«Wenn die Leichen weg sind, ist hier Totenstille»
Illegale Schrotthalde oder Naturpark, Zeitzeuge und Kultstätte: Die Wracks des bekanntesten Autofriedhofs der Schweiz im bernischen Kaufdorf wurden am Samstag versteigert. Gekommen sind rund 3000 Händler, Sammler und Schaulustige aus halb Europa.
Er war Garagist. Jetzt er steht neben einer BMW-Schnauze, die von Moos überwachsen und von einem Baum durchschnitten aus dem Dickicht ragt.
«Ich bin extra aus Holland gekommen. Das kann man nur einmal im Leben sehen. In Holland hätte sowas längst verschwinden müssen», sagt der Sammler von Oldtimern. «Kaufen will ich nichts, der Zustand der Autos ist so schlecht, dass sich der Transport nach Holland nicht lohnt.»
Sie tragen Namen wie «Sonderklasse», «Kapitän» oder «Capri» und sind ab 50 Franken zu haben.
«Sie kaufen Kult, sie kaufen nicht einfach ein Auto», ruft der Auktionator.
Dennoch bleibt er auf den einstigen Träumen des Wirtschaftswunder-Kleinbürgertums sitzen. Ein Fiat bringt immerhin 500 Franken ein, ein Opel Rekord geht für 600 Franken weg.
Nummerierte Rostlaube für 17’000 Franken
Jetzt erscheint ein rotes Mercedes 190 SL Cabriolet, Jahrgang 1955 auf dem Grossbildschirm. Anfangspreis: 10’500 Franken. Innert kürzester Zeit steigt der gebotene Betrag auf 17’000 Franken. Die Rostlaube ist verkauft.
Gekauft haben sie zwei Franzosen, die zuvorderst am Ring stehen und offensichtlich auf Grosseinkaufstour sind. «Wir kommen aus Strassburg und kaufen hier Autos, weil wir ein Museum machen wollen», erzählen sie. «Das Museum werden wir in der Gegend von Strassburg bauen, wo genau können wir nicht sagen. Es wird der Öffentlichkeit nicht zugänglich sein. Wir haben einfach eine Leidenschaft für dieses Erbe.»
Mehr wollen die beiden nicht sagen. Immerhin räumen sie ein, dass der SL, für den sie 17’000 Franken hinblättern, auch mit einer aufwändigen Restauration nie mehr einen fahrtüchtigen Zustand erleben wird.
«Viele kaufen hier einzelne Teile, die Fahrgestellnummer oder den Fahrzeugausweis. Die Fahrgestellnummer bauen sie dann in ein anderes Fahrzeug ohne europäische Zulassung ein. Gut erhaltene Mercedes SL von 1955 haben eine hohen Marktwert», sagt ein Oldtimerhändler aus Frankfurt auf die Frage, wieso denn jemand 17’000 Franken bezahle für ein solches «Fahrzeug».
Jahrzehntelanger Streit
«Für diesen Ramsch würde ich nichts bezahlen», sagt ein Besucher, «aber den Friedhof hätten sie lassen können. Die Armee verschmutzt die Umwelt viel stärker». – Nein, kaufen wolle er nichts, erzählt auch Dominique Keller, der zusammen mit autobegeisterten Freunden aus dem jurassischen Delsberg angereist ist. «Es braucht den ökologischen Fortschritt, aber dieses historische Erbe hätte man erhalten sollen.»
«Liebe Trauergemeinde», sagt der Auktionator. «Wenn die Leichen weg sind, dann ist hier Totenstille», klagt Franz Messerli, der Besitzer der Schrottplatz-Idylle. Seit 1975 – damals übernahm er den Friedhof von seinem Vater – liegt Messerli «ohne Unterbruch bis zum heutigen Tag» mit den Behörden im Streit.
Noch vor wenigen Monaten wollten die Behörden den Autofriedhof zwangsräumen. Sie liessen sich schliesslich umstimmen und gaben die Erlaubnis für eine Versteigerung. Bis Ende November 2009 hat Messerli noch Zeit, das Gelände zu räumen. So will es ein Gerichtsbeschluss, der das Ende eines mehr als 10 Jahre dauernden Rechtsstreits markiert.
Die auf dem unbefestigten Gelände gelagerten Oldtimer verseuchten den Boden, argumentieren die Behörden und berufen sich auf das Umweltschutzgesetz. Autoliebhaber, Technikhistoriker und Kunstfreunde wollten den über Jahrzehnte entstandenen Schrottplatz, auf dem sich Pflanzen und Fauna ihren Lebensraum längst zurück erobert haben, als Freiluftmuseum erhalten.
Verliebt in einen rostigen BMW
«Wenn sie wirklich ein Museum hätten machen wollen, dann hätten sie auch Pläne auflegen müssen», sagt Silvia Messerli, Eisenplastikerin und Nachbarin des Autofriedhofes. «Ein Museum braucht einen Eingang, gesicherte Wege und Toiletten. Pläne hat der Franz aber nie aufgelegt. Da verstehe ich die Gemeinde.»
Angst davor, die Wracks könnten das Trinkwasser verschmutzen, hat Silvia Messerli nicht. «Ich gehe oft mit dem Hund hier spazieren. Im Bach hat es Fische, das Wasser ist sauber.»
Auch Silvia Messerli steht im Ring. Für einen BMW 501 – in den 1950er-Jahren automobile Oberklasse – werden schlussendlich 600 Franken geboten. Sie hat bis 500 Franken mitgemacht. «Ich habe den BMW auf einem Spaziergang fotografiert und mich in das Auto verliebt. Aus den Einzelteilen hätte ich eine Eisenskulptur geschweisst.» Leider sei sie überboten worden, «aber der wäre auch noch schön», sagt sie und zeigt auf ein Bild im Auktionskatalog.
Andreas Keiser, Kaufdorf, swissinfo.ch
Rund 3000 Personen aus dem In- und Ausland sind am 19. September zur Versteigerung von über 800 Oldtimer-Wracks auf den Autofriedhof im bernischen Kaufdorf gepilgert.
Der ausgabefreudigste Bieter zahlte knapp 20’000 Franken für einen Porsche aus den 1950er-Jahren.
Ein weiterer Höhepunkt war ein Mercedes von 1955, der für 17’000 Franken ersteigert wurde.
Fast zwei Drittel der Wracks fanden neue Besitzer. Die übrigen Karossen werden verschrottet.
Wie viel Geld die Versteigerung auf dem umstrittenen Autofriedhof in der Gemeinde zwischen Bern und Thun eingebracht hat, ist noch nicht bekannt.
Die Kautionssumme von 250’000 Franken, die die Organisatoren bei der Gemeinde als Barsicherheit hinterlegt hatten, wurde jedoch deutlich übertroffen.
2008 verschaffte ein Kunstprojekt dem Autofriedhof internationale Beachtung.
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