Aidsforschung: Netzwerk zwischen Afrika und Europa
In Afrika leiden rund 25 Mio. Menschen an der unheilbaren Immunschwächekrankheit Aids. Über die Krankheiten geforscht wird jedoch vorwiegend in Europa und den USA.
Zur besseren Bekämpfung von Aids hat der afrikanische Arzt Charles Senessie aus Bern ein Netzwerk zum Wissensaustausch zwischen den Kontinenten aufgebaut.
«Eine verbesserte globale Zusammenarbeit ist dringend nötig, um gegen die Missstände im afrikanischen Gesundheitssystem vorzugehen», sagt Charles Senessie, der Arzt aus Sierra Leone, der seit 2004 in der Schweiz lebt.
Etliche Linien durchziehen die Weltkarte an der Wand in seinem Büro in der Nähe von Bern: Alle führen von Europa und Nordamerika nach Afrika – und zurück.
Es sind die Verbindungen, die Senessie bereits aufgebaut hat. Damit will er die Welt vernetzen, um den wissenschaftlichen Austausch zwischen dem Schwarzen Kontinent und dem Rest der Welt zu fördern.
WHO-Partner
Vor einem Jahr hat er deshalb das Afro-Europäische Netzwerk für Medizin und Forschung (AEMRN) in Bern gegründet – und ist damit auf internationales Interesse gestossen.
In den USA, in Kanada, Schweden und Holland sind seither weitere Büros entstanden. Diese arbeiten mit jenen in Sierra Leone, Liberia, Kamerun, Kenia, Ghana und Kongo zusammen. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) liess sich von seinem Projekt überzeugen und ernannte Senessie zum Partner ihres Programms für den globalen Wissensaustausch.
Gegenseitig profitieren
Heute gebe es grosse Wissenslücken zwischen Europa und Afrika, stellt Senessie fest: «Die Kranken sind in Afrika, die Forschung aber findet im Westen statt.» In der Schweiz wisse jeder, was Aids sei und wie es übertragen werde – in Afrika, wo 60% der Aidskranken lebten, jedoch nur die wenigsten.
Umgekehrt müssten viele Studien der Aids-Forschung hinterfragt werden, weil sie in Europa durchgeführt worden seien und nicht in Afrika, wo die Probleme am grössten seien. «Mit einer besseren Zusammenarbeit könnte die Wissenschaft von den Erfahrungen der afrikanischen Ärzte profitieren», so der Arzt aus Sierra Leone.
Der Flüchtling, der Aids bekämpft
Bewusst wurde sich Senessie dieses Ungleichgewichts, als er 2004 als Flüchtling in die Schweiz kam, wo bereits seine Familie lebte. In Afrika hatte er sich als Arzt insbesondere mit Aids beschäftigt.
In der Schweiz knüpfte er dank der Unterstützung von Ueli Hänni, der als Hausarzt viele Flüchtlinge behandelt, schnell Kontakt mit Aids-Spezialisten des Universitätsspitals Bern.
Später arbeitete Senessie während einem Jahr am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern. Er war unter anderem in der Aids-Forschung tätig und nahm an vielen internationalen Tagungen teil. Seit 2006 ist er freiwilliger Assistenzarzt in Hännis Praxis, der heute Berater des AEMRN-Netzwerkes ist.
Etwas zurückgeben
Er sei eines Tages von einem verzweifelten Kollegen in Afrika um Hilfe gebeten worden. Da habe er gesehen: Es gebe Möglichkeiten, sein Wissen in Afrika weiterzugeben, sagte Senessie. «Ich wollte meiner Heimat, die ich verlassen hatte, etwas zurückgeben.»
Dieses Bedürfnis teile er mit vielen Afrikanern in der Fremde. Viele Mitglieder des Netzwerks sind emigrierte afrikanische Ärzte, Soziologen, Psychologen und Ingenieure, die sich mit ihren Kollegen in Afrika austauschen.
Dank der Zusammenarbeit könnten sich Ärzte in Afrika selbst helfen, fährt er fort. Dies sei wichtig, denn «der beste Pilot ist derjenige, der die Strecke am besten kennt». Es mache keinen Sinn, wenn medizinische Hilfe in Afrika nur von Europäern geleistet werde.
Gegen Abhängigkeit
Wissensaustausch mit Europa statt Abhängigkeit vom Westen – das ist das Ziel der Projekte von AEMRN. Sie basieren auf ehrenamtlicher Arbeit und werden durch private Spenden finanziert. So hat das Netzwerk unter anderem in Liberia ein Krankenhaus aufgebaut, das nun als universitäres Ausbildungs- und Forschungszentrum dient.
Und in «Workcamps», welche das Netzwerk ab November in Afrika durchführt, werden interdisziplinäre Gruppen afrikanischer und europäischer Wissenschaftler in Kenia, Liberia und Kamerun mit einer mobilen Gesundheitspraxis von Dorf zu Dorf ziehen.
Ziel ist es, die Bevölkerung über Aids und andere Krankheiten zu informieren, sie zu behandeln und Daten für die wissenschaftliche Auswertung aufzunehmen. «So kann eine gemeinsame Erfahrungsbasis für die Zusammenarbeit geschaffen werden.»
swissinfo und Manuela Ryter (InfoSüd)
Weltweit leben mehr als 38 Mio. Menschen mit HIV und Aids.
2005 waren es rund 25 Mio. Kranke in Afrika.
2005 starben 2,8 Millionen Menschen an Aids, auch hier die meisten im südlichen Afrika.
Insgesamt haben sich seit 1981 rund 65 Mio. Menschen mit dem HIV-Virus angesteckt, 25 Millionen Personsn sind daran gestorben.
UNAIDS schätzt, dass im letzten Jahr ungefähr 10 Mrd. Franken für Behandlung, Prävention und Waisen-Betreuung in den Entwicklungsländern ausgegeben wurden.
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