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Walliser-Dialekt – mitten in Argentiniens Pampa

Ein Tretwagen, alias Velo. Martin Gruber

Vor bald 150 Jahren gründeten fünf Oberwalliser Familien San Jeronimo Norte. Geblieben ist - als Überbleibsel aus dem Land der Vorfahren - der Walliser Dialekt. Allerdings sieht seine Zukunft in Argentinien düster aus.

«Es ist irgendwie komisch, hier meinen Dialekt zu hören. Und das in einer Art und Weise, wie er in den Walliser Tälern nicht mehr gesprochen wird», sagt Valentin Bacher, der mit seiner Frau Madeleine aus Münster im Obergoms nach San Jeronimo Norte gereist ist. Beeindruckt hat ihn vor allem die Begegnung mit einem alten Mann. Er, Valentin Bacher, habe sich gewundert, dass die Velos in San Jeronimo Norte keine Bremsen haben. Da habe der alte Mann ihn gefragt: «Wie nennt ihr das? Ein Velo? Das ist doch ein Tretwagen.»

Portraitmaschine und Luftschiff

Ausdrücke, die belustigen, befremden: Der Fotoapparat ist in San Jeronimo Norte die «Porträtmaschine», das Flugzeug ein «Luftschiff». Ausdrücke, wie sie die Vorfahren vor mehr als 100 Jahren aus dem Bergkanton über den Atlantik mitgenommen haben.

Verändert hat sich der Dialekt in der neuen Heimat nicht. Dazu fehlte der mündliche Austausch mit dem Herkunftsland. Und dass der Dialekt in San Jeronimo Norte bis heute überlebt hat, liegt darin, dass er bis in die dritte Einwanderer-Generation als Umgangssprache gesprochen wurde.

Lange eine eigene Welt gelebt

Die Kolonie, 1859 von Walliser Kolonisten und Kolonistinnen aus dem Boden gestampft, zog Einwanderer aus dem Wallis an und bildete in der argentinischen Pampa einen eigentlichen Mikrokosmos. Noch bis in die 60er-Jahre wurden Ehen grösstenteils unter Menschen mit Walliser Wurzeln geschlossen.

Allerdings hat sich bereits in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auf Druck der argentinischen Regierung als offizielle Sprache das Spanische etabliert.

«Valesanos brutos»

Der Walliserdialekt behielt damals auf den Bauernhöfen seine Existenzberichtigung. Im Dorf aber galten plötzlich jene, die ihn noch sprachen, als «Valesanos brutos» – grobschlächtige, hinterwäldlerische Walliser.

Für die Kinder dieser «Valesanos brutos» wurde der Schulanfang zum Spiessrutenlauf. Die 76-jährige Dehlia Imwinkelried, deren Grosseltern in den Anfangszeiten der Kolonie das Oberwallis verliessen, um sich in Argentinien eine neue Existenz aufzubauen, erzählt: «Beim Schulanfang habe ich kein einziges Wort Spanisch gesprochen.»

Und der 81-jährige Pedro Bürcher – wie Dehlia spricht auch er fliessend Walliserdialekt – erinnert sich an einen Mitschüler, der dieses Schicksal teilte: «Einmal sagte unser Lehrer zu ihm, er solle ‹el papa› schreiben. Mein Freund schaute mich ratlos an und sagte: Wie blöd, el (walliserdeutsches Wort für Öl, Anmerkung Red.) braucht man doch für Salat. Was hat das mit meinem Vater zu tun?»

Vor solchen Schwierigkeiten wollte Dehlia Imwinkelried ihre Kinder bewahren. Nie sprach sie mit ihnen im Walliserdialekt. So hielten es die meisten in jener Zeit und so kam es, dass die Sprache der Vorfahren zur Sprache der Alten wurde – veraltet in seiner Form und oft spanisch gefärbt.

Künftig Hochdeutsch als Bindeglied zum Wallis?

In 20 höchstens 30 Jahren wird es den Dialekt in San Jeronimo Norte nicht mehr geben. Bis auf ein paar Überbleibsel, ein paar Worte vielleicht. Ob die Leute aus dem Bergkanton dann immer noch in die ehemalige Walliserkolonie reisen? Valeria Welschen, die 26-jährige Deutschlehrerin am Sprachinstitut des Schweizer Vereins glaubt, dass Hochdeutsch in Zukunft das Bindeglied zwischen San Jeronimo Norte und dem Oberwallis sein wird.

In der 60-köpfigen Walliser Gruppe allerdings, die das Dorf vor wenigen Wochen besuchte, ist man sich einig. Es ist der Dialekt, der letztendlich die Faszination auslöst.

Er konfrontiert mit der eigenen Vergangenheit. Und das an einem Ort, wo im August Winter ist. Wo vollbehangene Orangenbäume in den Himmel ragen und nachts das Kreuz des Südens drüber wacht. Wo schachbrettartig angeordnete Strassen die Namen argentinischer Nationalhelden tragen: Sarmiento, Belgrano, de Garay. Wo der Blick frei ist bis dort, wo die Pampa mit dem Horizont verschmilzt.

Vor diesem Hintergrund wirkt dieser alte Walliserdialekt heimelig und fremd in einem – als Relikt einer vergangenen Zeit faszinierend.

Marie-Therese Karlen

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