Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Alarm bei Kindsentführungen

Erwachsene sind nicht nicht immer Kinderfreunde. Ex-press

Auf Kindsentführungen soll rascher reagiert werden. Dies fordern hundert Schweizer Persönlichkeiten in einem offenen Brief an die Landesregierung.

Wenn ein Kind entführt werde, müsse sofort Alarmstufe eintreten. Zu den Unterzeichnern gehören Top-Eiskunstläufer Stéphane Lambiel, Ex-Ski-Champion Pirmin Zurbriggen und Alinghi-Chef Ernesto Bertarelli.

«Jedes Behörden-Mitglied, jeder Polizist weiss, dass das Schicksal jedes gekidnappten Kindes in den ersten Stunden nach dessen Entführung entschieden wird», heisst es in dem in der Walliser Regionalzeitung Le Nouvelliste veröffentlichten Aufruf der VIP’s.

Hingewiesen wird auf die positiven Erfahrungen in den USA, Kanada und Frankreich. Dort würden Kindsentführungen sofort grosse Aufmerksamkeit in den lokalen Medien erfahren und auch auf Info-Tafeln in Bahnhöfen und auf Autobahnen signalisiert. Dadurch seien viele Menschenleben gerettet worden.

Ylenia und Madeleine

Gemäss schweizerischem Radio- und Fernsehgesetz müssen im Fall einer Entführung entsprechende Polizeiaufrufe übermittelt werden.

Das Verschwinden des fünfjährigen Mädchens Ylenia vor sechs Wochen in der Ostschweiz prägte die Schlagzeilen in den Schweizer Medien. Der Fall Ylenia wurde als Parallele zum Verschwinden der britischen Mädchens Madeleine McCann früher in diesem Jahr in Portugal gesehen. Ylenia wurde mittlerweile in einem Wald im Kanton St. Gallen tot aufgefunden.

Bessere Koordination

Obwohl der Fall Ylenia die Schweizer Öffentlichkeit bewegt, ist Kindsentführung hierzulande nichts Neues. Der Offene Brief an den Bundesrat sei nicht der erste Aufruf in dieser Sache, schreibt der Nouvelliste.

Die 1995 gegründete, private «Fredi-Stiftung» zur Suche nach vermissten Kindern lancierte im Mai dieses Jahres eine Petition für eine bessere Zusammenarbeit zwischen regionalen Polizeikräften im Fall von Kindsentführungen.

In der Schweiz sind die 26 Kantone für ihre eigenen Polizeikräfte verantwortlich, und sie halten an ihrer kantonalen Souveränität «mit Zähnen und Krallen» fest, sagt André Burgy, Präsident der «Fredi-Stiftung», gegenüber swissinfo. «Koordination auf kantonaler Ebene ist schwierig. Im Fall Ylenia Lenhard gab es sie, aber auf sehr, sehr niedrigem Niveau.»

Zusammenarbeit auf Bundesebene

Als Ylenia als vermisst gemeldet wurde, sei es mindestens sechs Tage gegangen, bis überkantonale Polizeikräfte zur Mitarbeit aufgefordert wurden, sagt Burgy. Obschon die Grenze zu Österreich lediglich 15 Minuten vom Ort entfernt ist, wo das Kind verschwand

«Koordination muss auf Bundesebene organisiert werden, zum Beispiel durch die Bundespolizei. Der Alarm muss losgehen, sobald die Polizei an Ort von dem Fall weiss», so Burgy.

Die Rolle der Öffentlichkeit

Parallel dazu könnten nach einer Kindsentführung auch Infos und Bilder für die Öffentlichkeit verbreitet werden. Nach Ansicht von Experten ist dies technisch machbar und auch legal.

Burgy zweifelt indessen an solchen Massnahmen. Die Entführer würden dagegen geeignete Schritte unternehmen.

Jetzt handeln

Die Unterzeichner des Offenen Briefes an den Bundesrat wollen, dass die Schweizer Regierung so bald als möglich etwas unternimmt gegen Kindsentführungen.

«Handeln wir jetzt. Ein gerettetes Leben – nur eines – ist ein Treffen von wenigen Minuten zwischen der Landesregierung, den massgebenden Bundesbehörden sowie den Vertretern der Kantone und der Medien wert», heisst es in dem Aufruf im Nouvelliste.

swissinfo und Agenturen

Laut Polizeistatistik wurden 2006 in der Schweiz 1593 Kinder als vermisst gemeldet.

2005 waren es 1109.

Die meisten davon sind «abgehauen» und wurden bald wieder gefunden.

Am 15. September wird die Leiche der fünfeinhalbjährigen Ylenia Lenhard in einem Wald im Kanton St. Gallen von einer Privatperson gefunden.

Das Mädchen aus dem nordostschweizerischen Kanton Appenzell wurde am 31. Juli zum letzten Mal bei einem Hallenbad gesehen.

Die Polizei fand am Abend dieses Tages Ylenias Tasche mit Inhalt in einem Wald rund 30 Kilometer von der Badeanstalt entfernt.

Am 1. August fand die Polizei im selben Wald die Leiche eines Mannes, der sich mit einer Pistole selbst umgebracht haben soll.

Im Umfeld der Leiche wurden Gegenstände gefunden, die Ylenia gehörten. Weitere Ermittlungen ergaben, dass Ylenia sich zu einem gewissen Zeitpunkt im Camper des Toten aufhielt.

Die Polizei glaubt, dass der Tote auch verantwortlich sein könnte für einige ungeklärte Fälle von Kindsentführungen in den 1980-er Jahren.

Der Absatz von Kinderhandys zur Eltern-Kontrolle über den Aufenthalt ihrer Sprösslinge hat sich seit dem Verschwinden von Ylenia vervierfacht.

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft