die Heilkraft der Sonne zur Behandlung von Knochen-Tuberkulose. Auf Fotos sieht man Kinder, die trotz Schnee nichts als Unterhose und Sonnenhut tragen – denn nach der Heliotherapie sollten die UV-Strahlen möglichst alle Organe erreichen.

Und dann ist da noch die Schatzalp oberhalb von Davos. An der Ausstellung im Landesmuseum sind die fast schon historischen Liegen aus diesem Sanatorium zu sehen.

Zäsur in Geschichte der Sanatorien

Die Ausstellung thematisiert auch die Innovation der Kräuterbonbon-Hersteller wie Ricola und anderer für ihre Gesundheit bekannte Schweizer Produkte wie etwa die Ovomaltine.

Auch Heidi aus dem Buch von Johanna Spyri, welche die kranke Klara aus der Stadt in die Berge holte, spielt für das Image der Schweiz als Gesundheitsparadies eine Rolle.

Eine Zäsur in der Geschichte der Sanatorien stellt namentlich die Erfindung des Streptomyzcins (von Streptomyces-griseus-Stämmen produziertes Antibiotikum) zur Behandlung von Tuberkulose dar.

Ab den 1960er-Jahren werden die herrschaftlichen Sanatorien in Rehabilitations-Kliniken, Hotels und Wellness-Zentren umgebaut.

Schweigen über die Nazis

Ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Sanatorien bleibt in der Ausstellung im Landesmuseum unerwähnt. Wie die Regisseurin Danielle Jaeggi 2008 in ihrem Film «A l’ombre de la montagne» (Im Schatten der Berge) zeigte, suchten auch zahlreiche Nazis die Davoser Kurhäuser auf.

«Es stimmt, dass zwischen 1933 und 1945 Nazis unter den Gästen in Davos waren», so Felix Graf. «Doch wir wollten dies nicht thematisieren, denn es steht nicht in direktem Zusammenhang mit dem Image der Schweiz als Gesundheitslandschaft.»

Ariane Gigon, swissinfo.ch, Zürich
(Übertragung aus dem Französischen: Corinne Buchser)

Die Ausstellung «Zauber Berge. Die Schweiz als Kraftraum und Sanatorium» im Schweizerischen Landesmuseum Zürich dauert bis am 15. August 2010.

Die Ausstellung schlägt den Bogen von der Lebensreform-Kolonie auf dem Monte Verità, zu den Höhenkliniken in Leysin und Davos sowie zu typischen Schweizer Produkten wie Ricola und Ovomaltine.

Laut den Kuratoren haben sowolhl die Gesundheits-Reformbewegung im 19. Jahrhundert als auch die heutige Bio-Nachfrage viel mit der Schweiz zu tun.

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