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Antirassismus-Strafnorm verschärft

Das Bundesgericht in Lausanne präzisiert die Antirassismus-Strafnorm. Keystone

Das Schweizer Bundesgericht hat den Begriff "Öffentlichkeit" strenger gefasst und damit die Antirassismus-Strafnorm verschärft.

Experten und Parteien sind sich über die Auswirkungen dieses Entscheides nicht einig.

Das Bundesgericht hat seine Rechtssprechung zur Rassendiskriminierung verschärft. Rassistische Äusserungen sollen neu ungeachtet der Zahl der Adressaten immer dann strafbar sein, wenn sie ausserhalb des Familien- oder Freundeskreises erfolgen.

Einen Grenzwert für die Zahl der Adressaten legte das Bundesgericht aber nicht fest. Auch unter wenigen Personen ausgetauschte rassistische Äusserungen könnten den privaten Rahmen sprengen, den der Gesetzgeber von der Strafbarkeit habe ausnehmen wollen.

Für die Lausanner Richter ist die Zahl der Personen, welche eine Äusserung wahrnehmen würden, ohnehin oft zufällig.

Ganz ohne Bedeutung sei die Zahl der anwesenden Personen aber auch in Zukunft nicht: Je enger diese etwa miteinander verbunden seien, desto grösser könne der Kreis sein, ohne den privaten Charakter zu verlieren. Umgekehrt sei auch ein Gespräch unter vier Augen zwischen nicht näher Bekannten als privat zu betrachten.

«Entstehung der SS und der Waffen-SS»

Im konkreten Fall ging es um einen Vortrag zur «Entstehung der SS und der Waffen-SS», der im September 1999 in einer Waldhütte vor etwa 40 bis 50 Personen aus der Skinhead-Szene gehalten wurde. Zur Veranstaltung wurde nur eingelassen, wer eine schriftliche Einladung vorweisen konnte.

Das Berner Obergericht sprach den Referenten und den Organisator vom Vorwurf der Rassendiskriminierung frei. Es war zum Schluss gekommen, dass die persönlich eingeladenen Teilnehmer einen geschlossenen Kreis und damit keine Öffentlichkeit gebildet hätten.

Neubeurteilung

Das Bundesgericht hat die Beschwerde des Generalprokurators nun gutgeheissen und die Sache zur Neubeurteilung an die Berner Justiz zurückgewiesen. Die Berner Justiz muss nun prüfen, ob das Referat rassistische Äusserungen enthielt.

Gemäss den Lausanner Richtern spricht gegen den öffentlichen Charakter der Veranstaltung zudem auch nicht der Umstand, dass die Teilnehmer eine gemeinsame Gesinnung hatten.

Die Antirassimus-Norm wolle gerade auch verhindern, dass sich rassistisches Gedankengut in Zirkeln, die ihm bereits zugeneigt seien, weiter verfestigen oder ausweiten könne.

Keine Verschärfung im Alltagsbereich

Die Praxisänderung des Bundesgerichts bei der Rassendiskriminierung hat laut Marcel Alexander Niggli, Rechtsprofessor an der Universität Freiburg und Spezialist für die Antirassismus-Norm, im Alltagsbereich keine Verschärfung zur Folge.

Betroffen sei die Skinhead- und Neonazi-Szene. Ihr werde es verunmöglicht, durch persönliche Einladung zu einer «geschlossenen» rassistischen Veranstaltung einer Bestrafung zu entgehen.

Die neue Rechtsprechung des Bundesgericht erleichtere vor allem die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden. Die Neudefinition des Kriteriums «Öffentlichkeit» sei einfacher zu handhaben.

Keine verschärfenden Auswirkungen sieht Niggli dagegen im Alltagsbereich. Insbesondere ändere sich nichts beim rassistischen Stammtischwitz, der unter gewissen Umständen schon nach der bisherigen Rechtsprechung strafbar gewesen sei.

Auseinanderlaufende Parteimeinungen

Die Bundesratsparteien sind sich in der Beurteilung des Bundesgerichturteils uneinig. SVP-Präsident Ueli Maurer betrachtet das Urteil als falsch, wie er in einem Beitrag von Radio DRS sagte. Ursprünglich sei versprochen worden, dass der Artikel wirklich nur dann angewendet werde, wenn die Öffentlichkeit betroffen sei.

Jetzt werde der Kreis immer enger gezogen. Maurer plädierte deshalb für eine Gesamtbeurteilung der Auswirkungen des bisherigen Gesetzesartikels und möglicherweise eine Neuformulierung.

Anita Thanei, SP-Nationalrätin und Mitglied der Rechtskommission, begrüsst dagegen das Urteil, weil das Gesetz bis anhin zu wenig positive Wirkung gehabt habe, kaum zur Anwendung gekommen und zudem zu lasch angewendet worden sei.

CVP-Präsidentin Doris Leuthard betrachtet es als richtig, dass Vereinsversammlungen dem Antirassismus-Artikel unterstellt werden. Stammtische dürften aber nicht darunter fallen.

Die FDP-Ständerätin Trix Heberlein kritisierte, dass das Gesetz einen grossen Interpretationsspielraum offen lasse.

swissinfo und Agenturen

Anfang 1995 bis Ende 2002: 95 Personen von erstinstanzlichen kantonalen Gerichten wegen Rassendiskriminierung verurteilt.

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