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«Wir können stolz auf den Schweizer Film sein»

Frédéric Maire, Direktor des Filmfestivals Locarno, lobt die Qualität des Schweizer Films.

Im August geht das 61. Filmfestival von Locarno über die Bühne. Direktor Frédéric Maire leitet das Festival zum zweitletzten Mal. Ab Ende 2009 wird er sich auf andere Weise mit dem Film befassen. swissinfo hat mit ihm gesprochen.

swissinfo: In Locarno ist der Schweizer Film eine immer stärkere Realität. Wie sehen Sie die gegenwärtige helvetische Produktion?

Frédéric Maire: Eher positiv. Im internationalen Wettbewerb steht der neue Film von Lionel Baier, den ich für einen der bedeutenden Schweizer Filmemacher halte. Am Filmfestival in Cannes wurde der Film von Ursula Meier präsentiert. In Locarno gibt’s dieses Jahr eine ganze Palette von sehr unterschiedlichen Filmen aus der Romandie. In Produktion sind auch einige grosse, sehr interessante Deutschschweizer Filme, die fürs Festival aber noch nicht bereit sein werden.

Es ist klar, dass es nicht jedes Jahr grosse kommerzielle Erfolge und grosse Autorenwerke geben kann. Solange wir in der Schweiz keine solidere Filmindustrie mit mehr finanziellen Ressourcen haben, wird es immer Hochs und Tiefs geben.

swissinfo: Seit drei Jahren widmet das Filmfestival von Locarno einen ganzen Tag dem Schweizer Film. Drei Jahre sind eine kurze Zeit, können Sie dennoch eine Bilanz dieses Sonderevents ziehen?

D.M.: Dieser Tag bietet dem Schweizer Film eine Plattform; natürlich vor allem dem Publikum, das sich der Qualität der Schweizer Filme bewusst werden und darauf stolz sein kann.

Dieses Jahr ist der Sondertag unter anderem den Schauspielern gewidmet, wichtigen Figuren im Schweizer Film, die es verdient haben, hervorgehoben zu werden. Es gibt übrigens nicht wenige von ihnen, die im Ausland gut ankommen. So gut, dass sie nachher aus der Schweizer Filmszene verschwinden.

swissinfo: Wo steht Locarno im internationalen Vergleich?

F.M.: Locarno besticht durch seine Identität – ein Festival der Entdeckungen. Das diesjährige Festival ist ein Modell für künftiges Wachstum: zwei Wettbewerbe zur Entdeckung neuer Talente oder Bestätigung aufstrebender Talente; die Piazza Grande als Schaufenster von Weltpremierefilmen mit grossem Erfolgspotenzial; eine Retrospektive über einen noch lebenden Regisseur und andere Nebenelemente, die das Publikum entdecken kann.

swissinfo: Sie haben das Kino wieder ins Zentrum des Festivals gerückt und immer mehr Gewicht auf den Inhalt als aufs Äusserliche gelegt. Dennoch ist in Locarno von Stars, Glamour und roten Teppichen die Rede. Könnte das Kino, Schweizer Kino inbegriffen,

F.M.: Das sind zwei Aspekte, die gut zusammen leben können. Locarno zeigt das gut. Wir haben zwar keine roten Teppiche und keine grenzenlose Mondänität, wir haben aber die Stars, die nach Locarno kommen, weil sie das Ambiente lieben.

Ein Beispiel? Anthony Hopkins, der seinen Film in Hemdsärmeln vor 3000 Personen präsentiert und sich in aller Ruhe durch die Stadt bewegt. Was es in Locarno nicht braucht, sind Smoking und Champagner.

swissinfo: Locarno empfängt dieses Jahr einen grossen Protagonisten des italienischen Films: Nanni Moretti, dem die Retrospektive gewidmet ist. Ein eher komplexer Mensch…

F.M.: Zwischen Nanni und mir herrscht gegenseitiger Respekt. Nach seinem grundsätzlichen Einverständnis zur Retrospektive sagte uns Moretti gleich, er sei sehr pedantisch. Bei unserem ersten Gespräch erklärte er, er habe nur wenig Zeit für uns. Am Ende haben wir enorm lang zusammen gesprochen.

Ausschlaggebend für seine Präsenz in Locarno, das er schon kennt, ist der Stellenwert des Kinos, das für Moretti wichtiger als alles andere ist. Er kommt also nach Locarno, um übers Kino zu sprechen, als Regisseur, Schauspieler, Produzent und Festivaldirektor. Diese Retrospektive, die gewissen Italienern selbstverständlich erscheint, es aber nicht ist, wird allumfassend sei, es gibt sogar noch eine Ausstellung sowie die Präsentation eines Buches.

swissinfo: 2009 werden Sie von ihrem Amt als künstlerischer Direktor des Festivals von Locarno zurücktreten und eine neue berufliche Herausforderung annehmen. Ein schwieriger Entscheid?

F.M.: Dieser Entscheid ist mir nicht leicht gefallen. Ich wusste schon vor meiner Zeit in Locarno, dass es nicht möglich sein wird, das Festival zu lange zu leiten. Die Zeiten haben sich im Vergleich zu meinen Vorgängern geändert.

Es ist eine harte, anspruchsvolle Arbeit, welche einen fordert und viel Energie verlangt. Man muss von einem Ende zum anderen Ende der Welt rennen, ohne Pause, man muss immer auf tausend Dinge aufpassen.

Wenn das Leben einem plötzlich neue Möglichkeiten präsentiert, muss man eine Wahl treffen. Alle wissen, wie sehr ich Locarno liebe, hier ist Kinoprofil entstanden, das ich Schritt auf Schritt verfolgt habe.

Weil ich eine Wahl für meine Zukunft treffen musste, habe ich die Herausforderung angenommen, das Schweizer Filmarchiv zu leiten. Aber ich werde immer mit dem Filmfestival von Locarno verbunden bleiben.

swissinfo-Interview: Françoise Gehring, Lugano
(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)

Die 61. Ausgabe des Filmfestivals von Locarno findet vom 6. bis 16. August 2008 statt.

Auf der Piazza Grande werden 17 Filme gezeigt, davon 9 Weltpremieren.

17 Filme aus 16 Ländern stehen im internationalen Wettbewerb, davon 12 Weltpremieren.

Im Wettbewerb von heute aktiven Regisseuren stehen 17 Filme, davon 15 Weltpremieren und 5 Erstlingswerke.

In Locarno werden 40 Schweizer Filme präsentiert.

Frédéric Maire, künstlerischer Direktor des Internationalen Filmfestivals von Locarno, wurde zum neuen Direktor des Schweizer Filmarchivs ernannt. Maire das Festival von Locarno noch bis 2009 leiten. Seinen neuen Job beginnt er am 1. November 2009.

Das Schweizer Filmarchiv in Lausanne, Kanton Waadt, gehört mit 70’000 Filmen, zwei Millionen Fotografien und 100’000 Plakaten zu den grössten Filmarchiven der Welt.

Der 47-jährige Journalist und Filmkritiker Frédéric Maire ist seit 2005 Direktor des Filmfestivals von Locarno. Seine Nachfolge ist noch völlig offen.

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