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Anonymität als Stolperstein bei Einbürgerungen

In Emmen stimmte 2003 die Gemeindeversammlung über Einbürgerungen ab. Keystone

Fällen Stimmberechtigte Einbürgerungs-Entscheide an der Urne oder ist die SVP in den Gemeinden aktiv, sinkt die Aussicht auf den roten Pass drastisch.

Das zeigt eine neue Studie. Das Bundesgericht hat unterdessen Abstimmungen an der Urne verboten.

Entscheidet eine Gemeinde an der Urne über Einbürgerungen ausländischer Staatsangehöriger, liegt die Ablehnungsquote über einem Fünftel (23 Prozent) höher als bei anderen Verfahren. Zu diesem Schluss kommt eine veröffentlichte Studie der Universität Zürich mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds (SNF). Die Studie beruht auf Daten aus 207 Gemeinden.

Wie der SNF mitteilt, räumt die Studie mit der bisher vorherrschenden Meinung auf, vor allem Arbeitslosenquote und Ausländeranteil gäben den Ausschlag.

Fremdenfeindlichkeit in der trauten Stube

Dass die Ablehnungsquote bei anonymer Abstimmung – und das sind alle Urnen-Abstimmungen – soviel höher ist, führen die Forscher darauf zurück, dass fremdenfeindliche Argumente bei anonymen Abstimmungen an der Urne eine grössere Wirkung entfalten als bei anderen Verfahren, etwa in Einbürgerungs-Kommissionen.

Als bemerkenswert stufen die Autoren der Studie auch den Befund ein, dass die Entscheide an Gemeindeversammlungen nicht wesentlich härter ausfallen als bei anderen Verfahren. Auch an Gemeindeversammlungen würden aber heute keine anonymen Abstimmungen mehr durchgeführt, hält die Studie fest.

SVP und «Schweizersein»

Einen wesentlichen Einfluss auf Einbürgerungsentscheide hat die
Schweizerische Volkspartei (SVP), wie die Studie weiter ausweist. Ist diese Partei in einer Gemeinde aktiv, würden im Durchschnitt zusätzliche 5 Prozent der Gesuche abgelehnt, und zwar unabhängig vom jeweiligen Einbürgerungsverfahren. Dagegen komme linken Parteien wie der Sozialdemokratischen Partei (SP) in Einbürgerungsfragen kein Gewicht zu.

Einen zentralen Faktor stelle auch das Verständnis von Staatsbürgerschaft dar: Die Verweigerung der Staatsbürgerschaft als Instrument sozialer Ausschliessung sei prinzipiell Teil eines jeden Nationalstaates.

Dass Einbürgerungs-Entscheide in der Schweiz teilweise demokratisch und auf Gemeindeebene gefällt würden, sei europaweit jedoch einmalig. Wie der Ausschlussmechanismus angewendet werde, hänge unter anderem davon ab, welches Bild von der Schweiz und dem «Schweizersein» in einer Gemeinde bestimmend sei. Ein restriktives Verständnis von Staatsbürgerschaft könne die Ablehnungsquote gemäss der Studie um rund 4 Prozent steigern.

Bundesgericht verbietet anonyme Einbürgerungs-Entscheide

Im Juli 2003 haben die höchsten Richter im Bundesgericht Entscheide an der Urne für verfassungswidrig erklärt. Vor gut einem Jahr hat das Gericht zudem festgehalten, dass die Beschlussfassung an Gemeindeversammlungen nicht geheim sein dürfe und begründet werden müsse.

In Gemeinden wie Emmen – wegen der mehrfachen Verweigerung des roten Passes in dieser Luzerner Vorortsgemeinde musste sich das Bundesgericht überhaupt mit der Angelegenheit befassen – wurde unterdessen von der Einbürgerung an der Urne Abstand genommen.

Politik driftet in andere Richtung

Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass politisch eine andere Tendenz zu erkennen sei, als es das Bundesgericht fordere. Auf nationaler Ebene sei die erleichterte Einbürgerung deutlich gescheitert.

Und im vergangenen April habe das Schwyzer Stimmvolk eine SVP-Initiative für geheime Abstimmungen an Gemeindeversammlungen gutgeheissen. Zu diesem Entscheid habe sich das Bundesgericht noch nicht geäussert.

swissinfo und Agenturen

Wenn über Einbürgerungen anonym – beispielsweise in einer Urnen-Abstimmung – befunden wird, werden 23% mehr der Bewerber abgelehnt.

Ist in einer Gemeinde die SVP aktiv, fällt die Chance auf den roten Pass um weitere 5%-Punkte.

Ein restriktives Verständnis des «Schweizerseins» der Stimmberechtigten senkt die Chance um weitere 4%-Punkte.

Keinen Einfluss auf die Abstimmungs-Resultate haben die Bemühungen der linken Parteien.

Das sind die Ergebnisse einer neuen Studie.

Eine Studie im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms über den Rechtsextremismus (NFP40+) hat die Einbürgerungen in 207 Schweizer Gemeinden untersucht.

Im September 2004 verwarf das Schweizer Stimmvolk die erleichterte Einbürgerung von Ausländer-Kindern der zweiten Generation wuchtig.

In der Schweiz entscheiden die Gemeinden über die Verleihung der Schweizer Staatsbürgerschaft. Es gibt verschiedene Prozedere, wobei die Abstimmung an einer Gemeindeversammlung und die Bearbeitung durch eine Einbürgerungs-Kommission die wichtigsten sind.

Im Jahre 2003 hat das Bundesgericht die Einbürgerungs-Entscheide an der Urne als verfassungswidrig erklärt, weil sie nicht begründet werden können. Die SVP macht seither Druck, die Einbürgerungen wieder an Gemeindeversammlungen einzuführen.

Zur Einbürgerung an der Gemeindeversammlung haben sich die obersten Richter noch nicht geäussert.

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