Wie man Schlösser vermarkten kann
Ritter und Drachen auf dem iPad oder in einem echten Schloss? Die digitale Welt verschärft den Wettbewerb. Um Besucher anzuziehen, müssen sich die Schlösser einiges einfallen lassen. Ein Kanton tut dies erfolgreich mit historischen Veranstaltungen. Aber reicht dies, um finanziell überleben zu können?
Ländlicher Aargau, grüne Felder, Weinberge und hoch auf dem Hügel das barocke Schloss WildeggExterner Link. Es wurde im 13. Jahrhundert von den Habsburgern erbaut.
Das Gebäude wurde später von den Effingers übernommen, in deren Besitz es während 11 Generationen blieb. Die Familie sammelte im Laufe der Zeit eine Porzellan-Kollektion, die heute noch vollständig erhalten ist, weil die Damen des Hauses darauf insistierten, dass die Stücke nach den Mahlzeiten von Hand abgewaschen wurden.
Seit 2013 ist das Schloss im Besitz des Kantons Aargau. Es ist ein Teil der offiziellen Aargauer Museumslandschaft, die auch noch andere Schlösser und ein Kloster umfasst.
Mehr
Aufnahmen aus der Luft
Lebendige Geschichte
«Wir hatten im vergangenen Jahr 8% mehr Besucher, was innerhalb der Schweizer Museumslandschaft eine Seltenheit ist, zumal wir weder ein neues Museum sind, noch Picassos ausgestellt haben», sagte Wildegg-Direktor Jörn Wagenbach. 2013 hatte das Museum 245’000 Besucher, fünf Jahre zuvor waren es noch 82’000 gewesen.
Der Besucheranstieg ist in der Hauptsache das Verdienst des ehemaligen Direktors Thomas Pauli, der den Slogan «Geschichte am Spielplatz erleben» kreiert hat. Wagenbach ist erst seit Dezember 2013 Direktor.
«Seine Spezialität war es, authentische Orte und Geschichten mit allen Sinnen zu zeigen, so dass Sie Musik hören, Leute in mittelalterlichen, barocken Kostümen treffen und sich persönliche Geschichten erzählen lassen können», sagt Wagenbach über seinen Vorgänger.
Das diesjährige Thema heisst «Achtung, ansteckend». Es wirft einen Blick auf 2000 Jahre Medizin und Hygiene. Im Schloss Wildegg stehen die Nervenkrankheiten des 19. Jahrhunderts im Mittelpunkt. Das Schwestermuseum im Schloss Hallwyl veranstaltet Events zu den Themen Hygiene, Bäder und Toiletten.Mehr
Toiletten und Badewannen im Schloss Hallwyl
Immer wieder ein neues, ansprechenden Thema zu präsentieren, sei die grösste Herausforderung für den Betrieb der Schlösser, sagte Wagenbach. Andernfalls kämen die Menschen nicht zurück.
Das Schloss hat für jeden etwas zu bieten, es ist zudem ein Ort der Ruhe. Aber es geht auch darum, mit der Zeit Schritt zu halten. «Es ist ein Sonntag, und Sie und Ihre Kinder entscheiden, wollen wir Ritter und Drachen auf unseren iPads spielen oder wollen wir, um Ritter und Drachen zu spielen, das Schloss Lenzburg besuchen? Lenzburg muss ein sehr gutes Angebot haben, um attraktiver zu sein als ein iPad-Spiel «, sagte Wagenbach.
Natürlich versuche das Museum, authentisch zu bleiben, ohne in ein Disney-Land abzudriften, so Wagenbach weiter. «Wir betreiben ein Geschäft. Es geht nicht ums Geld verdienen, vielmehr kosten wir dem Steuerzahler Geld. Also müssen wir permanent schauen, was unser Ziel ist.»
Die Schlösser können für Veranstaltungen gemietet werden, und es gibt Cafés und Souvenirläden. Es ist kein Zufall, dass Wagenbach, ein deutscher Staatsangehöriger mit einem Hintergrund in Kultur, auch 17 Jahre Erfahrungen im PR-Bereich mitbringt. Er arbeitete unter anderem für den Flughafen Zürich.
Touristische Position
Laut Schweiz TourismusExterner Link kommen die meisten ausländischen Gäste wegen den spektakulären Landschaften in die Schweiz. Aber das Schloss Chillon am Ufer des Genfer Sees hat 2013 fast 350’000 Besucher gezählt. Drei Viertel kamen aus dem Ausland und der Anstieg der asiatischen Besucher war besonders prägnant. Generell beobachtet das lokale Tourismusbüro eine zunehmende Beliebtheit der Attraktionen aus dem Mittelalter.
Schweizer Schlösser
In der Schweiz gibt es 843 öffentlich zugängliche Schlösser, Burgen und Ruinen. Rund 70 Schlösser beherbergen ein Museum.
Die populärsten Schlösser sind laut Schweiz Tourismus das Schloss Chillon am Genfersee, das Castelgrande in Bellinzona im Tessin, das zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, das Schloss Thun und das Schloss Greyerz, das die Sammlung des kürzlich verstorbenen Schweizer Künstlers und Oscar-Gewinners HR Giger beherbergt.
Burgen haben eine grosse Konkurrenz durch die Alpen und Städte, wie eine Studie des Gottlieb-Duttweiler-Instituts im Auftrag der Aargauer Museen aufzeigt. Touristen assoziieren zudem Schlösser und Burgen vielmehr weniger mit der Schweiz, als sie das mit den Loire-Schlössern in Frankreich tun.
Wagenbach möchte dies ändern. Darum bemüht er sich, ein Qualitätslabel für Schlösser zu schaffen. Das Projekt ist noch in der Anfangsphase, aber es gebe knapp 20 interessierte potentielle Partner, sagt er. Das Label würde es den Schlössern auch erlauben, enger zusammenzuarbeiten und gemeinsame Wanderausstellungen zu organisieren, «Wir müssen uns auf einem nationalen Niveau positionieren», sagt Wagenbach.
Erneuerung ist nötig
Die erwähnte Studie kommt zum Schluss, dass die Angebote der Schweizer Burgen und Schlösser zwar «breit und vielfältig seien», dass es einigen jedoch an Ressourcen und einer modernen Ausstrahlung fehle.
Fast die Hälfte der Schlösser sind in Privatbesitz. Andere gehören der öffentlichen Hand oder sind im Besitz von Stiftungen. So gibt es im Moment Bestrebungen von Prominenten und Tourismus-Kreisen, das Schloss Tarasp im Kanton Graubünden zu kaufen.
Bereits zusammengeschlossen haben sich die fünf Schlösser rund um den Thunersee. «Das Thunersee-Label ist ein echter Meilenstein», sagte Christina Fankhauser vom Schloss Oberhofen. Sie hofft nun, dass das Schloss mehr Besucher verzeichnen wird.
Es habe ein Jahr gebraucht, bis das Label Wirklichkeit geworden sein, sagte Projektleiterin Ariane Klein gegenüber swissinfo.ch. Neben einer gemeinsamen Website und einer Broschüre bieten die Thunersee-Schlösser nun auch gemeinsame Ausflugspakete an, beispielsweise eine Schifffahrt und den Eintritt für zwei Burgen.
«Moderne Besucher brauchen mehr als nur ein Museum», sagte Klein. «Sie haben sehr viele Freizeit-Möglichkeiten für ihre freie Zeit. Wir müssen also was mit einem ‹Whow-Faktor› bieten, so dass sie später für eine Hochzeit oder ein Firmenfest wieder kommen.»
(Übertragen aus dem Englischen: Andreas Keiser)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch