Wenn Deep Purple den Tiger los lässt
Das 40. Jazzfestival Montreux ist am Samstagabend mit einem Konzert von Deep Purple, den Helden dieses Jahres, zu Ende gegangen. Ein Gespräch mit Ian Gillan, dem legendären Sänger der Band.
Die virtuosen Musiker von Deep Purple werden allzu oft auf die Erfindung des Hard Rock reduziert, besonders auf den Welthit «Smoke on the Water», den sie 1971 in Montreux geschrieben haben.
Zum Abschluss der unvergesslichen 40. Ausgabe des Jazzfestivals Montreux haben Deep Purple im Auditorium Stravinsky das Publikum begeistert.
Deep Purple spielten die Perlen aus ihrem grandiosen Repertoire (von «Pictures at Home» über «Black Night», das monumentale «Space Truckin», «Hush» und natürlich «Smoke on the Water»), und einige ebenso starke Neuheiten («Rapture of the Deep», «Wrong Man», «Kiss Tomorrow Goodbye»).
Alles mit einer konkurrenzlosen Lautstärke sowie einer Freude am Spielen, die sofort aufs Publikum übersprang.
Unmittelbar vor dem Konzert hat swissinfo am Telefon mit dem Sänger Ian Gillan gesprochen.
swissinfo: Es ist das Deep Purple-Jahr in Montreux. Sie sind auf dem Plakat der 40. Ausgabe und bestreiten den letzten Abend in Montreux, der sonst den Jazz-Legenden reserviert ist…
Ian Gillan: Ja, es ist unglaublich. Die Beziehung zwischen Deep Purple, Montreux und Claude Nobs ist eine einzige schöne Geschichte. Als wir jung waren, spielten wir einmal in der Woche in einem kleinen englischen Club, wo wir alle kannten. Heute in Montreux zu spielen ist fast dasselbe. Und kein Festival kann sich mit Montreux messen.
swissinfo: Ihr letztes Studioalbum, «Rapture of the Deep», hat ein elegantes, poetisches Cover, das Gegenteil des Hard Rock-Klischees. Haben Sie Ihr Image satt?
I.G.: Wenn man jung ist, hat man eine Lieblingsfarbe, ein Lieblingstier, ein Lieblingsding. Die Welt ist weiss oder schwarz, man hat Antworten auf alles, man sieht die Welt eindimensional. Wenn man älter wird, entwickelt man eine reifere Lebensphilosophie. Dieses Image, das man in der Jugend braucht, um den Mangel an Erfahrung zu kompensieren, das haben wir hinter uns gelassen.
swissinfo: Der diesjährige Plakatgestalter Julian Opie spricht in einem Artikel über die «wilde» Art von Deep Purple.
I.G.: Der Begriff «wild» scheint mir nicht richtig. Alles ist unter Kontrolle. Es müsste eher «abenteuerlich» heissen. Vor einem Konzert bin ich immer sehr aufgeregt, aber ich widme jeden Tag einen Moment der Meditation, der Siesta, ich versuche, ganz ruhig zu werden, denn das Adrenalin muss ich bis zum Moment auf der Bühne zurückhalten.
Und da ist es dann schon, als ob die Tür des Käfigs geöffnet und der Tiger losgelassen würde. Ja, vielleicht ist es letztlich doch wild.
Wie auch immer. Die Herausforderung ist, dass es mit Deep Purple keine Routine gibt. Wir spielen oft die gleichen Songs, aber wir wissen nie, was passieren wird, und das ist extrem schwierig.
swissinfo: Sie haben mir einmal gesagt, dass Sie «Smoke on the Water» seit 1972 bei jedem Konzert, mit jeder Band spielen. Kann das noch ein Vergnügen sein?
I.G.: Eine grenzenlose Freude. Denn es gibt nicht nur die Band, da ist das Publikum. Das ist schon fast eine spirituelle Angelegenheit. Der Song gehört nicht mehr uns. Wir werden zur Band, die die Menge begleitet.
swissinfo: 1971 hat das Casino von Montreux gebrannt und Sie haben das Album «Machine Head» aufgenommen. Was für ein Bild ist Ihnen von dieser Zeit geblieben?
I.G.: Das Visuelle überdauert die Zeit – der Rauch, das Feuer, die Angst -, aber das stärkste ist die Erinnerung an den letzten Aufnahmetag.
Unser Manager Martin Birch sagte uns, dass noch sieben Minuten Material fehlten und wir dafür noch 24 Stunden Zeit hätten. Also hörten wir uns die Aufnahmen des Soundchecks vom ersten Tag noch einmal an. Dort fanden wir die Grundzüge zum Song, der schliesslich «Smoke on the Water» wurde.
Der Bassist Roger Glover schlug vor, den Text über das eben Erlebte zu schreiben. Dieser Moment war der Abschluss der aufregendsten Aufnahme, die es je gegeben hat!
swissinfo: Sie spielen am 40. Jazzfestival Montreux, haben am 30. gespielt (CD und DVD «Live in Montreux» sind gerade erschienen. Dürfen wir Sie auch an der 50. Ausgabe erwarten?
I.G.: Das wäre genial!
swissinfo-Interview: Bernard Léchot
(Übertragung aus dem Französischen: Susanne Schanda)
Deep Purple wurde 1968 als Band gegründet und hat im folgenden Jahr zu ihrer klassischen Formation gefunden. Zusammen mit Led Zeppelin als Begründer des Hard Rock angesehen (Album «In Rock»), ist ihre Musik zugleich von klassischen und manchmal jazzigen Einflüssen geprägt.
In Montreux haben Deep Purple «Smoke on the Water» komponiert, nach einem Brand des Casinos beim Konzert von Frank Zappa am 4. Dezember 1971 (Album «Machine Head»).
Seit dem März 2002 spielen Deep Purple in ihrer aktuellen Formation, die Ian Gillan (Gesang), Roger Glover (Bass), Ian Paice (Drums), Steve Morse (Gitarre) und Don Airey (Piano) einschliesst.
Neuste Alben: «Rapture of the Deep» (Edel Records 2005) und «Live in Montreux» (Eagle Vision – Naïve 2006)
Das 40. Jazzfestival hat rund 100’000 zahlende Besucher registriert. Letztes Jahr waren es 88’000. Die Säle waren zu 88% ausgelastet.
Zusammen mit den Gratis-Konzerten zählte Montreux gar 230’000 Besucher.
Doch bleibt das finanzielle Gleichgewicht des Festivals unsicher. Festival-Gründer Claude Nobs hat bei der öffentlichen Hand um finanzielle Unterstützung angefragt.
Im November erscheint «Montreux Jazz Festival 40th», ein 1200-seitiges Werk von Perry Richardson.
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