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Ärzte und Apotheker zur Ordnung gerufen

Kostet über 80 Franken: Eine Packung Tamiflu von Roche. Keystone

Die Standesorganisationen der Ärtze und Apotheker rufen ihre Mitglieder auf, der Hysterie ums Grippe-Medikament Tamiflu Einhalt zu gebieten.

Es sei unnötig, das Medikament zum jetzigen Zeitpunkt an Private abzugeben, weil die Vogelgrippe nur sehr selten Menschen befalle.

In der Schweiz ist es in den vergangenen Tagen zu einem Sturm auf das antivirale Grippemedikament Tamiflu des Basler Pharmariesen Roche gekommen. Von Januar bis September 2005 seien 9 Mal mehr Packungen verkauft worden als zur gleichen Zeit im Vorjahr, berichtete die «NZZ am Sonntag».

Verglichen mit einem durchschnittlichen Monat sei der Absatz im August und September 25 Mal höher gewesen.

Apotheker-Chef: Panik durch Medien

Ärzte und Apotheker wollen diesem Run jetzt Einhalt gebieten. In einem gemeinsamen Schreiben des Ärzteverbandes (FMH) und des Schweizerischen Apothekerverbandes (SAV) heisst es, die Bevölkerung habe immer grössere Schwierigkeiten, die Informationen zur Vogelgrippe richtig einzuordnen.

«Es ist eine Art Panik in der Bevölkerung ausgebrochen», erklärte Dominique Jordan, Präsident des SAV, gegenüber swissinfo. «Wenn es jetzt ein Problem gibt, hat das damit zu tun, dass gewisse Medienprodukte die Angst vor der Vogelgrippe ausnutzen, um ihre Marktanteile zu verbessern.»

Der Blick auf die Frontseiten der Zeitungen der vergangenen Tage scheint ihm Recht zu geben – allenthalben sieht man Arbeiter in Schutzmasken, Tamiflu-Packungen und Schreckensmeldungen wie «Todescontainer für Hühner stehen schon bereit».

Tamiflu ohne Rezept

Dass aber offenbar auch Apotheker von dieser Angst profitieren wollen, zeigen Berichte in der Sonntagspresse, wo den Journalisten bei Testkäufen das rezeptpflichtige Medikament ohne Verschreibung anstandslos verkauft wurde – immerhin 30 Franken bleiben beim Kauf des 86,50 Franken teuren Medikaments in der Apotheke, hat der «Blick» vom Samstag errechnet.

Noch bevor die Ergebnisse dieser Testkäufe bekannt wurden, hatte Apotheker-Chef Jordan erklärt: «Es stimmt, dass wir verkaufen müssen, um zu leben. Aber wir müssen auch sicher stellen, dass die Produkte die wir verkaufen, keinen Schaden anrichten.»

Dem Gebaren in den Apotheken setzen SAV und FMH in ihrem Schreiben jetzt deutliche Wort entgegen: «Es gibt derzeit in der Schweiz keinerlei Anlass, Tamiflu prophylaktisch oder als private Reserve zu verschreiben oder abzugeben.»

Behörden legen Lager an

Dies betont auch Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit (BAG): «Regierungen müssen Lager anlegen. Es gibt keinen Grund für Private, es zu beschaffen», erklärte er gegenüber swissinfo.

Die Schweiz habe ein Lager bereitstellen lassen, das für einen Viertel der Bevölkerung reichen würde, wenn eine Pademie ausbrechen sollte. «Es wäre genug, um alle zu behandeln, die es nötig hätten.»

Tamiflu glänzt in der Roche-Bilanz

Der Hersteller Roche in Basel schweigt sich derweil über die Verkaufszahlen von Tamiflu aus. Ein Sprecher bezifferte den Umsatz des Mittels im ersten Halbjahr weltweit aber mit 580 Mio. Franken, was einer Steigerung von 357% gegenüber 2004 entspräche.

Der Pharmariese wird nächste Woche seine Vierteljahres-Zahlen bekannt geben. Analysten gehen davon aus, dass aber nicht Tamiflu, sondern das Krebs-Medikament Avastin am meisten Geld in die Kassen von Roche gespült hat.

Situation unverändert

Für die Schweizer Behörden hat sich die Situation auch nach dem positiven Befund aus Rumänien nicht wesentlich verändert. Dass es sich auch in Rumänien um das gefährliche H5N1-Virus handle, sei erwartet worden, sagte Cathy Maret vom Bundesamt für Veterinärwesen (BVET).

Weitere Massnahmen, etwa eine Einschränkung der Freilandhaltung, seien vorerst nicht geplant. Seit vergangenem Montag gilt ein Importstopp für Geflügel aus Rumänien und der Türkei. Zudem sind verschärfte Grenzkontrollen in Kraft.

swissinfo und Agenturen

Das Grippevirus H5N1 tauchte Mitte 2003 in Südost-Asien auf.
Rund 150 Mio. Vögel starben bisher oder wurden notgeschlachtet.
Das Virus soll sich in Vietnam, Indonesien, Thailand, Kambodscha, China und möglicherweise Laos festgesetzt haben.
Infektionen von Menschen wurden aus Vietnam, Thailand, Kambodscha und Indonesien gemeldet.
Bisher hat die Grippe mindestens 65 Menschen getötet, die meisten hatten direkten Kontakt mit Vögeln.
Im vergangenen Winter tauchte das Virus in Russland und Kasachstan auf, vergangene Woche in der Türkei und in Rumänien.

Um die Ausbreitung der Vogelgrippe zu verhindern, hat die Schweiz den Import von Geflügel aus Ländern wie verboten, wo das Virus aufgetaucht ist.

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) empfiehlt Personen mit Kontakt zu Geflügel, eine normale Grippeimpfung.

Seit vergangenen Monat untersuchen die Behörden auch Zugvögel auf das Vogelgrippevirus.

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