«An der WM werden keine Spiele manipuliert»
Die Fifa hat 30 Schiedsrichter aus 28 Ländern für die Fussball-WM in Südafrika berufen. Urs Meier, Chef der Schweizer Referees und Schiedsrichterbeobachter für die Uefa, wird deren Leistungen im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) kommentieren.
Im Interview mit swissinfo.ch erklärt Meier, wie die Unparteiischen ausgewählt und eingesetzt werden, welchem Druck sie und die Fifa ausgesetzt sind.
Und er ist davon überzeugt, dass bei der WM 2010 keine Spiele manipuliert werden.
swissinfo.ch: Herr Meier, wie wählt die Fifa die WM-Schiedsrichter aus?
Urs Meier: Zunächst wurden sie von den einzelnen Konföderationen, wie zum Beispiel der Uefa, nach einem eigenen Qualifikationssystem nominiert. Das war vor drei Jahren. Es waren 54 Schiedsrichter-Teams, die Schritt für Schritt bis auf 30 Referees reduziert wurden.
Von den 30, die jetzt nach Südafrika fahren, werden nur 23 oder 24 Spiele leiten. Die restlichen werden Ersatzschiedsrichter und Schiedsrichterassistenten sein.
swissinfo.ch: Wie werden die Schiedsrichter den einzelnen WM-Spielen zugeteilt?
U.M.: Es gibt ganz wichtige Spiele, wie zum Beispiel das Eröffnungsspiel, da gibt der Schiedsrichter den Tarif bekannt, wie die Spiele an einer Fussballweltmeisterschaft geleitet werden sollen.
Da ist es wichtig, dass man einen erfahrenen, guten Mann hat. Dann hat man gewisse Schiedsrichter für Halbfinale und Finale im Hinterkopf, die man vielleicht am Anfang etwas schont.
Darüber hinaus schaut man, dass, wenn zum Beispiel eine europäische Mannschaft gegen eine südamerikanische Mannschaft spielt, nicht unbedingt ein Südamerikaner oder ein Europäer pfeift.
Aber wenn es um den Einzug ins Habfinale oder um das Finale geht, legt man solche Überlegungen ab. Dann schaut man, dass der oder die besten im Einsatz stehen.
swissinfo.ch: Gibt es dabei Druck von aussen auf die Fifa?
U.M.: Es kommt natürlich immer wieder mal vor, dass man einen Schiedsrichter nicht will, der im Vorfeld in einer Qualifikation eine Mannschaft gepfiffen und vielleicht nicht glücklich agiert hat. Dass man versucht, die Schiedsrichterkommission dahin zu beeinflussen.
Da braucht es dann eine starke Kommission – und die hat die Fifa -, die diesem Druck entgegen hält und wirklich die Besten nominiert. Das ist, was im Grossen bei der Fifa aber auch bei uns in der Nationalmeisterschaft passiert.
Da braucht es Leute, die hinter den Schiedsrichtern stehen und sich nicht von den Vereinen und Clubs beugen lassen, sonst wären wir ganz klar auf der falschen Spur.
swissinfo.ch: Es gab Gerüchte, dass bei der WM 2006 Spiele manipuliert wurden. Schliessen Sie Manipulationen durch die Wettmafia mit Verwicklung von Schiedsrichtern bei der WM in Südafrika aus?
U.M.: Ja, ich denke, dass man es ausschliessen kann, weil das so im Fokus der Weltöffentlichkeit ist; und da zu manipulieren, das würde auffallen. Ich glaube nicht, dass sich jemand überhaupt getraut, an diese Schiedsrichter heranzukommen.
Die Schiedsrichter sind sehr, sehr sorgfältig von der Fifa ausgewählt worden. Es sind alles Persönlichkeiten, die über dem stehen. Ich würde auch sagen, an der Weltmeisterschaft 2006 wurde garantiert nicht manipuliert.
swissinfo.ch: Die Fifa will nichts von technischen Hilfsmitteln für die Schiedsrichter wissen. Wie stehen Sie zu diesem Thema?
U.M.: Der Chip im Ball ist die Alternative, die ich befürworten würde. Wenn er hundertprozentig funktioniert – und das ist die Voraussetzung – würde er dem Schiedsrichter und dem Assistenten helfen können.
Ohne dass er das Spiel unterbricht, hat er sofort die Information, ob der Ball hinter der Linie ist oder nicht. Das wäre sicher eine Verbesserung. Ob sich der finanzielle Aufwand lohnt, bezweifle ich.
Wir schauen jetzt, was bei dieser Weltmeisterschaft passiert. Wenn wir wirklich so ein Wembley-Tor hätten in einem wichtigen Spiel, vielleicht sogar im Endspiel, dann bin ich sicher, dass die Diskussionen wieder unglaublich aufflammen und dass diese Neuerung mit dem Chip im Ball vielleicht kommen könnte.
Dass die Fifa auf andere Mittel wie Videobeweis nicht eingeht, finde ich absolut richtig. Fussball soll Fussball bleiben und nicht zu einem Schachspiel verkommen, wobei ich nichts gegen Schach habe. Emotionen gehören zum Fussball, es gehören auch Fehler dazu.
swissinfo.ch: Was ist der schlimmste Fehler, den ein Schiedsrichter machen kann?
U.M.: Grundsätzlich wäre der schlimmste Fehler, wenn er etwas nur auf Druck der Spieler oder Zuschauer usw. pfeift, also einen Konzessionsentscheid fällen würde.
Mein Albtraum war immer, dass ich etwas nicht gesehen habe. Dass ich ein Handspiel übersehen habe und daraus ein Tor wird.
swissinfo.ch: Sie haben fast tausend Spiele als Schiedsrichter geleitet, sind aber seit knapp fünf Jahren nicht mehr aktiv. Nun kommentieren Sie die Leistungen Ihrer Kollegen bei der WM im Fernsehen. Haben Sie manchmal Lust, wieder auf dem Platz zu stehen?
U.M.: Nein, die Zeit der kurzen Hosen ist vorbei, jetzt haben wir lange Hosen. Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass ich wieder auf das Spielfeld müsste oder sollte. Ich bin als Chef der Schweizer Schiedsrichter wirklich froh, dass wir nun die Nummer eins der Welt – Massimo Busacca – haben.
Ich freue mich jetzt einfach auf diese Weltmeisterschaft, auf gute Schiedsrichterleistungen. Und ich freue mich dann auch wieder auf die Schweizer Meisterschaft, auf meine Arbeit mit meinen Schiedsrichtern. Das ist momentan meine Berufung.
swissinfo.ch: Ihr Tipp für die WM: Wie weit kommt die Schweiz und wer wird Weltmeister?
U.M.: Für mich ist der Favorit dieses Jahr Brasilien. Und wenn man die Konstellation anschaut, wird Brasilien vermutlich im Achtelfinal gegen die Schweiz spielen.
Ich denke, dass die Schweiz die Vorrunde bestehen und auf Brasilien treffen wird. Und dann wird sich Brasilien ziemlich sicher durchsetzen.
Geraldo Hoffmann, swissinfo.ch
Geboren am 22. Januar 1959 in Würenlos (Kanton Aargau).
Von 1977 bis 2004 hat er 883 Spiele als Schiedsrichter geleitet – seit 1994 war er Fifa-Schiedsrichter.
Bei der Fussball-WM 2002 leitete er das Halbfinale zwischen Südkorea und Deutschland.
Er wurde sieben Mal zum Schweizer «Schiedsrichter des Jahres» gewählt, 1995 bis 2000 und 2004.
Im Viertelfinal der Fussball-EM 2004 zwischen England und Portugal annullierte er in der 89. Minute ein Tor des Engländers Sol Campbell, da John Terry den portugiesischen Torhüter Ricardo Pereira gefoult hatte. England verlor das Spiel im Elfmeterschiessen und schied aus. Daraufhin erhielt er Morddrohungen und über 16’000 Protest-Mails.
Er ist jetzt Chef der Schweizer Schiedsrichter und arbeitet als Schiedsrichterbeobachter für die Uefa. Darüber hinaus ist er bei Fussballübertragungen als Experte beim ZDF tätig und hält Vorträge für Führungskräfte.
Joel Aguilar (El Salvador)
Khalil Ibrahim Al Ghamdi (Saudiarabien)
Benito Archundia (Mexiko)
Hector Walter Baldassi (Argentinien)
Carlos Batres (Guatemala)
Olegário Benquerença (Portugal)
Massimo Busacca (Schweiz)
Koman Coulibaly (Mali)
Jerome Damon (Südafrika)
Frank De Bleeckere (Belgien)
Martin Hansson (Schweden)
Michael Hester (Neuseeland)
Rawschan Irmatow (Usbekistan)
Viktor Kassai (Ungarn)
Stephane Lannoy (Frankreich)
Jorge Larrionda (Uruguay)
Eddy Allen Maillet (Seychellen)
Alberto Mallenco (Spanien)
Subkhiddin Mohd Salleh (Malaysia)
Yuichi Nishimura (Japan)
Peter O’Leary (Neuseeland)
Pablo Pozo (Chile)
Marco Rodriguez (Mexiko)
Roberto Rosetti (Italien)
Oscar Ruiz (Kolumbien)
Carlos Simon (Brasilien)
Wolfgang Stark (Deutschland)
Martín Vázquez (Uruguay)
Howard Webb (England).
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