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Von der Zürcher Teamarbeit zur Berliner Hierarchie

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In den vergangenen Jahren prägte sie den Umbau verschiedener Zürcher Quartiere erfolgreich mit. Seit 1.März 2007 ist Regula Lüscher Senatsbaudirektorin in Berlin.

Im Gespräch mit swissinfo äussert sich die Architektin und über ihre Vorstellungen von der deutschen Hauptstadt und über Unterschiede in der Umgangskultur.

In den Berliner Zeitungen steht, künftig werde eine Planungsgruppe die Bauprojekte rund um den Bahnhof Zoo koordinieren.

Das Verfahren ist neu für Berlin. Noch vor Wochen wollte der Senat dem Bezirk die Planungshoheit entziehen. Nun sollen die verschiedenen Akteure gemeinsam nach Lösungen suchen.

Das tönt nach jener Praktik, welche der Zürcher Stadtplanung internationale Anerkennung gebracht hat. «Ich glaube, ich habe schon etwas zu diesem Entscheid beigetragen», räumt Regula Lüscher ein und relativiert: «Aber es war auch ein Anliegen der Senatorin.»

Lüscher ist Baumeisterin einer Stadt, deren beispielloser und hochkomplexer Transformations-Prozess nicht abgeschlossen ist. Einer Stadt voller Brüche zwischen alt und neu, voller Brachen und Spuren der Geschichte.

«Freier Raum ist hier kein Problem. Die Herausforderung besteht darin, die Entwicklungen zu steuern. Wir wollen sie an gewissen Orten konzentrieren und anderswo offen lassen, statt überall ein wenig zu kleckern. Da brauchen wir die Zusammenarbeit mit den Investoren.»

Querdenker mit einbeziehen

Vorgänger Hans Stimmann war einem konservativen Architektur-Leitbild verpflichtet und in Fachkreisen umstrittenen. Die Berliner Regierung erhofft sich nun eine «offene Diskussion» und eine «kooperative und diskursive Prozessteuerung».

In den vergangenen Wochen habe sie sich vor allem eingearbeitet und Leute kennen gelernt, erzählt Regula Lüscher, «aber jetzt wollen alle eine Senatsbaudirektorin, die eine Meinung hat und sofort entscheidet, ob etwas städtebaulich so geht oder nicht».

Bei etlichen Projekten müsse sie Entscheide aus der Vergangenheit übernehmen. «Trotzdem habe ich auch meine eigene Haltung. Und da meinen eigenen Weg zu finden, das wird nicht ganz einfach.»

Dennoch dürfe man das kreative Potential nicht unterschätzen. Zwar könne sie nicht mehr, wie einst als Architektin, selbst Häuser entwerfen, aber «ein Stadtentwicklungs-Prozess bietet sehr viel Spielraum, Querdenker dazu zu nehmen, spannende Prozesse zu organisieren und kreative Lösungen zu produzieren.»

Die fehlende Kontrolle

Lüscher berät ihre Vorgesetzte, die Senatorin, in politisch-strategischen Fragen, aber auch fachlich. Zudem steuert sie die Diskussionen zwischen Investoren, Architekten und der Verwaltung.

Die Stadtplanung Berlin ist dezentralisiert. Die Baubewilligungsverfahren liegen in der Kompetenz der Bezirke. «So gesehen hat der Senat lediglich Einfluss auf die Bebauungspläne. Das ist sehr abstrakt. Man versucht dann in diesen Pläne zu viele Details zu definieren. Projekte können sich so nicht mehr frei entwickeln.»

In Zürich sei das anders gewesen. «Da waren wir viel direkter zuständig. Wir entwickelten Visionen und waren auch für das Controlling verantwortlich.»

Den Blick von aussen behalten

Einen grossen Unterschied ortet Lüscher im täglichen Umgang. «Die Verwaltung hier ist generell noch viel hierarchischer organisiert. Da werden ständig tausend Dinge die Leiter hoch und runter gereicht.»

Bereichsübergreifende Teams und Projektmanagement haben laut Regula Lüscher die Arbeit in Zürich geprägt. «Hier ist es anders. Für mich ist das nicht ganz leicht. Aber die Leute sind sehr engagiert und haben neben einem hohen Qualitätsanspruch auch den Willen, diese Stadt zu verändern. Das Klima ist offen und wir gewöhnen uns langsam aneinander.»

Ihren Weggang von Zürich bedauert die Senatsbaudirektorin nicht. «Es ist eine grosse Bereicherung, herauszufinden, was eigentlich hier stimmig ist und auch einen differenzierten Blick zu entwickeln, der sich der Geschichte und der Kultur annimmt. Aber ich werde immer einen Blick von aussen behalten.»

Überragend: Frank O. Gehry und Bruno Taut

Neue Regierungsbauten, Botschaften, Einkaufszentren, Museen, Bahnhöfe: Die zeitgenössische Architektur ist nicht zu übersehen.

«Berlin hat für mich kaum ein grosses Bauwerk, das mich vollends begeistert. Spannend finde ich, dass es Frank O. Gehry geschafft hat, in einer sehr rigiden Vorgabe ein ziemlich brillantes Haus zu erstellen.»

Als «tollen Ort» bezeichnet Lüscher die Gartenstadtsiedlung von Bruno Taut aus den 1920er-Jahren «Da kommt mir wirklich das Augenwasser. Es hat eben auch ganz tolle Orte, die Zeitgeschichte sind.»

Gerade weil die Geschichte so viel zerstört habe, nehme der Denkmalschutz eine zentrale Rolle ein. «Berlin muss so viel entwerfen und darum ist jeder Stein, der noch authentisch ist, wichtiger als in Zürich.»

swissinfo, Andreas Keiser, Berlin

1961 in Basel geboren.

1980 bis 1986 Studium in Basel und Zürich.

1987 bis 1988 Architektin im Büro Max Baumann & Georges Frey, Zürich.

1988 bis 1989 Architektin im Atelier von Adolf Krischanitz, Wien.

1989 bis 1998 gemeinsames Architekturbüro mit Patrick Gmür in Zürich.

1998 Berufung zur Bereichsleitung Architektur und Städtebau im Amt für Städtebau der Stadt Zürich.

2000 Beförderung zur Gesamtleitung Stadtplanung.

Ab 2001 stellvertretende Direktorin des Amtes für Städtebau.

In ihrer Funktion als Senatsbaudirektorin ist sie Chefin von 300 Miarbeiterinnen und Mitarbeitern.

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