Wem gehört Franz Kafka?
Ein Streit um Dokumente und Handschriften des 1924 verstorbenen Schriftstellers Franz Kafka führt bis in die Schweiz. Mittels israelischem Gerichtsbeschluss wurden in Zürich vier Bankschliessfächer geöffnet, in denen die Papiere seit Jahrzehnten verwahrt wurden.
Kafka, dessen Romane «Das Schloss» und «Der Prozess» zur Weltliteratur zählen, ist zum Zankapfel von privaten Erben und staatlichen Institutionen geworden. Begonnen hatte der Streit bereits vor zwei Jahren vor einem Gericht in Tel Aviv.
Dabei klagte die israelische Nationalbibliothek gegen die Schwestern Eva und Ruth Hoffe, die den Kafka-Nachlass von ihrer Mutter Esther geerbt hatten. Diese wiederum hatte ihn als Sekretärin von Kafkas Freund und Nachlass-Verwalter Max Brod geschenkt bekommen, der 1968 in Tel Aviv starb.
Die Nationalbibliothek ficht das Erbe an mit der Begründung, bei den Schriften handle es sich um nationales Kulturerbe, das der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müsse.
Nun setzte die Klägerin mittels eines Gerichtsbeschlusses durch, dass die zehn Banksafes der Geschwister Hoffe geöffnet werden, in denen die Manuskripte lagern. Vier davon befinden sich bei der Schweizer Grossbank UBS in Zürich. Ein Sprecher der UBS wollte gegenüber swissinfo.ch nicht Stellung nehmen zu dem Fall. Man gebe keine Auskünfte über Privatkunden, sagte er.
Ambivalente Affäre
Für Reto Sorg, den Leiter des Robert Walser-Zentrums in Bern, ist die Tatsache, dass Manuskripte eines Schriftstellers zur Staatsaffäre werden, überraschend. «Einerseits ist es erfreulich, dass literarische Texte im Nachhinein eine so grosse Bedeutung bekommen. Problematisch ist dagegen, wenn sie zu nationalen Kulturgütern erklärt werden und staatliche Autoritäten ihre Hand drauf legen», sagt Sorg gegenüber swissinfo.ch
Franz Kafka war ein Zeitgenosse des Schweizers Robert Walser. Obwohl man nichts über eine persönliche Begegnung der beiden Schriftsteller weiss, verbindet sie vieles.
«Beide kommen von den Rändern des deutschen Sprachraums und hatten zu Lebzeiten nicht den Erfolg, den sie heute haben. Ausserdem setzten sie sich intensiv mit Autoritäten auseinander, wie das im 20. Jahrhundert zum grossen Thema wurde», erläutert Sorg und ergänzt: «Kafka hat Walser gelesen und besonders für seinen Humor geschätzt.»
Persönlich gekannt und mehrmals in Zürich getroffen hätten sich dagegen die beiden Freunde und späteren Nachlassverwalter der beiden Schriftsteller, Carl Seelig und Max Brod. Letzterem ist es zu verdanken, dass so vieles von Kafkas Werk erhalten geblieben ist.
Denn der selbstzweiflerische Schriftsteller hatte testamentarisch angeordnet, dass sein unveröffentlichtes Werk vernichtet werden solle, darunter die beiden Romane «Das Schloss» und «Der Prozess». Brod habe dagegen als Anwalt eines übergeordneten Interesse alles getan, um Kafkas Werk zu bewahren, zu vermitteln und in die Welt hinauszutragen, sagt Sorg.
Aus Kafka lässt sich Kapital schlagen
Auf den ersten Blick mag überraschen, dass gerade Israel Kafkas Werk für sich beansprucht, schrieb der Schriftsteller doch deutsch und stammte aus Prag. «Dieser Konflikt spiegelt die historischen Umständen, in denen Kafka lebte und an denen er litt», betont Sorg. «Er fühlte sich sowohl dem deutschen Sprachraum wie auch seiner Heimatstadt Prag und als Jude ausserdem der jüdisch-zionistischen Kultur zugehörig.»
Die Frage, wer denn nun einen berechtigten Anspruch an Kafkas Nachlass geltend machen könne, hält der Literaturwissenschafter für schwierig zu beantworten: «Wichtig ist, dass die Textzeugen des Werks nicht weiter zerstreut werden.»
Die Sorge ist berechtigt, denn inzwischen lässt sich mit Kafka viel Geld machen. Tatsächlich wurde das Manuskript von Kafkas Roman «Der Prozess» bereits für zwei Millionen Dollar ans Literaturarchiv in Marbach verkauft.
Was in den jetzt geöffneten Banktresoren genau zum Vorschein kommt, bleibt der Öffentlichkeit vorläufig vorenthalten, denn die Erbinnen haben eine richterliche Nachrichtensperre verhängt.
Im Auftrag der israelischen Nationalbibliothek erstellt eine Literaturwissenschafterin und Kafka-Expertin ein Inventar der Dokumente. Dieses wird für das Gericht in Tel Aviv die Basis sein, auf der es seine Entscheidung fällen wird, ob der Kafka-Nachlass in Privatbesitz bleibt oder als nationales israelisches Kulturgut der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
Susanne Schanda, swissinfo.ch
1883 als Kind jüdischer Eltern in Prag geboren, wuchs Franz Kafka in der deutschsprachigen Minderheit im damaligen Österreich-Ungarn, später Tschechoslowakei auf und besuchte dort die deutschen Schulen.
Seit 1902 war er mit Max Brod befreundet, der später Kafkas Nachlass verwaltete.
1906 schloss er sein Rechtsstudium ab und begann ein Praktikum am Gericht.
Ab 1908 erste literarische Veröffentlichungen.
Zum Wichtigsten aus Kafkas Werk gehören die Erzählungen «Das Urteil», «Die Verwandlung», «Brief an den Vater» und die Romane «Das Schloss» und «Der Prozess».
Zu Lebzeiten wurde nur weniges veröffentlicht, und der Autor war kaum bekannt.
In seinem Testament ordnete er an, dass sein bisher unveröffentlichtes Werk vernichtet werden solle.
Kafka litt an Lungentuberkulose und starb 1924, erst 41-jährig in einem Sanatorium in Klosterneuburg (Österreich).
Max Brod setzte sich über das Testament hinweg und veröffentlichte Kafkas Werk posthum.
1939, kurz vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in Prag, flüchtete Brod mit den Schriften nach Israel, wo er 1968 verstarb.
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