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Wer ist Stefan Bachmann, der Schweizer im Wiener Burgtheater?

Der designierte Burgtheaterdirektor Stefan Bachmann am Dienstag, 23. April 2024, anl. der Spielplan-Präsentation der Burgtheater-Saison 2024/25 im Burghteater in Wien.
Der designierte Burgtheaterdirektor Stefan Bachmann am Dienstag, 23. April 2024, anlässlich der Spielplan-Präsentation im Burghteater in Wien. KEYSTONE-APA/Helmut Fohringer

Mit Stefan Bachmann ist der wichtigste Chefposten der deutschsprachigen Theaterwelt ab September mit einem Schweizer besetzt worden. Bachmann war bereits Hausregisseur in der Skandalzeit des Burgtheaters. Was ist von ihm zu erwarten?

Das Wiener Burgtheater hat eine bemerkenswerte Reputation in der deutschsprachigen Theaterwelt. Unter Matthias Hartmann, der das Burgtheater von 2009 bis 2014 leitete, wurde es aber von mehreren Skandalen durchgerüttelt. In dieser Zeit war Stefan Bachmann bereits dort Hausregisseur. Nun wird der Schweizer Regisseur selbst Intendant in der Wiener „Burg“.

Damals erlebte Bachmann, wie manche Regisseure ihre Gage im Plastiksack abholten. Später mussten sich Teile der Burgtheaterführung vor Gericht wegen Steuerhinterziehung und Bilanzfälschung verantworten. Auszahlungen ohne Belege waren nur die Spitze des Eisberges.

Bachmann blickt im Gespräch mit SWI Swissinfo.ch eher amüsiert auf die damalige Zeit zurück und teilt seine Beobachtungen: „Ich habe das wahnsinnig toll gefunden, weil ich ja nicht aus der Schweiz weggegangen bin, weil ich unbedingt Bankier werden wollte, sondern ich bin aus der Schweiz weggegangen, weil mich diese Pedanterie in meiner Kreativität behindert hat und das hat mich eher beklommen gemacht, wie aufgeräumt und ordentlich die Schweiz ist, und dann kommt man dann in dieses etwas korrupte Klima hinein und ich fand das lustig, aber mir war das Ausmass damals eigentlich auch gar nicht klar.“

Jetzt hat Bachmann selbst die Verantwortung für das Haus und wird solche Eskapaden nicht gestatten wollen. Allerdings wurde auch Bachmann 2018 als Theaterleiter in Köln gemeinsam mit seiner Frau der Schauspielerin Melanie Kretschmann beschuldigt, ein „Klima der Angst“ geschaffen zu haben. Bachmann reagierte mit der Einsetzung einer externen Untersuchung zur Klärung.

Er bringt auch Gewagtes auf die Bühnen

Auf den „Brettern, die die Welt bedeuten“ ist von Bachmann auch Unkonventionelles zu erwarten. Bereits als Schauspieldirektor in Basel (1998-2003) hat er Mut zu ungewöhnlichen Inszenierungen bewiesen. Das Stück „Der seidene Schuh“ vom sehr katholischen Paul Claudel hat er als achtstündiges Pop-Trash-Spektakel auf die Bühne gebracht. In Wien inszenierte er 2012 die „Winterreise“ der österreichischen Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek als steile Skipiste, die kaum bespielbar war, und heimste dafür seinen zweiten „Nestroy“-Preis ein.

Still von Elfriede Jelineks "Winterreise", inszeniert von Stefan Bachmann in Köln.
Still von Elfriede Jelineks «Winterreise», inszeniert von Stefan Bachmann in Köln. Schauspiel Köln

In Köln brachte Bachmann dann auch zwei weitere Stücke mit Jelineks Texten („Schnee Weiss“ und „Schwarzwasser“) auf die Bühne. Auch in seinem ersten Spielplan in Wien findet sich Jelineks Gegenwartsdramatik: „Burgtheater“, das von ebenjenem Theater während der Nazizeit handelt. Das Stück wird von einem weiteren Schweizer inszeniert: Milo Rau, der in Wien seit 2023 als Intendant der Wiener Festwochen tätig ist.

Dieser sorgte, fast zeitgleich mit Bachmanns Spielplanpräsentation, wieder mal für einen politischen Skandal: Vermummt mit roter Haube verkündete er auf den Beginn der Wiener Festwochen hin, also ab 17. Mai, die „Freie Republik Wien“. So will Rau seine Solidarität mit Palästina zum Ausdruck bringen.

Solch politischer Aktionismus ist von Bachmann nicht zu erwarten. Seine Ansichten sind weniger provokant: „Demokratie mag anstrengend sein, aber die Anstrengung lohnt sich.“ Und er vermittelt sie auch mit weniger provokanten Mitteln. Für ihn geht es darum, auf der Bühne „das Neue, Frische, Leichte, Durchgängige, Transparente, Luftige spielerisch statt mit starrer Humorlosigkeit“ zu präsentieren.

„Ich war nie ein Ideologe oder ein Dogmatiker und habe das Politische auch nie vor mir hergetragen. Ich sehe meine Funktion eher als Gastgeber, als jemand, der eben die Diskussion befördert. Wenn es darum geht, um den Erhalt der demokratischen Gesellschaften zu kämpfen, dann sind wir mit Humor, Freude und Optimismus einfach besser bewaffnet“, sagt Bachmann, von dem kaum Potenzial für politische Skandale ausgeht.

Das Burgtheater scheut sich nicht, Kontroversen zu entfachen. Seit dem 6. April 2024 „schmücken“ zehn vermeintliche Nazi-Fahnen das Gebäude: Die Banner wurden mit einem Treueschwur enthüllt, aber das Hakenkreuz wurde durch das Abbild einer Dogge in der Mitte ersetzt, eine „Hommage“ des Künstlers Wolfgang Flatz an seinen 1998 verstorbenen Hund.
Das Burgtheater scheut sich nicht, Kontroversen zu entfachen. Seit dem 6. April 2024 «schmücken» zehn vermeintliche Nazi-Fahnen das Gebäude: Die Banner wurden mit einem Treueschwur enthüllt, aber das Hakenkreuz wurde durch das Abbild einer Dogge in der Mitte ersetzt, eine «Hommage» des Künstlers Wolfgang Flatz an seinen 1998 verstorbenen Hund. Keystone

Österreich und die Schweizer Art

Und noch eine Schweizerin bereichert die Wiener Theaterszene. Barbara Frey, die ehemalige Intendantin des Schauspielhauses Zürich, inszeniert dort „Tartuffe“ von Molière. Auch sie war im Gespräch für die Leitung des Burgtheaters. Warum wurde unter den vielen Bewerbungen – darunter acht Österreicher:innen – ausgerechnet der Schweizer Bachmann erkoren?

Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) erklärt gegenüber SWI Swissinfo.ch: „Herr Bachmann hat mich mit einem sehr feinen Gespür für Wien als Theaterstadt und für das Theater im 21. Jahrhundert an sich überzeugt, aber vor allem auch mit seiner durchwegs positiven, optimistischen Herangehensweise. Ich traue ihm zu, dem Ruf des Burgtheaters als wichtigstes Sprechtheater im deutschsprachigen Raum gerecht zu werden.“

Dieser Meinung schliessen sich so gut wie alle österreichischen Medien an, die von seinem „verbindlichen und freundlichen Umgangston“ und seiner positiven Energie angetan sind. Es wird betont, dass seine unverkrampfte Art in starkem Kontrast zu seinem Vorgänger Martin Kušej steht, dem ein dominanter Führungsstil und daraus resultierend ein schlechtes Arbeitsklima nachgesagt wird.

Krisen als Karrierebooster?

Wie bereits erwähnt gab es in Köln auch gegenüber Bachmann Beschuldigungen. Seine Krisenbewältigung hat ihm letztendlich auch bei seiner Berufung ans Burgtheater geholfen. So erklärt Andrea Mayer darauf angesprochen: „Herr Bachmann konnte während des Bewerbungsprozesses absolut glaubhaft machen, wie viel er aus diesen Geschehnissen der Vergangenheit gelernt hat. Auch das ist eine gute Eigenschaft für eine Führungspersönlichkeit: Selbstreflexion und die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen.“ Bachmanns Frau wird in Wien auch auf der Bühne stehen. Die gebürtige Hamburgerin liebt die Stadt, in der sie bereits einige Jahre mit ihren Kindern lebten.

In Köln erreichte Bachmann mit seiner Mischung aus traditionellen Stücken, Neuinszenierungen und Erstaufführungen hervorragende Auslastungszahlen. Ist das für ihn der Massstab für Erfolg und Misserfolg seines Programmes in Wien? Bachmann vertritt gegenüber SWI Swissinfo.ch die naheliegendste Sichtweise: „Ist es gut oder ist es scheisse, das ist das Kriterium und das kann man teilweise daran ablesen, wie ein Publikum reagiert, weil, da glaube ich auch dran, so funktioniert nun einmal Theater. Man kann es auch zum Teil daran ableiten, wie die Kritik reagiert, denn das finde ich auch nach wie vor eine ganz wesentliche Instanz für das Theater.“

Aus Köln bringt Bachmann seinen Chefdramaturgen Thomas Jonigk, neun Schauspieler:innen und fünf Produktionen mit. Insgesamt sind es 14 neue Schauspielende im Ensemble von 71 Personen. Damit hat der neue Burgchef seine Ankündigung wahr gemacht, nur ungefähr 20% der Besetzung auszutauschen.

Editiert von Benjamin von Wyl

Der designierte Burgtheaterdirektor Stefan Bachmann und Chefdramaturg Thomas Jonigk am Dienstag, 23. April 2024, anlässlich der Spielplan-Präsentation der Saison 2024/25.
Der designierte Burgtheaterdirektor Stefan Bachmann und Chefdramaturg Thomas Jonigk am Dienstag, 23. April 2024, anlässlich der Spielplan-Präsentation der Saison 2024/25. Keystone

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