Zürich erhält grösstes Holzgebäude der Welt
Der neue, siebenstöckige Sitz des Tamedia-Verlags in Zürich besticht durch das Material, aus dem er gebaut ist: Holz. Der Erbauer, der japanische Stararchitekt Shigeru Ban, hat sich dabei auch auf Schweizer Know-how im Einsatz dieses Baustoffes gestützt, wie er im Interview sagt.
Es ist ein gewaltiger und dennoch nobel-eleganter Empfang: Massive Holzsäulen dominieren das Innere des neuen Gebäudes an der Sihl, nach der Limmat der zweite Fluss, der durch die Stadt Zürich fliesst. Die Fassaden sind komplett aus Glas, so dass die Räume von Licht durchflutet sind.
Etwas weiter im Inneren erinnern kleinere Säulen an einen japanischen Tempel. Bans Projekt ging nicht als Sieger aus einem Wettbewerb hervor, vielmehr suchte die Bauherrin den Japaner gezielt für die Aufgabe aus.
Mehr
Attraktiv, nachhaltig und kostengünstig?
Dabei hatte der Architekt drei Kriterien zu erfüllen, die ihm Tamedia-Verwaltungsrats-Präsident Pietro Supino vorgab: Schaffung einer angenehmen Arbeits-Atmosphäre, Nachhaltigkeit und Kostenkontrolle.
Für dieses Projekt sei ihm Holz als das perfekte Baumaterial erschienen, erklärt Shigeru Ban, der sich seit je für einen schonenden Umgang mit Ressourcen stark macht.
Bescheiden weist er auch auf die wichtige Rolle des Schweizer Ingenieurs Hermann Blumer hin, den Ban in Zürich als Experten für Holzkonstruktionen beizog.
swissinfo.ch: Welches sind die innovativsten Elemente an Ihrem Gebäude in Zürich?
Shigeru Ban: Neu ist, dass die tragenden Strukturen eines siebengeschossigen Bürogebäudes gänzlich aus Holz sind. Neu nicht nur für die Schweiz, sondern für die ganze Welt. Ich war erstaunt, dass ein solches Projekt in der Schweiz keine grösseren baurechtlichen Probleme darstellte. In Japan dagegen wäre ein solcher Bau nicht möglich.
Eines der wichtigsten Ziele des Projekts war die Verwendung von Holzsäulen als tragende Elemente anstelle von Beton. Ebenfalls wollte ich bei den Balken und Dübeln gänzlich auf Metall oder andere Materialien verzichten. Die besonderen Formen der Balken liessen sich nur in Holz realisieren, wegen dessen Biegsamkeit.
Geboren 1957 in Tokio, Studium an der Cooper Union School of Architecture (New York).
1982 Mitarbeiter von Arata Isozaki in Tokio.
1985 Gründung des eigenen Büros in Tokio.
1995 bis 2000 Berater des UNHCR, der UNO-Organisation für Flüchtlinge.
1995 Gründer des «Voluntary Architects Network» (VAN, Netzwerk freiwilliger Architekten), einer Nichtregierungs-Organisation im Bereich humanitäre Hilfe.
2000 bis 2006 Mitglied der Jury zur Vergabe des Pritzker-Preises, der als Nobelpreis für Architekten gilt.
Momentan unterrichtet Ban an der Kyoto University of Art and Design.
Ban hat zahlreiche internationale Preise gewonnen, u.a. die Grande Médaille der französischen Akademie für Architektur 2004, den Arnold W. Brunner Memorial Preis für Architektur 2005, den Orden für Kunst und Literatur (Frankreich 2010) oder den Prix Auguste Perret 2011, ebenfalls in Frankreich.
Herausragende Bauten: Curtain Wall House (1995), Paper House (1995), Furniture House (1995), japanischer Pavillon für die Expo 2000 in Hannover, Nicolas G. Hayek Center in Tokio (2007), Centre Pompidou Metz (2010), etc.
Der Präsident von Tamedia hat mich gebeten, für die Mitarbeiter eine «angenehme Arbeitsatmosphäre» zu schaffen. Auch deswegen entschied ich mich für Holz. In einem solchen Gebäude fühlt man sich geborgen, wie zuhause oder in einem Chalet.
swissinfo.ch: Das Gebäude verfügt über einen durchlässigen «Zwischenbereich», der als Erholungsraum dient.
S.B.: Ja, ich habe einen solchen Zwischenbereich mit Treppen und Räumen geschaffen, in dem man sich treffen kann. Man kann die Fenster öffnen und hat so das Gefühl, draussen zu sein, man kann frische Luft einatmen, und das ganz nah am Fluss.
Die Journalisten können ihre abgeschlossenen und klimatisierten Bereiche verlassen und sich dort erholen. Dieser Bereich ist psychologisch sehr wichtig, aber ebenfalls aus Energiespargründen.
swissinfo.ch: Sie betonen, dass dieses Gebäude sehr schweizerisch sei. Weshalb?
S.B.: Weil es auf Schweizer Holzbau-Technologie basiert, die weltweit am höchsten entwickelt ist. Hier finden sich Ingenieure, die sich auf höchstem Niveau befinden. Dies gilt auch für die Verarbeitungs-Technologie: Hier kommen prozessorgesteuerte Maschinen zum Einsatz, die das Holz dreidimensional sägen können.
Mehr
Holzbau erobert den urbanen Raum
swissinfo.ch: Welche Rolle spielte das Zusammentreffen mit dem Holzbau-Experten Hermann Blumer?
S.B.: Wir haben uns vom ersten Moment an gut verstanden und haben sofort zusammen gearbeitet. Hätte ich ihn nicht getroffen, wären weder das Centre Pompidou im französischen Metz noch das Tamedia-Gebäude in Zürich möglich gewesen.
Im Fall des Centre Pompidou in Metz spannte ich zuerst mit einem britischen Ingenieur zusammen, aber er schaffte es nicht, die Formen zu realisieren, die ich gezeichnet hatte. Als ich die Entwürfe Hermann gezeigt habe, sagte er sofort: «Ich kann es genau in dieser Form machen» – ich war sehr zufrieden.
Wir haben es gegenseitig geschafft, unser Potenzial zu erkunden. Wir werden auch für ein Projekt der Swatch-Gruppe in Biel zusammenarbeiten.
swissinfo.ch: Welche Vorteile bietet Holz in ökologischer Hinsicht?
S.B.: Zuerst einmal macht eine Baustelle, auf der mit Holz gebaut wird, viel weniger Lärm als eine solche, wo der Baustoff Beton oder Stahl ist.
Vergleicht man die Herstellungsprozesse, ist die CO2-Emission bei Holz ein Drittel tiefer als diejenige bei Metall. Im Vergleich zu Beton beträgt die Einsparung sogar rund 50%. Zudem ist Holz der einzige erneuerbare Baustoff. Metalle und Beton dagegen sind begrenzte Ressourcen und werden deshalb eines Tages verschwinden.
Ein Vergleich der Geschwindigkeit, mit der Bäume wachsen, und dem Holzverbrauch zeigt, dass dieser sehr tief ist, vor allem in Europa. Solange man also Bäume pflanzt und die Bestände nicht übernutzt, solange bleibt Holz ein absolut fantastisches Material.
swissinfo.ch: Bei Holz denkt man sofort an Brandgefahr!
S.B.: Tatsächlich aber ist Holz ein Material, das schwer in Brand zu setzen ist. Dünnes Holz fängt schnell Feuer, dickes Holz dagegen nicht. Die Oberfläche, ist sie einmal verkohlt, schützt das Innere. Wie Sie wissen, wird Kohle oft als Brandschutz verwendet.
Für die tragenden Strukturen des Tamedia-Gebäudes haben wir erst die nötige Dicke des Holzes errechnet. Dazu haben wir vier Zentimeter addiert, die im Fall eines Feuers verbrennen können und dabei gleichzeitig das Innere der Säulen schützen würden.
swissinfo.ch: Sie sagen oft, dass sie versuchen, Gebäude zu schaffen, welche die Menschen mögen. Was heisst das für Sie?
S.B.: Wenn die Leute ein Gebäude nicht lieben, wird es nie «nachhaltig und dauerhaft» sein. Wird dagegen ein temporärer Bau von den Menschen gemocht, beispielsweise ein Gebäude nach einem Erdbeben, wird daraus etwas Dauerhaftes.
Nehmen wir einen Bau aus Beton, der rein kommerziellen Zwecken dient. Er wird ein provisorisches Gebäude bleiben, denn einmal wird ein Immobilienmakler es kaufen, es niederreissen und auf dem Grundstück etwas Neues bauen.
1995 hatte ich nach dem Erdbeben in Kobe eine Kirche aus Pappröhren gebaut. Es war ein temporärer Raum des Gebets, der vom Priester anfänglich abgelehnt worden war. Die Bewohner aber hatten ihn sofort angenommen. Diese «Kirche aus Papier» wird heute von allen geliebt und ist zu einem permanenten Gebäude geworden. Falls die Menschen es mögen, wird das Tamedia-Haus lange dort stehen.
(Übertragung aus dem Französischen: Renat Kuenzi)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch