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«Abby», ein Schweizer erobert Amerika

David Aebischer, erfolgreicher Schweizer Export. Keystone

Als Kind träumte der 26-jährige David Aebischer davon, einmal in der National Hockey League (NHL) zu spielen. Seit vier Jahren ist sein Traum Realität.

Während der Sommerpause erholt sich der Freiburger jeweils in seiner Region. swissinfo hat ihn getroffen.

In den Vereinigten Staaten, und ganz speziell in Denver, nennen sie ihn liebevoll «Abby». Nachdem er 1997 seine Heimat Richtung Amerika verlassen hatte, gilt David Aebischer heute als einer der besten Torhüter in der NHL, der bedeutendsten Hockeyliga der Welt.

Seit dem Rückzug der Torhüter-Legende Patrick Roy ist er unbestrittener Stammspieler bei Colorado Avalanche. Trotzdem hat Aebischer seine Schweizer Wurzeln nicht vergessen.

Jeden Sommer kehrt er zurück nach Freiburg. Zu seiner Familie, seinen Freunden und dem Club Fribourg-Gottéron, wo er trainiert.

Dieses Jahr hat sein Aufenthalt einen etwas speziellen Charakter: Er hängt mit der Krise in der NHL zusammen. Zur Zeit stehen sich die NHL und die Spieler-Gewerkschaft in einem Kampf um die Rechte und Löhne der Spieler gegenüber.

Daher wurde im Juni ein so genannter «Lock Out» verfügt, eine Art Streik. Denn der bisherige Arbeitsvertrag zwischen der Liga und den Spielern läuft am 15. September aus. Im schlimmsten Fall könnte dieser «Lock Out» sogar das Ende der Saison 2004/05 bedeuten.

swissinfo: David Aebischer, Sie sind im Juni in die Schweiz gekommen. Heisst es nun nichts tun und Daumen drehen?

David Aebischer: Oh, nein! Der Strand ist leider nur noch eine alte Erinnerung. Seit zwei Monaten trainiere ich wieder voll.

Mitte Juni habe ich am traditionellen Torhüter-Camp von François Allaire in Verbier teilgenommen. Ich bin dort seit 10 Jahren dabei. (Allaire gilt als «Goalie-Guru» der NHL, Anm. der Red.)

Seit kurzem trainiere ich wieder mit Fribourg-Gottéron im Stadion St. Léonard. Wenn es das Wetter erlaubt, schenke ich mir jedoch auch mal einen Moment der Entspannung, spiele Golf oder gehe spazieren.

swissinfo: Seit vier Jahren kommen Sie jeden Sommer nach Freiburg. Können sie hier die Batterien wieder aufladen?

D.A.: Es ist auf eine Art meine erste Heimat. Ich habe hier 20 Jahre lang gelebt. Meine gesamte Familie und alle Freunde leben da.

Ich profitiere auch etwas davon, mich ablenken zu können. In den USA absorbiert das Eishockey während der Saison meine ganze Energie und Aufmerksamkeit.

swissinfo: Fühlen Sie sich nach sechs Jahren Übersee-Abenteuer noch als Schweizer oder schon als Amerikaner?

D.A.: Die Schweizer Fasern sind noch die stärkeren. Doch ich habe bereits einige Gewohnheiten des amerikanischen Alltagslebens angenommen.

Wenn ich drüben etwas kaufen will, gehe ich raus und kaufe es. Die Geschäfte sind 24 Stunden lang geöffnet. Ich vergesse dies ab und zu, wenn ich in der Schweiz bin.

swissinfo: In der Schweiz gelten Sie als der Mann, der die National Hockey League geknackt hat. Sind Sie stolz auf diese Ehre?

D.A.: Stolz bin ich! Doch nicht, weil ich Schweizer bin, sondern, weil ich meinen Traum verwirklichen konnte.

Vor vier Jahren habe ich meinen ersten Match in der NHL absolviert, und seit einer Saison bin ich Stamm-Goalie in einer der besten Mannschaften des Kontinents.

swissinfo: Verhalten sich die Leute Ihnen gegenüber seither anders?

D.A.: Die Schweizer sind diskret. Sie bleiben lieber auf Distanz. Ganz im Gegenteil in den USA: Sie zögern nicht, mich anzusprechen und mir Fragen zu stellen.

Seit ich Stammspieler bin, ist häufig die Rechung im Restaurant bereits bezahlt.

swissinfo: Erzählen Sie etwas mehr von diesem ersten Jahr als Stammspieler.

D.A.: Als Nachfolger des legendären Patrick Roy war ich schon etwas nervös. Doch ich hatte Vertrauen in mich und in meine Mitspieler. Und die Fans standen sofort hinter mir.

Es war ein ausserordentliches Jahr, auch wenn ich mir wünschte, wir wären etwas weiter in den Playoffs gekommen. (Colorado Avalanche schied im Halbfinal der Western Conference gegen die San Jose Sharks aus, Anm. der Red.)

swissinfo: Auch Pierre Lacroix, Präsident und Manager von Colorado Avalanche, ist Ihr Talent aufgefallen. Bei der Vertragsverlängerung bemerkte er, Sie gehörten zur Elite der NHL-Torhüter. Ein Super-Kompliment, nicht?

D.A.: Solche Komplimente hört man gern. Nun muss ich die guten Vorgaben der letzten Saison bestätigen. Und hoffen, die Saison starte wie geplant.

Zur Zeit ist es schwierig abzuschätzen, wie es wegen dem ‹Lock Out› weitergeht. Beide Seiten, Spieler und Klubbesitzer, sind mitten in den Verhandlungen. Es ist gut möglich, dass eine Einigung erst in letzter Minute erzielt wird.

Es ist auch klar, dass die Spieler gerne wieder aufs Eis gehen möchten. Doch der Kampf um unsere Rechte, und die Rechte aller jungen Spieler, die einmal in der NHL spielen werden, muss geführt werden.

Persönlich werde ich mich Mitte September entscheiden. Am 16. September ist in Denver ein Trainingslager geplant. Falls der ‹Lock Out› anhält, bestehen verschiedene Möglichkeiten für mich: In der Schweiz oder anderswo in Europa.

swissinfo: Einige NHL-Stars haben bereits Verträge in der Schweiz unterschrieben. Der HC Davos hat einen dritten NHL-Söldner verpflichtet. Sehen wir bald Ihren Mitspieler Joe Sakic bei Fribourg-Gottéron?

D.A.: Ich denke nicht, dass Joe über den Atlantik kommt. Er ist schon älter, braucht etwas längere Ferien (lacht). Einige jüngere Stars könnten jedoch diesen Schritt tun.

Eine Situation, die für das Schweizer Hockey positiv sein könnte, auch wenn der ‹Lock Out› nur einen oder zwei Monate dauern würde. Die Schweizer Zuschauer könnten so Stars sehen, die ihnen unter andern Umständen vorenthalten bleiben würden.

swissinfo: Falls der «Lock Out» länger dauern würde, könnten Sie vielleicht auch wieder für Nationaltrainer Ralph Krueger interessant werden. Seit den Olympischen Spielen in Salt Lake City 2002 haben Sie ja das Schweizer Trikot nicht mehr getragen.

D.A.: Es ist klar: Wenn sich die Gelegenheit ergibt, würde ich gerne wieder in der Nationalmannschaft spielen. Doch die Colorado Avalanche bleiben mein Team Nummer 1.

swissinfo: Ihr Vorgänger, Patrick Roy, hat das Tor bis ins Alter von 37 Jahren gehütet. Wie sehen Sie Ihre Zukunft?

D.A.: Ich würde gerne bis 35 oder 36 in der NHL spielen. Anschliessend ein, zwei Jahre in der Schweiz, das würde mir gut gefallen.

swissinfo-Interview: Raphaël Donzel
(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

David Aebischer ist am 7. Februar 1978 in Genf geboren.
1996/97 spielte er seinen ersten Match in der Nationalliga A mit Fribourg-Gottéron.
Seit 1997 spielt er in den USA.
2003 konnte der Freiburger in Denver den Job von Patrick Roy im Tor von Colorado Avalanche übernehmen.
Er verdient heute 2,5 Mio. Dollar pro Saison.

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