Welterbe-Stadt feiert ihren Stadtheiligen
In St. Gallen feiern Stadt, Kanton und die Kirchen in diesem Jahr die Ankunft des irischen Wandermönchs Gallus vor 1400 Jahren. Einige Fragen über die Herkunft des Stadtgründers sind immer noch offen.
Laut gewissen Dokumenten stammt Gallus aus der nordirischen Stadt Bangor. Es gibt jedoch auch Zweifler an dieser Theorie. Kürzlich hat der Historiker Max Schär ein Buch publiziert, in dem er darlegt, Gallus stamme aus dem Elsass, denn der Mönch habe Deutsch verstanden und auch auf Deutsch gepredigt.
Die Stiftsbibliothek St. Gallen zeigt zurzeit eine Ausstellung zum Thema. Gallus stamme aus Irland und habe dem St. Columbanus-Orden angehört, sagt Bibliotheks-Leiter Ernst Tremp gegenüber swissinfo.ch. «Er trennte sich von seinen Ordensbrüdern und zog in das Steinach-Tal, wo zu dieser Zeit natürlich weder eine Stadt, noch ein Kloster angesiedelt war.»
Herkunft nicht entscheidend
«Zuerst baute er eine Kapelle und lebte mehrere Jahrzehnte dort. Er predigte und missionierte. Im Jahr 640 starb er. Später wurde über seinem Grab ein Kloster gebaut», erzählt Tremp. Was die Herkunft von Gallus betreffe, gebe es gute Argumente für beide Thesen.
«Ich denke, die Frage ist nicht entscheidend. Wichtiger ist, dass er wirklich dem St. Columbanus-Orden angehörte, dass er sich als irischer Mönch bezeichnete und dass er streng nach den Regeln des Ordens lebte.»
Legende vom Bären
Laut alten Quellen reiste Gallus vom nordirischen Bangor zusammen mit 12 Mitreisenden über das in den französischen Vogesen liegende Kloster Luxeuil und über Metz an den Bodensee. Im Jahr 612 hat sich Gallus von der Gruppe getrennt und gelangte alleine in die Mülenenschlucht mit ihrer wilden Vegetation. Er interpretierte das als Zeichen Gottes und entschloss sich, dort zu bleiben.
Die Ausstellung präsentiert auch eine Tafel aus Elfenbein. Es handelt sich um die älteste Illustration der Legende um Gallus. Sie zeigt Gallus, wie er einem Bären, der plötzlich auftaucht und sich gefährlich aufrichtet, sagte, er solle ein Stück Holz ins Feuer legen. Anschliessend soll Gallus dem Bären ein ganzes Brot gegeben haben. Dabei habe er ihm gesagt, er solle sich nicht mehr in der Nähe der Menschen zeigen. Laut der Legende ist der Bär nie wieder aufgetaucht.
Pilgerort
Nach seinem Tod wurde Gallus zum Heiligen erklärt und sein Grab zum Pilgerort. «Wir wissen nicht mehr, wo das Grab war. Doch in der Stiftskirche hat es eine Gruft mit einem Reliquienschrein, der dem Schädel von Gallus nachempfunden ist» so Tremp.
Hundert Jahre nach Gallus Tod wurde ein Kloster gegründet. Es nahm bald die Rolle einer wichtigen Ausbildungsstätte ein. Die Stadt entwickelte sich auch dank der florierenden Stickerei-Industrie zu einem wirtschaftlichen Zentrum. Seit 1983 gehören die Klosterkirche und der Stiftsbezirk zum Weltkulturerbe der Unesco.
In der ganzen Stadt präsent
Die Wallfahrten nach St. Gallen sind seit den 1960er-Jahren weniger populär geworden, doch Gallus hat zweifelsohne seinen Einfluss hinterlassen, indem er der Stadt, dem Kanton und dem Bistum zu ihren Namen verholfen hat. Am 16. Oktober feiert die Bevölkerung jeweils den Gallus-Tag.
Für den St Galler Stadtpräsidenten Thomas Scheitlin ist 2012 ein sehr wichtiges Jahr für die Stadt. Der offizielle Festakt zum Auftakt des Gallus-Jahres fand am 20. April statt. Bis im Oktober gibt es zahlreiche Ausstellungen, Konzerte, Wanderungen und historische Führungen.
Scheitlin hofft, dass St Gallen dadurch auch mehr internationale Ausstrahlung gewinnen wird: «Ich hoffe, dass möglichst viele Leute nach St Gallen kommen und so die Stadt mit ihrer Kathedrale, der Universität und ihrem Kulturprogramm entdecken werden. Gallus wird überall in der Stadt präsent sein.»
Auf den Spuren von Gallus
Im Rahmen des Jubiläums haben sich vier St. Galler entschlossen, es Gallus gleichzutun und 1400 Jahre später denselben Weg unter die Füsse zu nehmen. Nach Ostern sind sie im nordirischen Bangor aufgebrochen.
«Ich habe mir gesagt,› jemand muss diesen Originalweg ablaufen› und habe drei Kollegen gefunden, die mitkommen», sagte der Initiant Reinhard Frei vor der Reise gegenüber swissinfo.ch: «Es wird eine Herausforderung sein, den Weg zu finden, den Gallus damals gegangen war. Wir werden viel auf Asphalt gehen müssen und Berge und Hügel zu überwinden haben. Wir hoffen, dass wir Menschen begegnen werden, die offen sind, mit uns über dieses Thema zu diskutieren.»
Das Gallus-Jubiläum steht unter dem Motto «Aufbrechen – Ausstrahlen – Vernetzen».
An der Gallusstrasse 11, in einem Haus, das der Stadt St. Gallen gehört, wurde in Zusammenarbeit mit der Tourismus-Organisation St. Gallen-Bodensee ein Besucherzentrum eingerichtet. Dieses soll über das Jubiläum hinaus bestehen bleiben.
Das Jubiläum dauert von April bis Oktober. Insgesamt bieten über 50 Projektträger im ganzen Kanton über 300 Veranstaltungen und Projekte zum Jubiläum an; diese umfassen Musik, Kunst, Wanderungen, Führungen, Unterhaltung, Historisches, Begegnung.
Das Gallus-Jubiläum 2012 hat ein Budget von rund drei Millionen Franken. Je 1,25 Millionen Franken steuern der Kanton und die Stadt St. Gallen bei. 200’000 Franken stellt der katholische Konfessionsteil des Kantons St. Gallen bereit, 30’000 Franken steuert der evangelisch-reformierte Konfessionsteil bei.
(Übertragung aus dem Englischen: Andreas Keiser)
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