Senioren kämpfen mit zwei Volksinitiativen gegen Altersdiskriminierung
Ältere Menschen fühlen sich häufig benachteiligt und diskriminiert. Nun werden in der Schweiz zwei Volksinitiativen lanciert, um gegen Altersdiskriminierung vorzugehen. Eine dieser Initiativen forderte die Beseitigung jeglicher Benachteiligung aufgrund des Alters. Die zweite Vorlage fokussiert auf die Betreuung im Alter und deren Kostendeckung.
Im Artikel zur Rechtsgleichheit in der BundesverfassungExterner Link (Artikel 8) heisst es, dass «niemand wegen seines Alters diskriminiert werden darf». Im Alltag bleibt dieses Gebot allerdings häufig ein toter Buchstabe, da weder Anwendungsgesetze noch Sanktionen existieren.
OECD empfiehlt Massnahmen
Bereits in einem Bericht aus dem Jahr 2014Externer Link hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Schweiz darauf hingewiesen, sie sollte «Gesetze oder Richtlinien gegen die Altersdiskriminierung verabschieden, wie in den meisten OECD-Ländern bereits geschehen».
Die OECD hatte die Situation von über 55-Jährigen auf dem Arbeitsmarkt analysiert und Empfehlungen formuliert, welche den Alterungsprozess der Bevölkerung begleiten sollten. Die OECD hatte feststellt, dass Arbeitnehmende in fortgeschrittenem Alter häufig der Altersdiskriminierung ausgesetzt sind, das heisst auf Grund ihres Alters Nachteile erleiden müssen. Vorurteile gegenüber dieser Altersgruppe sind an der Tagesordnung.
Schädlich, aber toleriert
Altersdiskriminierung lässt sich indes nicht nur auf dem Arbeitsmarkt antreffen, sondern auch in vielen anderen Bereichen, etwa in der Gesundheitsversorgung oder bei der Wohnungssuche. Und Altersdiskriminierung kann nicht nur Senioren treffen, sondern auch andere Altersschichten. Doch bei Senioren ist das Phänomen besonders verbreitet.
Die Weltgesundheits-Organisation (WHO) bezeichnet das so genannte «Ageing»Externer Link als eine «weit verbreitete und tückische Praxis, die negative Folgen für die Gesundheit der Alten hat, auch Marginalisierung und Ausschluss aus der Gesellschaft bedeuten kann».
Die WHO bedauert zudem, dass die Altersdiskriminierung in der Regel gesellschaftlich akzeptiert oder zumindest toleriert ist, ganz im Gegensatz zu Rassismus und Sexismus, die geächtet werden.
Senioren holen zum Gegenschlag aus
Es überrascht daher nicht, dass nun Seniorenverbände die Mittel der direkten Demokratie nutzen wollen, um Altersdiskriminierung konkret zu bekämpfen. Der «Allianz gegen Altersdiskriminierung»Externer Link haben sich neben diesen Verbänden linke und bürgerliche Senioren, aber auch Gewerkschaften angeschlossen.
Ihre Forderung lautet: Jede Benachteiligung aufgrund des Alters soll beseitigt werden, sowohl im Verhältnis zum Staat wie unter Privaten. Und wer sich als Opfer sieht, soll das Recht erhalten, dagegen zu klagen. Ebenso soll es ein Recht auf Schadenersatz geben.
Die Allianz hat bereits einen Entwurf des Initiativtexts ausgearbeitet, weigert sich aber bisher, Angaben darüber zu machen, wann mit der Sammlung von Unterschriften begonnen werden soll und wie sich das Initiativkomitee zusammensetzen wird.
«Wir werden Sie informieren, wenn die Zeit reif ist», heisst es auf Anfrage von swissinfo.ch. Zudem wird darauf hingewiesen, dass «das Problem komplex ist und nicht nur ältere Menschen betrifft».
Es scheint jedoch, dass der Start der Unterschriftensammlung unmittelbar bevorsteht. Es ist somit denkbar, dass das Thema der Altersdiskriminierung während der Kampagne für die nationalen Wahlen vom Oktober 2019 lanciert wird.
Das Kernanliegen besteht in der Forderung, «dass alle Personen in der Schweiz bis ans Lebensende einer ihrer individuellen Situation angemessenen Weise betreut, gepflegt und in der Alltagsbewältigung unterstützt werden». Bund und Kantone wären angehalten, diese Leistungen in guter Qualität zu erbringen. Die Finanzierung soll «solidarisch erfolgen und sich am Gemeinwohl orientieren», um Ungleichbehandlung zu vermeiden.
Hinter dem Netzwerk stehen zahlreiche Fachleute aus dem Alters- und Pflegebereich sowie aktive und ehemalige Politiker. Das Initiativprojekt wird momentan einer breiten Vernehmlassung unterzogen. Der Verein will seine Initiative im Frühling 2020 lancieren.
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Für Yvonne Gilli von der Grünen Partei der Schweiz sind die grössten Probleme im Zusammenhang mit der alternden Gesellschaft "ganz klar die Kosten". Ihrer Meinung nach braucht es eine Reform des Rentensystems. "Wir müssen dafür sorgen, dass ältere Menschen ein anständiges Einkommen haben."
Gleichzeitig müssten die hohen Krankheitskosten für ältere Leute vom Gesundheitssystem getragen werden, sagt Gilli, die sowohl Pflegefachfrau wie auch Medizin studiert hat und als Ärztin im Kanton St. Gallen arbeitet.
Aber das föderalistische System der Schweiz, das den Kantonen viele Kompetenzen gibt, "erschwert die Koordination der Renten sowie der Kosten und Investitionen im Gesundheitswesen", sagt sie.
Laut Gilli sollte das Rentensystem flexibler gestaltet werden. Man müsste zwischen Leuten, die manuell arbeiten und solchen, die im Büro sitzen, unterscheiden, meint sie. "Körperliche Arbeit ist hart, die Menschen altern schneller und verdienen weniger."
Der Arbeitsmarkt müsste bei der Bewertung und Anstellung älterer Angestellter auch flexibler sein, sagt sie. "Wenn es auf dem Arbeitsmarkt so weitergeht, wird es auch für gut ausgebildete Leute immer schwieriger zu arbeiten, denn Erfahrung wird zu wenig geschätzt."
Gilli ist der Meinung, dass die "Finanzierung nur mit Solidarität in der Gesellschaft gewährleistet werden kann, dabei sind unterschiedliche Leute und Gruppen gefordert".
Die Alterung der Gesellschaft betreffe alle in der Schweiz und erfordere Zugeständnisse und Kompromisse. "In 20 Jahren wird die Situation für uns alle anders sein, und wir müssen dies finanzieren", sagt Gilli. "Die Frage ist nur wie."
"Wo sehen Sie sich im Alter von 75?"
Yvonne Gilli: "Sicher nicht in einem Altersheim. Das ist wohl eine typische Antwort meiner Generation. Würde ich aber zum Beispiel an Demenz leiden, dann müsste ich in einer Institution betreut werden. In den meisten Fällen jedoch wird eine 75-jährige Frau selbständig zu Hause leben und diese Autonomie auch schätzen. Wahrscheinlich in einer gemischten Umgebung mit jungen, mittelalterlichen und betagten Leuten."
Und dennoch: "Meine Schwiegermutter ist über 90 und noch immer zu Hause. Das ist exakt das, was sich alle wünschen. So alt zu sein, ist jedoch nicht so toll. Man ist völlig alleine, alle Freunde sind gestorben, und die Kinder und Grosskinder sind mit ihrem eigenen Leben beschäftigt. Die Verluste, die man infolge eines sehr langen Lebens erfährt, sind dramatisch."
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