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Vom Stahlrohrmöbel zur Betonkirche

Marcel Breuer: Universitätsbibliothek Minnesota 1964 - 66. design-museum.de

Marcel Breuer gehört als Designer und Architekt zu den bedeutendsten Figuren des 20. Jahrhunderts. Er war der Erfinder des Stahlrohrmöbels und der Erbauer des Whitney Museums of American Art in New York.

Eine Ausstellung im Vitra Design Museum bei Basel stellt erstmals sein gesamtes Lebenswerk vor.

Etwas versteckt bei Luzern steht das Kloster Baldegg. Idyllisch fügt es sich in die Landschaft ein. Auffallend ist jedoch die Kapelle, ein flacher Betonbau mit rasterartiger Fassade und grosszügigem Innenraum.

Auf virtuose Weise werden hier die konstruktiven Möglichkeiten von Beton ausgeschöpft, um aussergewöhnliche Raumerlebnisse zu schaffen. Aber auch von Aussen überzeugt die Kapelle. Mit variantenreicher, plastischer Gestaltung wird das Formenvokabular der modernen Architektur ausgeschöpft.

Der Bau ist zwischen 1968 und 1972 entstanden; es ist eines der wenigen Gebäude, die Marcel Breuer in der Schweiz verwirklichte und ein exemplarisches Beispiel für seine spektakulären Kirchenbauten und seinen skulpturalen Umgang mit dem Material Beton.

Materialbewusstsein und Experimentierlust

Breuers Bauten zeichnen sich sowohl durch strenge Geometrie als auch durch organische Elemente aus. Sein wesentliches Talent, so Ausstellungskurator Mathias Remmele, liegt in der optimalen Erkennung und Umsetzung von den gestalterischen und konstruktiven Möglichkeiten, die in einem bestimmten Material stecken.

Sowohl im Möbeldesign wie in der Architektur ist diese Lust am Experimentieren zu beobachten. «Das Gespür für das Material ist eine wesentliche Klammer zwischen Breuers Arbeit als Designer und als Architekt», betont Remmele gegenüber swissinfo.

In jungen Jahren zum Erfolg

Marcel Breuer wurde 1902 in Ungarn geboren, wo er auch aufwuchs. Später studierte er am Weimarer Bauhaus, dessen Möbelwerkstatt er von 1925 bis 1928 sogar leitete.

Im Alter von nur 23 Jahren gelang ihm die als revolutionär zu bezeichnende «Erfindung» des Stahlrohrmöbels, die als sein zentraler Beitrag zur Designgeschichte gilt. Die Stahlentwürfe – etwa der berühmte Wassily-Sessel, der Bauhaus-Hocker oder diverse Freischwinger – stehen beispielhaft für das Design einer ganzen Epoche.

Nicht nur dank den Möbel aus Stahlrohr kam Breuer zu Weltruhm; auch mit den in den Dreissiger Jahren entstandenen Möbeln aus Aluminium und aus verformten Schichtholz inspirierte er nachfolgende Designergenerationen.

Vor allem das Aluminiummöbel, so Mathias Remmele, steht für eine neue Etappe in Breuers Schaffen als Möbeldesigner. Es war ihm gelungen, sowohl konstruktiv wie auch im Materialgebrauch eine Alternative zum Stahlrohrmöbel zu finden. Das Aluminiummöbel wurden von der Schweizer Firma Embru in Rüti produziert und von der Firma Wohnbedarf vertrieben.

Die Architektur als Lebensziel

Breuers eigentliches Ziel war es jedoch immer gewesen, Architekt zu werden. Er begann zwar als Designer, entwickelte sich aber von den Möbeln hin zum Bau von Einfamilienhäusern und Grossprojekten wie Kirchen und Museen.

Der Verlauf war nicht zufällig, sondern bewusst gewählt. Schon in einem Brief von 1932 schrieb Breuer, dass er sich ein persönliches Entwicklungsprogramm ausgearbeitet hätte und sich von den kleineren Einheiten zu Architektur hin entwickeln möchte.

In Europa gelang ihm der Durchbruch als Architekt wohl vor allem aufgrund der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkrieges nicht. Erst als er in die USA emigrierte, belebte sich seine Karriere auch auf diesem Gebiet.

Sein in New York ansässiges Büro profilierte sich zunächst mit Einfamilienhäusern. Ab den 50er Jahren sorgte Breuer aber auch mit prestigeträchtigen Grossbauten wie der UNESCO-Zentrale in Paris oder dem Whitney Museum of American Art in New York für Aufsehen.

Didaktisch und attraktiv

Die vom Vitra Design Museum konzipierte und organisierte Ausstellung ist die erste überhaupt, die die verschiedensten Schaffensbereiche Breuers gleichberechtigt berücksichtigt und einen Zusammenhang widergibt.

Die Schau ist im Bereich Möbeldesign thematisch aufgebaut, während die Architektur anhand von 12 exemplarischen Bauten dargestellt wird. Modelle, Pläne, Fotos, Dias und Texte vermitteln Hintergründe und unterschiedliche Ansichten.

Es ist eine Ausstellung, die sich nicht als Kunstausstellung versteht, sondern als didaktische Schau zu einem Aspekt der Industriegeschichte. Die Vermittlung geschieht jedoch auch auf eine äusserst spannende und attraktive Weise, was unter anderem der angenehmen Gestaltung der Ausstellung zu verdanken ist.

swissinfo, Carole Gürtler

Marcel Breuer: 1902-1981
Mit 23 Jahren erfand er den Stahlrohrsessel
1937 emigrierte Breuer nach Amerika und wurde Architekt
Breuer baute die Unesco-Zentrale in Paris und das Whitney Museum of American Art in New York
1972: Retrospektive des Metropolitan Museum in New York

Marcel Breuer gehört zu den einflussreichsten Gestaltern und Architekten des 20. Jahrhunderts. Eine Ausstellung im Vitra Design Museum in Weil am Rhein bei Basel stellt erstmals sein gesamtes Lebenswerk vor. Der Designer Breuer wird dem Architekten Breuer entgegengestellt. Zahlreiche Modelle ergänzen eine Fülle an Fotos und Plänen.

Das Vitra Design Museum befindet sich in einem Gebäude des Architekten O. Gehry. Es ist eines der weltweit führenden Museen für industrielles Möbeldesign und Architektur.

Die aktuelle Sonderausstellung «Marcel Breuer – Design und Architektur» dauert bis 23. Mai 2004.

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