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Abhörwanzen auch am UNO-Sitz in Genf?

Wird auch der UNO-Sitz in Genf von Geheimdiensten bespitzelt? Keystone

Der britische Geheimdienst soll nach Angaben eines Ex-Agenten auch am Genfer UNO-Sitz spioniert haben. Im Visier gewesen sei Hochkommissarin Mary Robinson.

In Genf weiss man offiziell von nichts. Wenn die Darstellung stimme, wäre man aber «sehr enttäuscht».

Die Abhöraffäre um die Vereinten Nationen weitet sich aus. Nach einem Bericht der «NZZ am Sonntag» sollen Ende der neunziger Jahre zahlreiche Agenten des englischen Ausland-Nachrichtendienstes MI6 Büros im UNO-Hauptsitz in Genf bespitzelt haben.

Der ehemalige MI6-Agent Richard Tomlinson erklärte, das Ziel sei gewesen, die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, auszuspionieren.

Die ehemalige irische Präsidentin Robinson war von 1997 bis 2001 Hochkommissarin für Menschenrechte und hatte wegen ihrer kritischen Haltung in Menschenrechts- und Kriegsfragen besonders mit den USA Differenzen.

Robinson zeigte sich von den neusten Enthüllungen nicht überrascht. «Mir war immer bewusst, dass die Möglichkeit, ausspioniert zu werden, existierte, und ich habe mich entsprechend verhalten», erklärte sie gegenüber der «NZZ am Sonntag».

Das Recht auf Vertraulichkeit

Am Genfer UNO-Sitz weiss man offiziell nichts darüber, dass solche Abhöraktionen auch in dessen Gebäuden stattgefunden haben könnten.

«Wir haben keinerlei Beweise, dass es in Genf solche Vorfälle gab», sagte UNO-Sprecherin Marie Heuzé gegenüber der «NZZ». Falls die Darstellung stimme, «wären wir sehr enttäuscht».

Solche Lauschangriffe auf hochrangige UNO-Beamte und -Diplomaten würden die Integrität und die vertrauliche Natur des diplomatischen Austausches unterminieren.

Wer mit dem UNO-Generalsekretär oder mit der UNO-Hochkommissarin spreche, habe ein Anrecht darauf, dass die Unterredung vertraulich bleibe.

Kein Eingeständnis aus London

Mit den Aussagen des MI6-Agenten gerät – nach dem UNO-Hauptsitz in New York – nun auch der Genfer Sitz in den Strudel der Abhör-Affäre.

Vergangene Woche hatte die ehemalige britische Ministerin Clare Short erklärt, britische Agenten hätten UNO-Generalsekretär Kofi Annan und andere hohe UNO-Funktionäre vor dem Irak-Krieg in ihren Büros in New York bespitzelt. Sie habe seinerzeit selbst Mitschriften von Gesprächen Annans gelesen.

Ein Sprecher Annans erklärte gegenüber der BBC, die UNO habe die britische Regierung um eine eindeutige Stellungnahme gebeten.

Bislang habe es einen «entschuldigend klingenden» Anruf aus London gegeben, der jedoch nicht an ein «grundlegendes Eingeständnis» herangereicht habe.

Blix, Butler, Boutros-Ghali

Auch der ehemalige UNO-Waffeninspektor Hans Blix verdächtigt den US-Geheimdienst, ihn in seinem Büro und seinem Haus in New York ausspioniert und ihm Unterlagen gestohlen zu haben.

Blix sagte, er habe damals damit gerechnet, von den Irakern belauscht zu werden. Dass die USA sich jedoch genauso verhalten hätten, sei abscheulich.

Er habe keinen endgültigen Beweis dafür, dass er von den USA ausspioniert worden sei. Er habe jedoch Verdacht geschöpft, als er in seinem Haus mehrfach Probleme mit der Telefonleitung gehabt habe.

Wenn er etwas Wichtiges zu besprechen gehabt habe, sei er in ein Restaurant oder auf die Strasse gegangen.

Ähnlich hatte sich bereits kurz zuvor Blix Vorgänger als Chefinspekteur in Irak, Richard Butler, geäussert. «Wenn ich mit jemandem etwas wirklich Vertrauliches zu besprechen hatte, machten wir einen Spaziergang im Central Park.»

Kofi Annans Vorgänger Boutros-Ghali schliesslich erklärte, er sei bereits bei seinem Amtsantritt vor Wanzen in seinem Büro gewarnt worden und habe sich entsprechend vorsichtig verhalten.

Spionage ist diplomatischer Alltag

UNO-Vertreter zahlreicher Staaten gehen nach Angaben von Diplomaten seit langem davon aus, dass sie vor allem von US-Geheimdiensten belauscht werden. «Ich verstehe die ganze Aufregung nicht», sagt der ehemalige Offizier des britischen Geheimdienstes MI6, Richard Tomlinson, «das geht doch schon seit Jahren so».

Viele UNO-Funktionäre, die zuvor für ihre Staaten gearbeitet hätten, blieben diesen gegenüber loyal und würden bei Bedarf Geheiminformationen weitergeben. Die UNO und andere internationale Organisationen seien «gespickt mit Spionen».

Fachleute halten es allerdings für unwahrscheinlich, dass der britische Geheimdienst eine Wanze in Kofi Annans Telefon eingebaut hat. Viel eher seien seine Gespräche elektronisch abgefangen worden, was heute technisch keine Probleme mehr stelle und für die Geheimdienste Alltagsgeschäft sei.

swissinfo

Mehrere hochrangige UNO-Funktionäre sollen vor und während des Irak-Krieges durch den britischen und amerikanischen Geheimdienst bespitzelt worden sein.

Betroffen sind möglicherweise UNO-Generalsekretär Kofi Annan, der ehemalige UNO-Chefinspektor Hans Blix und sein Vorgänger Richard Butler.

Nach neusten Aussagen eines britischen Ex-Agenten ist Spionage auch am UNO-Sitz in Genf gang und gäbe. Abgehört worden sei unter anderem die frühere UNO-Hochkommisssarin Mary Robinson.

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