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Wer Popularität sagt, muss auch Markt sagen

Nicolas Bideau: "Im Filmgeschäft sind die Leute ein bisschen empfindlich." Keystone

Nicolas Bideau, seit einem Jahr Filmchef im Bundesamt für Kultur, hat die Branche mit seiner marktorientierten Filmpolitik gehörig aufgerüttelt.

Im rot-weissen Leoparden-T-Shirt, das für den Tag des Schweizer Films am Festival in Locarno wirbt, betont Bideau den aggressiv-zupackenden Charakter der neuen Filmpromotion.

«Das Bundesamt für Kultur (BAK) hat keinen Einfluss auf die Programmierung des Internationalen Filmfestivals in Locarno», erklären übereinstimmend Festival-Direktor Frédéric Maire und der Film-Chef des BAK, Nicolas Bideau, anlässlich der Medienkonferenz zur 59. Ausgabe des Festivals gegenüber swissinfo.

«Das ist auch nicht mein Job», betont Bideau und weiss zugleich, dass Maire die gleichen Positionen vertritt wie er selbst: «Er will qualitätsvolle Filme, aber ebenso populäre. Popularität und Markt sind auch für Frédéric Maire nicht vom Teufel», so Bideau, und: «Wer Popularität sagt, muss auch Markt sagen.»

Genau vor einem Jahr, während des Filmfestivals in Locarno, hatte Bideau als neuer Filmchef mit dem Schlagwort «Qualität und Popularität» die neue Zielvorgabe für den Schweizer Film diktiert.

Die neue Filmverordnung, die das einheimische Filmschaffen stärker nach dem Markt ausrichten will, ist inzwischen in Kraft und hat die Branche gehörig aufgewirbelt.

Der Schweizer Film in Locarno

Für die Promotion von Schweizer Filmen im Inland ist künftig im wesentlichen eine BAK-Kommission verantwortlich. Die in Zürich angesiedelte Promotionsagentur Swiss Films, die bisher die gesamte Vermarktung des Schweizer Films besorgte, soll dies nur noch an Festivals und über den Schweizer Filmpreis tun.

So ist Swiss Films am 59. Internationalen Filmfestival Locarno, das vom 2. bis 12. August dauert, für die Präsentation, Wiederentdeckung und Promotion des Schweizer Films zuständig.

An den Strukturen und der Arbeit von Swiss Films hatte Bideau wiederholt Kritik geübt, doch demonstrierten das BAK und Swiss Films kürzlich an einer gemeinsamen Medienkonferenz zur Filmpromotion Einigkeit. Kompetenzstreit? «Ach nein, im Filmgeschäft sind die Leute alle ein bisschen empfindlich», wiegelt Bideau ab.

Popularität und die Magie des Kinos

Wie sieht also die neue Promotionsstrategie konkret aus? Muss ein Filmemacher künftig zuerst Marktstudien betreiben, bevor er sich an ein neues Projekt macht? «Nicht der Regisseur, wohl aber der Produzent muss sich die Frage stellen, was das Publikum will», sagt Nicolas Bideau. «Er muss dans l’air du temps sein.»

Popularität sei letztlich nichts anderes als eine gute Begegnung, versucht er den umstrittenen Begriff zu umschreiben. Und zwar die Begegnung einer künstlerischen Idee mit einem Publikum.

Zwischen der Fantasie des Regisseurs und den Erwartungen des Publikums herrsche immer eine Spannung, meint Bideau: «Manchmal ist diese Spannung positiv und manchmal nicht. Das ist die Magie des Kinos.»

«Man muss halt ein bisschen ehrgeizig sein»

Die weit verbreitete Befürchtung, dass mit einer verstärkten Orientierung am Geschmack eines breiten Publikums anspruchsvolles, innovatives Kino durch die Maschen der Subventionierungsnetze fallen könnte, lässt der Filmchef nicht gelten: «Ein Film kostet sehr viel Geld und ist ein Massenprodukt, daher muss er unbedingt ein Publikum finden.»

Bideau ist zuversichtlich, dass dies möglich sei, ohne künstlerische Zugeständnisse zu machen. «Wir haben zwar keine Film-Industrie, aber ein mehr oder weniger entwickeltes Film-Gewerbe, und wir haben Autoren, die gute Filme machen können.»

In der Schweiz gebe es durchaus ein Potential, aus dem man noch mehr rausholen könne. «Es ist vielleicht nicht einfach, aber man muss halt ein bisschen ehrgeizig sein.»

swissinfo, Susanne Schanda

Die Filmförderungsverordnung (FiFV) des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) definiert die Filmpolitik des Bundesamtes für Kultur (BAK).

Am 1. Juli 2006 ist eine revidierte Filmförderungsverordnung in Kraft getreten. Die neue FiFV und angepasste Förderkonzepte tragen insbesondere der Forderung nach mehr Qualität und Popularität für den Schweizer Film Rechnung. Die neuen Förderungskonzepte gelten für die Jahre 2006 bis 2010.

Nicolas Bideau, Sohn des Schauspielers Jean-Luc Bideau, wurde im Juli 2005 zum neuen Leiter der Sektion Film im Bundesamt für Kultur ernannt.

Das 59. Internationale Filmfestival Locarno dauert vom 2. bis 12. August 2006.
Swiss Films präsentiert am Festival unter dem Titel «Appellations Suisse 2006» 10 Schweizer Kinofilme (6 Spiel- und 4 Dokumentarfilme).
Der Tag des Schweizer Films wird am 8. August gefeiert. Dann findet auch die Verleihung der Drehbuchpreise von SSA/Suissimage und des Filmmusik-Preises der SUISA statt.

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