Warum Private immer häufiger Kulturgüter an ihre Herkunftsstaaten übergeben
Rückführungen von – legal wie illegal erworbenen – Kulturgütern sorgen für Schlagzeilen und stellen Staaten und Museen auf der ganzen Welt vor rechtliche und ethische Herausforderungen. Häufiger wollen nun auch Private ihre Objekte restituieren. Ein Fall aus der Schweiz veranschaulicht das Vorgehen.
So etwas geschieht nicht alle Tage: Eine Sammlung mit mehr als 60 präkolumbianischen Objekten wurde an mehrere Staaten in Mittel- und Südamerika übergeben.
Dass die Schweiz Kulturgüter retourniert, ist weder eine Neuheit noch eine Seltenheit. In diesem FallExterner Link handelte es sich jedoch um eine Privatsammlung, die sich seit Generationen in Familienbesitz befand.
Sie wurde auf ausdrücklichem Wunsch der Besitzerin aufgelöst und die einzelnen Objekte an ihre Herkunftsstaaten übergeben.
Der vorliegende Fall ist «einmalig und einzigartig», sagt Fabienne Baraga. Sie ist im Schweizer Bundesamt für Kultur (BAK) die Leiterin der Fachstelle Internationaler Kulturgütertransfer.
Der vorliegende Fall könne dennoch exemplarisch für eine relativ neue Entwicklung gesehen werden, sagt Baraga: «Wir werden in den letzten Jahren vermehrt von Privaten kontaktiert, die Objekte in ihrem Besitz haben und abklären, wie sie sie ihren Herkunftsorten übergeben können. Man kann eindeutig von einem Trend sprechen.»
Im Zuge der Debatten um Kolonialismus sei die Sensibilisierung für solche Fragen offenbar auch bei Privaten gestiegen. Die Komplexität der Materie macht eingehende Abklärungen aber umso wichtiger, sagt Baraga.
Die häufigeren Abklärungen haben auch zu einer Zunahme von Rückführungen geführt: Im Jahr 2023 gab es 11 Restitutionen von 95 Objekten an acht Staaten, viel mehr als in den Jahren zuvor (die Zahlen des Bundes umfassen behördliche und freiwillige zusammen). Per Ende 2023 hatte die Schweiz insgesamt 6841 Kulturgüter restituiert.
Darüber hinaus gibt es private Rückgaben, die von Baragas Fachstelle gar nicht registriert sind. Etwa wenn Museen solche Restitutionen selbst organisieren.
Oder wenn Privatpersonen auf eigene Faust Objekte abgeben – aus Angst, sich mit dem Besitz haftbar gemacht zu haben oder gegen Gesetze zu verstossen.
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Der erwähnte Fall ist trotz des aussergewöhnlichen Umfangs aus einem weiteren Grund typisch. Bei der Eigentümerin handelt es sich um eine ältere Dame, welche die Sammlung geerbt hatte und sie nicht weitervererben wollte oder konnte. Genaueres ist nicht bekannt. Sie blieb gegenüber der Öffentlichkeit anonym.
«Wir werden immer wieder von Personen kontaktiert, die nicht wissen, was mit ihrer Sammlung machen sollen», so Baraga. Etwa weil sie keine Kinder hätten oder diese sich nicht dafür interessierten.
Dann gebe es auch jene, die Objekte geerbt hätten, diese aber nicht unbedingt haben wollen. «Weil sie nicht wissen, was damit anfangen – oder weil sie es ethisch für nicht vertretbar halten», sagt Baraga.
In der Regel wurden die Objekte legal erworben, jedoch nicht selten unter Umständen, die heute als problematisch betrachtet werden.
Dazu kommt, dass sich Staaten überall auf der Welt stärker für ihr kulturelles Erbe einsetzen. Vor allem lateinamerikanische und afrikanische Staaten haben ihre Bemühungen intensiviert. Es gebe eine grosse Dynamik, sagt Baraga.
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Die meisten Objekte aus der Sammlung wurden der mexikanischen Botschaft in Bern überreicht, die diese 24 Stücke dem Instituto Nacional de Anthropologia e Historia (INAH) weiterleitet, das für die Erforschung und Bewahrung des Kulturerbes Mexikos zuständig ist.
Unter dem abtretenden Präsidenten Andrés Manuel López Obrador wurde die Kampagne «Mi patrimonio no se vende, se ama y se defiende» («Mein Erbe ist nicht käuflich, es wird geliebt und verteidigt») gestartet.
Diese Kampagne spiegle das Engagement der derzeitigen Regierung wider, «Kulturgüter zurückzugewinnen, Auktionen und den illegalen Handel mit Kulturgütern zu verhindern und mit der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten, um diese Güter zu schützen», schreibt die mexikanische Botschaft auf Anfrage.
Und: In den letzten fünf Jahren allein seien 13’500 archäologische Stücke und historische Objekte aus der ganzen Welt an Mexiko retourniert worden.
Ähnlich geht Kolumbien vor, das ebenfalls Objekte aus der Schweizer Sammlung erhalten hat. Mit dem Instituto Colombiano de Antropologia e Historia (ICANH) hat es ebenfalls eine zentrale Institution, die für die Erforschung und Bewahrung rückgeführter Artefakte zuständig ist.
In den letzten zwei Jahrzehnten gab es eine Zunahme von Rückführungen, teilt die kolumbianische Botschaft in der Schweiz mit. Besonders seit 2022 Gustavo Petro regiert, seien mehr Objekte zurückgegeben worden.
Den rechtlichen Rahmen dafür gebe es aber bereits seit den 2000er-Jahren. Dieser setze einen Fokus auf die Vorbeugung und Bekämpfung des illegalen Handels mit Kulturgütern.
In der Schweiz geht man davon aus, dass solche privaten und freiwilligen Rückführungen zunehmen werden – wenn auch höchstens selten in der Grössenordnung dieser Sammlung.
Die Zusammenarbeit zwischen den Behörden in der Schweiz und den betroffenen Ländern hat sich jedenfalls etabliert. Das BAK schreibt, das Engagement unterstreiche «den Beitrag zur Erhaltung des kulturellen Erbes der Menschheit».
Editiert von Benjamin von Wyl
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