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«Arbeit mit Federer war kein Sonntagsspaziergang»

Am Montag beginnen die US-Open, das letzte Grandslam-Turnier des Jahres. In diesem Zusammenhang erinnert sich Paul Dorochenko, einer der ersten Trainer von Roger Federer, an die ziemlich bewegten jungen Jahre des Champions.

Paul Dorochenko gehört zu jenen Leuten, die den Baselbieter Roger Federer am besten kennen.

Er war einer der ersten, die den knapp 17-jährigen Schweizer Champion auf die Zukunft vorbereiteten.

Von 1998 bis 2000 arbeitete Dorochenko mit den jungen Schweizer Tennis-Hoffnungen im Tennisverband Swiss Tennis in Biel im Kanton Bern.

swissinfo.ch: Wie begann Ihre Zusammenarbeit mit Roger Federer?

Paul Dorochenko: Damals trainierte ich bereits den Spanier Sergi Bruguera und den Schweizer Marc Rosset.

Swiss Tennis bot mir 1998 die Stelle als Trainer und Physiotherapeut des nationalen Tenniszentrums in Biel an. Zu jener Zeit musste Federer seine körperliche Kondition verbessern.

swissinfo.ch: Welche Erinnerungen haben Sie an die Zeit mit den jungen Sportlern, namentlich mit der gegenwärtigen Nummer 1 im Weltklassement?

P.D.: Federer war technisch sehr begabt, aber er musste die Beweglichkeit auf dem Platz verbessern. Er war hyperaktiv und hatte eine sehr extrovertierte Persönlichkeit. Er machte dauernd Witze.

Seine gute Laune und seine Energie steckten uns alle an. Aber vor allem war er ein guter Typ. Im nationalen Zentrum in Biel war er mit allen befreundet.

Für mich war er so etwas wie ein Sohn, wir hatten eine besondere Beziehung. Manchmal kam er zum Essen zu uns. Er machte sogar Ferien in meinem Haus in Biarritz. Aber die Arbeit mit ihm war nicht immer leicht.

swissinfo.ch: Warum denn das?

P.D.: Federer brachte mich in drei Jahren bis zur Erschöpfung. Nach dieser Zeit in der Schweiz war ich müde und ging nach Barcelona, um wieder mit Sergi Bruguera zu trainieren. Auch Federer verliess damals den Verband und fing an, mit Pierre Paganini zusammenzuarbeiten.

Die Arbeit mit Federer war nicht leicht, weil er nicht sehr pünktlich war, zu spät zum Training erschien, man musste ihn dauernd anstossen, damit er sich an die Arbeit machte.

Er war nicht sehr fleissig und es wurde ihm schnell langweilig, weil er die Übungen viel zu leicht schaffte. Trotzdem hat er sich sehr angestrengt für seinen Erfolg.

swissinfo.ch: Etwas vom Wichtigsten bei der Vorbereitung von Profispielern ist der psychologische Aspekt. War es schwierig, Federers Hyperaktivität in Griff zu bekommen?

P.D.: Alle Trainingspläne waren auf Selbstkontrolle aufgebaut. Ich setzte zum Beispiel lange Widerstands-Sessionen auf das Programm.

Federer musste lernen, gegen sich selber zu kämpfen, um sich mental besser unter Kontrolle zu bekommen. Der Verband stellte zur Ergänzung des technischen Personals einen Sportpsychologen an.

Ich erinnere mich an die Strafen, die man ihm auferlegte, wenn er das Racket wegwarf oder die Kontrolle verlor. So musste er zum Beispiel mit einer Maschine die gelben Flecken wegputzen, die die Bälle auf den Tennisplätzen des Verbands hinterliessen. Und zwar ab 7 Uhr morgens, auch wenn eine Affenkälte herrschte.

swissinfo.ch: Rechneten Sie damit, dass Federer eines Tages der beste Spieler der Tennisgeschichte werden würde?

P.D.: Natürlich nicht. Ich hatte nie den Eindruck, den zukünftigen Tennisweltstar zu trainieren. Aber wir wussten schon, dass er mehr drauf hatte als andere und auf ausgezeichnetem Niveau spielte.

Er sagte immer, dass er die Nummer 1 werden wollte. Das tönte vielleicht arrogant, aber für ihn war das schon klar. Damals figurierte er überhaupt nicht im ATP-Klassement.

In nur eineinhalb Jahren machte er ausserordentliche Fortschritte und gegen Schluss unserer Zusammenarbeit galt er als die grösste Hoffnung des Schweizer Sports.

Ich hätte nie gedacht, dass er dereinst im Roland-Garros siegen würde. Zwar schlagen ihn die Sandplatzspezialisten hin und wieder, aber Federer fühlt sich eigentlich auf allen Böden zuhause.

swissinfo.ch: Was führte letztendlich zu Federers Erfolg?

P.D.: «Ohne Fleiss kein Preis»: Er arbeitete stundenlang an der Verbesserung von Koordination, Kraft und körperlicher Kondition. Auf dem Tennisplatz scheint er nicht sehr schnell, aber er besitzt eine spektakuläre Koordination. Er ist ein Naturtalent, aber das allein genügt nicht.

Federer hat den idealen Körper für den Tennissport. Er macht alles gut und setzt seine Bewegungen sparsam und optimal ein. Ich brachte ihm sein prächtiges Beinspiel bei, nachdem ich Sergi Bruguera auf dem Sandplatz begleitet hatte.

Ein weiterer Schlüssel zu seinem Erfolg liegt in seiner emotionalen Stabilität, die er immer schon hatte. Da hat sich im Verlauf der Jahre nicht viel geändert. Ihm kam ein stabiles familiäres Umfeld zugute und er hat fast immer mit dem gleichen Trainer gearbeitet. Auch seine Mutter war eine grosse Hilfe für diese Stabilität.

swissinfo.ch: Glauben Sie, dass er vor seinem Rückzug aus dem aktiven Sport noch in weiteren Grandslams siegen kann?

P.D.: Er kann in den nächsten Jahren noch andere grosse Turniere gewinnen, das ist klar. Wimbledon gehört sicher immer dazu, auch wenn ein Sieg da jedes Jahr etwas schwieriger wird.

Ich denke, dass Federer seine beste Zeit vor zwei oder drei Jahren hatte. Derzeit gibt es neben Rafael Nadal noch ein paar andere grosse Rivalen wie Andy Murray und Novak Djokovic.

Meiner Meinung nach kann er vor seinem Rückzug aus dem aktiven Sport noch den 17. oder 18. Sieg in einem Grandslam verbuchen. Mindestens bis er 30 Jahre alt ist kann er problemlos auf höchstem Niveau spielen.

Ivan Turmo, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)

Paul Dorochenko ist 1954 in Algerien geboren und französischer Staatsbürger.

Er war einer der Pioniere auf dem Gebiet der physischen Trainingsvorbereitung im Tennis.

Während seiner Karriere hat er mit Tennisgrössen wie den Schweizern Jakob Hlasek und Marc Rosset oder den Spaniern Sergi Bruguera und Carlos Moya gearbeitet.

Seit 2006 leitet er das Internationale Rehabilitationszentrum des Sports in Valencia in Spanien.

Er plant den Aufbau weiterer solcher Zentren in Spanien.

Roger Federer ist 1981 in Basel geboren.

Er hat 61 ATP-Turniere gewonnen, darunter 15 Grand-Slam-Titel.

Roland Garros: 2009

Australian Open : 2004, 2006 und 2007

Wimbledon: 2003, 2004, 2005, 2006, 2007 und 2009

US-Open: 2004, 2005, 2006, 2007 und 2008

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