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Landeskirchen-Status für muslimische Gemeinschaft?

Landeskirchen-Status bedeutet nicht nur gleiche Rechte, sondern auch gleiche Pflichten. Keystone

Im Kanton Luzern soll ein Gesetz erarbeitet werden, das neben den Landeskirchen weitere Religions-Gemeinschaften die öffentlich-rechtliche Anerkennung ermöglichen würde. Muslime zeigen Interesse - in der Luzerner Bevölkerung gibt es auch skeptische Stimmen.

«Die Islamische Gemeinde Luzern (IGL) wünscht sich, Missverständnisse und soziale Spannungen abzubauen, um eine friedliche und harmonische Umgebung zwischen den verschiedenen Kulturen und Gemeinschaften im Kanton Luzern zu fördern», heisst es auf der Website der IGL.

Die soziale, politische und wirtschaftliche Gleichberechtigung für die nachrückenden Muslimgenerationen in der Schweiz funktioniere nur, wenn die Gemeinschaft eine gewisse Anerkennung habe. «Deshalb strebt die IGL die öffentlich-rechtliche Anerkennung des Islams im Kanton Luzern an.»

Der Wunsch der muslimischen Gemeinschaft in Luzern nach offizieller Anerkennung ist nicht unrealistisch: Die 2007 in Kraft gesetzte Luzerner Kantonsverfassung sieht die Möglichkeit vor, neben der römisch-katholischen, der protestantischen und der christkatholischen «weitere Religionsgemeinschaften als öffentlich-rechtliche Körperschaften anzuerkennen».

Bisher sei zwar lediglich die muslimische Gemeinschaft beim kantonalen Departement mit dem Anliegen um eine öffentlich-rechtliche Anerkennung vorstellig geworden, aber der Verfassungsartikel gelte natürlich auch für andere Religionsgemeinschaften wie etwa Freikirchen oder die jüdische Gemeinde, sagt der Luzerner Bildungsdirektor Anton Schwingruber gegenüber swissinfo.ch.

«Wir haben einen Verfassungsauftrag», so Schwingruber. Er habe das Thema bisher nicht prioritär behandelt, doch man wolle nun in der bis 2011 dauernden Legislatur die Erarbeitung eines entsprechenden Gesetzesentwurfs angehen.

Dieser gehe frühestens 2010 in die Vernehmlassung und werde nicht vor Ende 2010 der parlamentarischen Kommission vorgelegt.

Gleiche Rechte und Pflichten

Christen und Muslime arbeiten im Kanton Luzern seit Jahren zusammen. So nehmen Gefängnisseelsorger etwa Kontakt mit einem Imam auf, wenn sie muslimische Häftlinge betreuen. Bei der Eröffnung des muslimischen Friedhofs und der bosnischen Moschee sprachen und beteten auch Vertreter der Landeskirchen. An der Bettagsaktion 2009 machte auch die Islamische Gemeinschaft als Partner mit.

Die Landeskirchen begrüssten deshalb die Schaffung der Möglichkeit, auch andere Religionsgemeinschaften öffentlich-rechtlich anzuerkennen, unter dem Motto «gleiches Recht und gleiche Pflichten für alle», schreibt Jörg Trottmann, Synodalrat der römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Luzern in der Neuen Luzerner Zeitung.

«Kirchensteuern für Moscheen?» titelte die Neue Luzerner Zeitung letzte Woche und schlug damit hohe Wellen.

Eine öffentlich-rechtlich anerkannte Religionsgemeinschaft komme in den Genuss eines «Privilegienbündels», wie Christian Tappenbeck, Kirchenjurist beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund, sagt. So können sie etwa nicht nur das Recht auf Erhebung einer Kirchensteuer erhalten, sondern auch das Recht auf Religionsunterricht und Zugang zu staatlichen Anstalten.

Die Anerkennung habe auch eine emotionale Bedeutung. «Es geht nicht zuletzt darum, dass der Staat gegenüber der entsprechenden Religionsgemeinschaft seine Wertschätzung ausdrückt», so Tappenbeck. In diesem Zusammenhang sei in der Rechtswissenschaft denn auch schon von «Gütesiegel» oder «staatlicher Unbedenklichkeitserklärung» die Rede gewesen.

Als Kriterien für eine Anerkennung gelten etwa: demokratische Organisation, Gleichberechtigung von Männer und Frauen, eine gewisse Mindestdauer der Existenz, Transparenz der Finanzierung, Einhaltung der Rechtsordnung und die Respektierung der Glaubens- und Gewissensfreiheit Andersgläubiger.

«In einem Teil der religionsrechtlichen Lehre wird die These vertreten, dass durch die Erfüllung der Anerkennungs-Anforderungen die jeweilige Religionsgemeinschaft eine Integrationsleistung erbringt», sagt Tappenbeck.

Fehlender politischer Wille?

Die Anerkennung von religiösen Gemeinschaften ist in der Schweiz eine kantonale Angelegenheit. Will eine Religionsgemeinschaft den Status einer Landeskirche erlangen, braucht sie vor allem eines: Geduld. Das Anerkennungsverfahren könne Jahrzehnte dauern, sagt Schwingruber.

Die rechtlichen Instrumente für die Ausarbeitung entsprechender Gesetze liegen in gewissen Kantonen vor, doch der politische Wille scheint nicht vorhanden. «Die Religionsgemeinschaften erhalten durch die Anerkennung ein Stück weit ein staatliches Gewand – das ist eine relativ tiefgreifende Angelegenheit», sagt Tappenbeck.

Bisher wurden neben den drei Landeskirchen einzig die jüdische Gemeinschaft in manchen Kantonen anerkannt, und zwar in Bern, Basel-Stadt, Fribourg, St. Gallen, Waadt und Zürich.

Sind in orthodoxen Gemeinden jedoch nur Familienoberhäupter respektive Männer Mitglied, haben sie keine Chance auf eine öffentlich-rechtliche Anerkennung.

«Nicht gegeneinander arbeiten»

Was sagen die Luzerner selbst dazu, dass andere Religionsgemeinschaften den Status einer Landeskirche erhalten sollen? Die Stimmen auf der Strasse sind äusserst unterschiedlich.

«So lange sie sich normal aufführen und an die Gesetze halten, habe ich nichts dagegen. Man muss doch einfach miteinander auskommen und zusammenleben können – wenn wir gegeneinander arbeiten, funktioniert es nicht», sagt ein Buschauffeur.

«Ich bin eher pazifistisch positioniert und weiss nicht, woher sich der Mensch das Recht nimmt, irgendwelchen Gruppierungen Verbote aufzustellen – es geht hier um Denkfreiheit», so eine Angestellte des Kunstmuseums Luzern. Hauptkriterium für eine Anerkennung einer anderen Religionsgemeinschaft sei für sie die Toleranz Andersdenkenden gegenüber.

«Wir haben so viele Muslime in der Schweiz, der Islam ist eine Weltreligion, weshalb sollen sie nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt werden? Die Juden hat man ja auch anerkannt, meint ein Taxichauffeur und fügt an: «Für uns hat es jedenfalls keinen Nachteil.» Muslime oder Buddhisten? Darauf komme es nicht an, Hauptsache keine Sekten.

Skeptische Stimmen

Ein Angestellter der Kantonsverwaltung äussert hingegen Bedenken in Bezug auf Diskrepanzen zwischen der westlichen und der muslimischen Welt, was die Menschenrechte und die Behandlung der Frauen betrifft: «Ich gehe davon aus, dass sie sich für eine öffentlich-rechtliche Anerkennung von gewissen Werthaltungen distanzieren müssten.»

Auch eine Blumenverkäuferin auf dem Markt ist skeptisch, was die Stellung der Frauen in der muslimischen Welt betrifft. Dass eine Anerkennung der Religion diesbezüglich vorteilhaft sein könnte, glaubt sie nicht. «Das wird ihre Einstellungen nicht ändern.»

Was die Muslime anbelangt, so sollten sie sich zuerst an die Schweizer anpassen und sich integrieren, eine Landessprache lernen und aufhören, sich als Aussenseiter zu fühlen, sagt eine junge Mutter aus Emmen mit Kleinkind. «Ich finde die Schweiz soll die Schweiz bleiben und nicht noch andere Religionsgemeinschaften anerkennen.»

Auch zwei Teenies im Bekleidungsgeschäft H&M finden es gut, so wie es ist. «Jedes Land hat seine eigene Religion. Wir sind die Schweiz und wir sind christlich.»

Ganz anders sieht dies ein 70-jähriger Passant. «Wieso sollten sie nicht auch eine Moschee bauen mit einem Minarett. Unsere Kirchen haben ja auch Türme, die erst noch jeden Tag ein Glockengebimmel machen.»

Corinne Buchser, Luzern, swissinfo.ch

Im Kanton Zürich haben die Stimmbürger 2003 einen Verfassungsartikel abgelehnt, der wie in Luzern die rechtliche Voraussetzung geschaffen hätte.

Der Kanton Bern kennt eine entsprechende Grundlage, hat aber bis heute kein Gesetz ausgearbeitet.

Christliche Freikirchen im Kanton Bern, die sich zu einem Dachverband zusammengeschlossen hatten, scheiterten vor einigen Jahren an den Bedingungen, die für die Erlangung des Status einer Landeskirche gestellt wurden: Der Dachverband müsse einen hohen Organisationsgrad und die verschiedenen Kirchen Strukturen aufweisen, die sich nicht zu stark voneinander unterscheiden, hiess es insbesondere in einem Gutachten.

Im Kanton Luzern leben rund 13’000 Muslime, das sind 3,8 Prozent der Bevölkerung.

Die christkatholische Landeskirche bringt es auf 471 Personen (0,1 Prozent). Die nicht als Landeskirche organsierten Christlich-Orthodoxen haben 7801 (2,2 Prozent) Anhänger.

Die grosse Mehrheit stellen die Römisch-Katholiken mit 248’545 Mitgliedern (70,9 Prozent), gefolgt von den Protestanten mit 42’926 (12,2 Prozent).

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