Tödliches Design in der «Schusslinie»
Das Lausanner Museum für angewandte Kunst (Mudac) zeigt gegenwärtig eine Ausstellung über Waffen. Zufällig spiegelt dieses künstlerische Ereignis die Aktualität. Und es zeigt die paradoxen Beziehungen, die Menschen mit den Waffen pflegen.
Das Thema ist brandaktuell: Amoklauf an einer Schule in Florida, Verschärfung der EU-Rechtsvorschriften für Schusswaffen, Parlamentsdebatte in der Schweiz über ebendiese Verschärfung. Die Realität steht also mittendrin in der Ausstellung «Schusslinie» («Ligne de mire»).
Die Ausstellung im Lausanner MudacExterner Link (Museum für Design und angewandte Kunst) die erste ihrer Art in der Schweiz, ist aber nicht politisch. Sie gibt auch nicht vor, Fragen zu beantworten, die heute durch den Einsatz solcher Waffen aufgeworfen werden.
Doch was ist ihr Ziel? Die paradoxen Beziehungen zu zeigen, welche die Menschen mit Waffen pflegen, Objekte, die sowohl anziehend wie auch abstossend sind. Die ausgestellten Werke stammen aber nicht aus Waffenfabriken, sondern aus Ateliers von Designern, Fotografen, Bildhauern.
Zu sehen sind Werke von rund 30 Künstlerinnen und Künstlern aus der Schweiz und dem Ausland. Vom einfachen Revolver über die Kalaschnikow bis zu Schiessübungen in Form von Videoinstallationen.
Was verführt, ist die Schönheit der Waffe, manchmal in edle Materialien wie Gold gegossen. Was beängstigt, ist die Gefahr, die von diesen mörderischen Schönheiten ausgeht.
«Nicht auf Trump gewartet»
Diese Ausstellung, die schon seit geraumer Zeit vorbereitet wurde, ist daher ein zweischneidiges Schwert. «Dass sie nun hochaktuell ist, verdankt sie einer einfachen Verkettung von Umständen», sagt Susanne Hilpert Stuber, Kuratorin der Ausstellung, mit einem ironischen Unterton.
«Ich will damit sagen, dass das Mudac nicht auf Donald Trumps Position zum Waffentragen gewartet hat, bevor es ‹Ligne de mire› entworfen hat.» Sie habe seit drei Jahren grosse Kulturveranstaltungen in Europa (Mailänder Messe, Documenta in Kassel, usw.) besucht, um Ideen daraus zu schöpfen.
«Nach mehreren Besuchen habe ich angefangen, eine Sammlung von Werken aufzubauen, die alle Aspekte der Schusswaffe repräsentiert», erzählt sie. «Ich liess mich vom lexikalischen Begriff der Waffe inspirieren, um dann Werkgruppen zu bilden. Mit jeder Gruppe will ich versuchen, mich mit einem bestimmten Aspekt zu befassen: Militär, zivile Nutzung, Waffenschmuggel, die persönliche Leidenschaft, mit einem 3D-Drucker selber eine Waffe herzustellen, usw.»
Der Haarföhn-Revolver
Die Ausstellung geht über mehrere Säle des Museums, eingeteilt in Sektionen. Jede steht unter einem Motto: Einschlag & Ballistik, Frauenmobilisierung, Trainingszone, Klassifizierung & Herstellung… Dabei immer in der «Schusslinie» oder «im Visier»: das tödliche Design.
«Das ist es, was mich zuallererst interessiert. Heute gibt es Designer, die über die Automatisierung von Waffen nachdenken, sogar über deren Autonomie. Das ist eine soziale Realität, wie viele andere Realitäten, die wir im Mudac bereits unter dem Blickwinkel der Gegenwartskunst thematisiert haben, zum Beispiel Plastiksäcke», sagt Hilpert Stuber.
Unter den ausgestellten Künstlerinnen und Künstlern sind zwei Genferinnen: die weltbekannte Sylvie Fleury und Mai Thu Perret. Ihre Werke sind in der Sektion «Frauenmobilisierung» zu sehen. Und das zu Recht… Jede erzählt auf ihre Weise über die Beziehung, die Frauen zur Feuerkraft haben.
So hat Fleury frech einen Haartrockner in einen stylischen Revolver verwandelt. Hilpert Stuber gefällt diese Hybridisierung sehr: «Ich sehe darin eine Waffe der Verführung und des Schutzes zugleich.»
Militärische Frauen
Die zweite Genferin, Mai Thu Perret, pflegt einen dramatischeren Ansatz. Ihr Werk «Les Guérillères VIII» ist Teil einer Serie von Skulpturen, die Kämpferinnen in Militäruniformen zeigen. «Die Künstlerin interessiert sich sowohl für die neuen Formen des feministischen Aktivismus als auch für die Beteiligung von Frauen an bewaffneten Konflikten», sagt die Kuratorin.
Ihre «Guérillères» nehmen unter anderem Bezug auf eine Frauengemeinschaft, die sie selber erfunden hat. Eine fiktive Gemeinschaft, die autark lebt und in Syrien gekämpft hat. Der Bezug auf aktuelle Ereignisse ist offensichtlich. Doch er wird über die Phantasie geweckt. Schliesslich ist das ist die Eigenschaft aller künstlerischen Ausdrucksformen.
Mudac (Musée de design et d’arts appliqués contemporains)
Das im Jahr 2000 in Lausanne eröffnete Museum für Design und angewandte Kunst versteht sich als Museum für bereichsübergreifendes künstlerisches Schaffen.
Das ambitionierte Programm sieht pro Jahr fünf bis acht Ausstellungen, wechselnde thematische Projekte und «Cartes Blanches» für Schweizer und ausländische Designer vor, mit besonderem Augenmerk auf junges Kunstschaffen.
Ein einzigartiger und kühner Ansatz, der in der ganzen Welt bekannt ist und unter dem Ausstellungen von Paris bis Seoul reisen.
Regelmässig werden die Werke der ständigen Sammlung neu ausgestellt, damit die Besucher die Bestände des Museums über die Zeit hinweg in ihrer Gesamtheit sehen können.
Zudem öffnet das Museum seine Türen der darstellenden Kunst (Tanz, Performance, Musik…) und profiliert sich als Plattform zwischen den verschiedenen Kunstformen aus der Schweiz und aus dem Ausland.
(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
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