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Ärzte fordern Ende des Zulassungsstopps

Die ärztliche Grundversorgung auf dem Land ist ungenügend. Über die Gründe wird gestritten. Severin Nowacki

Seit fünf Jahren besteht in der Schweiz ein Zulassungsstopp für neue Arztpraxen. In dieser Zeit hat deren Zahl aber jährlich um rund 700 zugenommen, da die Kantone zahlreiche Ausnahmebewilligungen erteilen.

Der Verband der Assistenz- und Oberärzte (VSAO) kritisiert den Ärztestopp und schlägt als Alternative ein flächendeckendes Hausarztmodell vor.

Als «Schnappsidee» bezeichnet der Verband der Assistenz- und Oberärzte (VSAO) polemisch den Ärztestopp und weist darauf hin, dass dieser bezüglich Kostensenkung im Gesundheitswesen keine Wirkung gezeigt habe.

«Dafür hat diese Massnahme massive Nebenwirkungen gehabt», sagt Peter Studer, Präsident des VSAO gegenüber swissinfo. «Sie führte zu Innovationshemmung und Strukturerhaltung.»

Konkret bedeute dies, dass die Ärzte immer länger im Spital blieben, wo sie sich zu Spezialisten ausbilden liessen, während die ärztliche Grundvesorgung gerade auf dem Land zu kurz komme.

Aus Angst vor Ärzteschwemme aus der EU

Der Ärztestopp wurde im Juli 2002 eingeführt, um zu verhindern, dass der einheimische Markt mit Ärzten aus der EU überschwemmt würde. Einmal wurde er bereits verlängert, im Juli 2008 läuft er aus.

Um eine weitere Verlängerung durch den Bundesrat zu verhindern, ist der VSAO mit einem Alternativmodell an die Öffentlichkeit getreten.

Dieses sieht vor, dass Patienten einen so genannten Care Manager oder Behandlungskoordinator frei wählen können, mit anderen Worten ihren Hausarzt oder ihre Hausärztin. Nur wenn eine Zuweisung durch den Hausarzt vorliegt, soll die Grundversicherung die Leistungen von Spezialisten und Spitälern zahlen.

Damit wird der direkte Zugang zum Spezialisten eingeschränkt. Dies soll zu einer «kontrollierten Kostenentwicklung» führen. Die freie Arztwahl wird auch insofern behindert, als die Patienten die Kosten bei einem Wechsel des Hausarztes selber übernehmen müssten. «Das sind kostensenkende Ansätze, welche die Effizienz im Gesundheitswesen stärken», betont Studer.

Junge Ärztinnen ziehen Gruppenpraxen vor

Laut dem VSAO-Präsidenten hat der geltende Ärztestopp aber noch andere Nachteile: Weil es nicht möglich sei, eine bestehende traditionelle Einzelpraxis durch eine Gruppenpraxis zu ersetzen, seien viele Frauen und junge Ärzte durch den Ärztestopp benachteiligt.

«Gruppenpraxen entsprechen den Arbeitsvorstellungen von jungen Ärztinnen und Ärzten, die nicht mehr bereit sind, an Wochenenden und monatelang ununterbrochen Dienst zu tun», weiss Peter Studer.

Santésuisse ist für Vertragsfreiheit

Auch der Verband der Krankenkassen Santésuisse ist gegen den «diskriminierenden Zulassungsstopp», wie Peter Marbet sagt. Denn der führe dazu, dass diejenigen, die bereits im System seien, privilegiert würden, während die anderen draussen blieben.

«Wir schlagen die Vertragsfreiheit vor», so der Santésuisse-Sprecher. Konkret: «Nicht jeder Arzt soll automatisch Vertragsarzt der Krankenkassen sein, sondern es müsste eine gewisse Auswahl der Ärzteschaft möglich sein. Dann könnte man auch über Verträge und Preise verhandeln, junge und etablierte Ärzte hätten die gleichen Chancen.»

Von diesem Modell erhofft sich Santesuisse Einsparung von Kosten, da es «ein Instrument zur Regulierung der Ärztedichte» wäre.

Für Santéssuisse ist klar, dass die Politik nun handeln muss und Alternativen zum Zulassungsstopp prüft. «Wir hoffen, dass nun endlich diese Diskussion über Vertragsfreiheit, Manage Care und Hausarztmodell in Gang kommt, die man jahrelang gescheut hat», sagt Marbet.

«Die Hausärzte sind schlecht verteilt»

Im Departement des Innern (EDI), das für den Ärztestopp verantwortlich ist, gibt man sich gelassen. Zur Diskussion stünde entweder die Verlängerung des Moratoriums oder die Aufhebung des Vertragszwangs, sagt EDI-Sprecher Jean-Marc Crevoisier. Ende August werde sich das Parlament mit der Frage befassen.

«Es gibt nicht zuwenig Hausärzte, sondern sie sind schlecht verteilt», widerspricht der EDI-Sprecher der Behauptung des VSAO. Das Problem, dass sich Ärzte eher in der Stadt konzentrieren als auf dem Land ein Praxis zu eröffnen, werde sich auch mit der Aufhebung des Zulassungsstopps nicht lösen.

swissinfo, Susanne Schanda

Im Juli 2002 zog die damalige Innenministerin Ruth Dreifuss bei der Kostenexplosion im Gesundheitswesen die Notbremse und führte einen Zulassungstopp für neue Arztpraxen ein.

Der Stopp war insbesondere gegen die befürchtete Ärzteschwemme aus der Europäischen Union (EU) gerichtet. Durch die Personenfreizügigkeit im Rahmen der Bilateralen Verträge hätten EU-Ärzte leicht zahlreiche Praxen eröffnen können.

Nach drei Jahren wurde der Ärztestopp mangels Alternativen zur Kostensenkung um drei weitere Jahre verlängert. Am 3. Juli 2008 läuft er aus.

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