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Abschaffung der Wehrpflicht im europäischen Trend

Immer mehr Länder Europas gehen seit Ende des Kalten Krieges zu Berufsarmeen über.

Dies aus Kostengründen und weil sich die Bedrohungslage geändert hat.

Stand während des Kalten Krieges für die Streitkräfte Westeuropas die Verteidigung des Territoriums gegen einen Angriff von Massenarmeen des Warschauer Paktes im Vordergrund, so sind heute rasche Interventionen in Krisengebieten wie dem Balkan oder dem Mittleren Osten angesagt. Schlanke, professionelle Hi-Tech-Armeen statt Massenheere lautet daher heute die Devise.

Am frühesten schafften die anglophonen Staaten, die eine Tradition der Berufsarmeen kennen, die Wehrpflicht ab: Grossbritannien und Kanada um 1960, die USA mit dem Rückzug aus dem Vietnamkrieg 1973.

In den letzten 15 Jahren haben aber auch die Benelux-Staaten, Spanien und Frankreich den Wechsel von der personalstarken Wehrpflichtigen-Armee hin zur kleinen Freiwilligen- und Berufsarmee vollzogen.

In Frankreich gibt es nur noch einen obligatorischen «Vorbereitungstag für die Verteidigung». Italien zieht dieses Jahr die letzten Wehrpflichten ein und wechselt 2005 zur Berufsarmee.

Wehrpflicht bröckelt

Deutschland hält derzeit noch an der Wehrpflicht fest, doch besteht de facto die freie Wahl zwischen Militär- und Zivildienst. Allerdings bröckelt hier in der rotgrünen Regierung die Unterstützung der Wehrpflicht.

Bei den übrigen Nato-Staaten besteht weiterhin Wehrpflicht, obschon fast überall deren Abschaffung diskutiert wird, besonders bei den neuen Nato-Mitgliedern Polen, Tschechien und Ungarn. In einigen Ländern wie Dänemark und Portugal entscheidet das Los.

Mit Ausnahme Irlands halten die neutralen Staaten Schweden, Finnland, die Schweiz und Österreich derzeit noch an der Wehrpflicht fest. Österreich diskutiert verschiedene Dienstpflicht-Varianten – mit und ohne Waffe.

In Russland wurde ein seit längerem geplanter Übergang von einer Wehrpflichtigen- zu einer Berufsarmee wegen des Tschetschenienkrieges zurückgestellt.

Kontroverse um Wehrpflicht und Berufsarmee

Anhänger der Wehrpflicht weisen darauf hin, dass Berufsheere leicht zu einer isolierten, antidemokratischen Kaste werden könnten – wie die deutsche Reichswehr in der Zwischenkriegszeit.

«Die Wehrpflicht schafft bürgernahe Streitkräfte. Die Wehrpflicht-Armee ist die intelligentere Armee», heisst es daher auf der Homepage der Bundeswehr.

Nach Meinung des Militärsoziologen und ETH-Professors Karl Haltiner sind Berufsheere heute aber keine Gefahr mehr für die Demokratie, wenn ihre Soldaten in demokratischen Verhältnissen aufwachsen.

Kontrovers sind auch die Meinungen über die Kosten einer Berufsarmee. Die Aufgabe der Wehrpflicht führe «zu Mehrkosten für aufwändige Besoldungs-Verbesserungen und Werbekampagnen», warnt die Bundeswehr.

«Kurzfristig ist die Professionalisierung teurer als eine Milizarmee, langfristig aber nicht», erklärte demgegenüber Victor Mauer, Leiter der Forschungsstelle für europäische Sicherheitspolitik an der ETH Zürich, gegenüber dem Nachrichtenmagazin «Facts». Er verwies unter anderem auf die geringeren Kosten einer kleineren Streitmacht.

swissinfo und Agenturen

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