«Wer will schon seinen 90. Geburtstag feiern?»
Die Schweizer Schauspielerin Stephanie Glaser ist 90 Jahre alt. Das ist für den Star aus "Die Herbstzeitlosen" noch lange kein Grund, um mit der Schauspielerei aufzuhören - ganz im Gegenteil.
«Also von Feiern ist keine Rede. Weshalb soll da gefeiert werden, wer will schon 90 werden?», echauffiert sich Stephanie Glaser über den «Rummel», der um ihren 90. Geburtstag gemacht wird. «Man nähert sich nur mehr dem Grab.»
Nachdem sie sich beim ersten Telefonanruf wortkarg gab und ein Treffen im Vorfeld ihres Geburtstags ablehnte, änderte sie eine Stunde später kurzerhand ihre Meinung.
Wie sie so in ihrer Wohnung in Zürich zwischen den antiken Ohrensesseln und Schirmlampen und den Stapeln mit Büchern und DVDs am Tisch sitzt, mit den Händen gestikuliert, dass ihre Armringe nur so klimpern, die Finger mit den grossen Ringen durch die Luft fahren lässt, beim Erzählen die Stimme hebt und senkt, mal flüstert, mal laut ruft und das Gesagte mit grosser Mimik ihrer blauen Augen unterstreicht, wirkt Stephanie Glaser unglaublich präsent.
Es ist, als stünde sie auf der Bühne oder vor der Kamera. Zwischendurch steht sie auf, holt ein Skript aus dem Büchergestell, serviert ein Glas Wasser, nimmt das Telefon ab.
«Schauspielerei heisst weiterleben»
Man fühle sich nie so alt wie man sei, sie selbst habe das Gefühl irgendwo bei 70 stehen geblieben zu sein, sagt sie zu ihrer Vitalität nur.
Stephanie Glaser ist voller Tatendrang: In den letzten zehn Jahren spielte sie insgesamt in 12 Spiel- und Fernsehfilmen mit, machte diverse Radio-Hörspiele und trat an Lesungen auf. Noch letztes Jahr war sie mit dem 2-Personen-Theaterstück «Reden mit Maman» auf verschiedenen Schweizer Bühnen unterwegs.
«Ich wollte einfach wissen, ob ich das noch schaffe. Es war anstrengend, allein schon bis ich den Text auswendig konnte», sagt sie und lacht. Doch angesichts des Erfolgs dieses Stücks mache es den Anschein, dass sie die Herausforderung bestanden habe.
Muss sich die Schweizer Volksschauspielerin und Grande Dame der Komödie, wie sie genannt wird, denn noch etwas beweisen? «Nein», sagt sie mit Nachdruck. «Die Schauspielerei heisst für mich einfach weiterleben.»
Überhaupt sehe es nur so aus, als würde sie unablässig arbeiten. «Ich kann sehr gut faul sein und nichts machen, einfach nur herumliegen oder lesen», sagt sie und fügt schnell an. «Jedenfalls eine Zeit lang, einfach nicht zu lange.»
Später Ruhm
Nach einer Schauspielausbildung am Reinhardt-Seminar in Wien spielte Stephanie Glaser an verschiedenen Theatern in der Schweiz und Deutschland und wirkte bei den Cabarets «Floigefänger» und «Fédéral» mit.
Mit Franz Schnyders Gotthelf-Verfilmungen «Ueli, der Knecht» (1954) und «Ueli, der Pächter» (1955) sowie dem Schweizer Klassiker «Polizischt Wäckerli» (1955) von Kurt Früh begann sie ihre Filmkarriere. Auf ihre erste Hauptrolle als Filmschauspielerin musste sie allerdings lange warten – sie erhielt sie erst mit 86 Jahren.
Stephanie Glaser verkörperte diese Rolle mit grossem Erfolg: Der Film «Die Herbstzeitlosen» von Bettina Oberli wurde zum Publikumsmagnet und landete nach «Die Schweizermacher» (1978) von Rolf Lyssy auf Platz zwei der ewigen Bestenliste der Schweiz.
Glaser wurde für die Rolle 2006 mit dem Spezial-Leoparden des internationalen Filmfestivals von Locarno und dem Swiss Award ausgezeichnet. Auch wurde sie an verschiedene Festivals eingeladen, so etwa nach Tokio und Osaka.
Wie für die Protagonistin Martha, die sich in «Die Herbstzeitlosen» im hohen Alter ihren Traum von der eigenen Dessous-Boutique verwirklicht, hat sich auch für Stephanie Glaser mit dieser Rolle ein Traum erfüllt.
«Es ist natürlich ganz wunderbar, dass ich am Schluss meines Leben noch einen solchen Erfolg feiern darf», ruft sie laut aus. «Und ich geniesse es bis in die kleinen Zehen, bis in die kleinen Finger hinein.»
Sich darüber beklagen, dass der Ruhm als Filmschauspielerin so lange ausblieb, das will sie jedoch keineswegs. «Ich bin sehr zufrieden mit dem, was gewesen ist. Ich weiss nicht, ob ich glücklicher gewesen wäre, wenn dieser Erfolg früher gekommen wäre.»
Hadern ist nicht ihr Ding
Stephanie Glaser, die mit der Rolle als schrullige «Tante Elise» mit ihrem Goldfisch «Traugottli» in der populären Fersehsendung «Teleboy» in den 1970er-Jahren zum Publikumsliebling avancierte, ist als Kabarettistin und Komödiantin bekannt.
Gerne hätte sie mehr Rollen in Tragödien oder Dramen gespielt. Das sagt sie so nicht explizit, doch fragt man sie nach prägenden Erlebnissen in ihrer Schauspielerkarriere, zählt sie die wenigen Theaterrollen auf, in denen sie eher tragische Figuren verkörperte.
«Die Komödien habe ich leidenschaftlich gern gemacht, und dem Publikum hat es gefallen. Es machte mir einfach Spass, auch mal die andere Seite zu zeigen. Die ist auch noch da», so Glaser.
Hadern ist definitiv nicht ihr Ding. Weder lamentiert sie darüber, dass sie heute oft allein ist, noch darüber, dass ihr Knie schmerzt. «Der Arzt sagt, es sei Arthrose. Doch ich sage, es ist nichts – einfach nicht glauben, einfach weitermachen.»
Mit den Falten scheint sie sich jedoch nie angefreundet zu haben. «Wenn ich wie früher Theatermakeup verwenden würde, das man pfundweise aufs Gesicht auftrug, so sähe das mit den ‹Rümpfen› grauenhaft aus», sagt sie zu diesem Thema etwa.
Doch dass früher alles besser war, davon will sie nichts wissen. «Das Leben ist wie ein Fluss, man ist einfach drin. Man ‹erlebt› die Entwicklung nicht, man macht sie automatisch mit.»
«Mal schauen, ob ich dann noch da bin»
Hat die Schauspielerin bereits konkrete neue Projekte in petto? Das Theaterspielen sei ihr nun doch etwas zu anstrengend geworden, für Filmengagements lägen aber verschiedene Pläne vor, so Stephanie Glaser.
«Bei jedem Rollenangebot muss ich lachen», sagt sie und bricht in schallendes Gelächter aus. «Mal schauen, ob ich bis zum Drehbeginn noch da bin», fügt sie an, faltet die Hände zusammen und blickt auf das Blumenmuster des Tischtuchs – kurz nur, dann erzählt sie weiter von interessanten Filmrollen.
Das Telefon klingelt, es ist eine weitere Anfrage für einen Interviewtermin. Sie würde am 90. Geburtstag am liebsten abtauchen, sagt sie. Sie wisse, sie sei selbst Schuld, sie mache sich selbst Panik.
Dann fällt ihr ein, dass sie ihr Auto umparken muss. Schnell schlüpft sie aus den Pantoffeln in die Schuhe, wirft ihre grau-blaue Regenjacke über, geht zügigen Schrittes den Weg zur Strasse vor dem Wohnblock hinauf, steigt in ihren schwarzen Mini und braust um die Kurve davon.
Corinne Buchser, swissinfo.ch, Zürich
Stephanie Glaser wurde 1920 in Neuenburg geboren. Sie lebt in Zürich.
Glaser war mit dem inzwischen verstorbenen Filmproduzenten Oscar Tüby verheiratet.
Sie ist seit bald 70 Jahren Schauspielerin.
Nach einer Schauspiel-Ausbildung am Reinhardt-Seminar in Wien folgten Engagements an verschiedenen Theatern in der Schweiz und in Deutschland.
Glaser war Mitglied der Cabarets «Floigefänger» und «Fédéral».
Sie wirkte in zahlreichen Schweizer Spiel- und Fernsehfilmen und Fernsehserien wie «Motel» und «Die Direktorin» mit.
Bekannt wurde sie auch mit ihren Sketch-Auftritten in der populären Fernsehshow «Teleboy» aus den 1970er-Jahren.
Im Spielfilm «Die Herbstzeitlosen» von Bettina Oberli spielt sie ihre erste Kino-Hauptrolle und wird dafür 2006 am internationalen Festival in Locarno mit einem Spezial-Leoparden ausgezeichnet. Ebenfalls 2006 wird sie mit dem SwissAward geehrt.
2009 «Das Fräuleinwunder» (Sabine Boss, TV)
2008 «Tandoori Love (Oliver Paulus)
2008 «Nur ein Sommer» (Tamara Staudt)
2008 «Hunkeler und der Fall Livius» (Stefan Jäger, TV)
2007 «Wen der Berg ruft» (Tamara Staudt)
2006 «Die Herbstzeitlosen» (Bettina Oberli)
2005 «Mein Name ist Eugen» (Michael Steiner)
2004 «Sternenberg» (Christoph Schaub)
2004 «Wackelkontakt» (Ralph Etter, Kurzfilm)
2002 «Exit» (Benjamin Kempf, Kurzfilm)
2002 «A.K.A. Birdseye» (Stephen Beckner, Michael C. Huber)
2001 «Spital in Angst» (Michael Steiner, TV)
2001 «Chesterfield» (Thomas Hostettler)
2001 «Letzte Hilfe» (Gabriela d’Hondt, Kurzfilm)
2000 «Komiker» (Markus Imboden)
1994 «Die Direktorin» (Fernsehserie)
1990 «Der Tod zu Basel» (Urs Odermatt, TV)
1989 «Leo Sonnyboy» (Rolf Lyssy)
1988 «Klassenzämekunft» (Walo Deuber)
1984 «Motel» (Thomas Hostettler, Fernsehserie)
1957 «Taxichauffeur Bänz» (Werner Düggelin, Hermann Haller)
1955 «Polizischt Wäckerli» (Regie: Kurt Früh)
1955 «Ueli, der Pächter» (Franz Schnyder)
1954 «Ueli, der Knecht» (Franz Schnyder)
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