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Asyl: die Schweiz tut sich schwer

Ein Arbeiter montiert einen Zaun um ein Asylbewerber-Zentrum. Keystone Archive

Anhängern und Gegnern einer Verschärfung des Asylrechts gelingt es nicht, eine sachliche Debatte zu führen.

Die Bevölkerung ist beunruhigt, und die Intellektuellen machen sich Gedanken über die Risiken einer zunehmenden Fremdenfeindlichkeit im Land.

Gemäss der jüngsten Umfrage des GfS-Forschungsinstituts stösst die Initiative der Schweizerischen Volkspartei (SVP) gegen Asylrechtsmissbrauch bei 57% der Stimmberechtigten auf Zustimmung.

Und keiner fragt sich, was hinter diesen Zahlen wohl steckt. Mit anderen Worten: In der Schweiz besteht sehr wohl eine vage Fremdenfeindlichkeit.

«Man muss versuchen zu verstehen, warum die Bevölkerung bereit wäre, diese Initiative anzunehmen, anstatt deren Haltung zu verurteilen oder zu loben», betont Uli Windisch, Soziologie-Professor an der Universität Genf gegenüber swissinfo.

«Die Asyldebatte ist leider viel zu sehr mit ideologischen Denkweisen befrachtet. Auf der einen Seite will man die auf diesem Gebiet existierenden Missbräuche bagatellisieren, auf der anderen Seite die kleinsten Abweichungen ausnützen.»

Klar ist, dass die Asyl-Debatte sehr heftig und emotional geführt wird. Sowohl die Regierung wie auch das Parlament haben sich gegen die SVP-Initiative ausgesprochen. Bundesrätin Ruth Metzler ist derzeit auf Tour gegen die Vorlage.

Verfälschte Debatte

«Seit rund 15 Jahren dreht sich die Diskussion um den Missbrauch, der von einer Minderheit von Asylbewerbern begangen wird, sowie um die Kosten, welche die Aufnahme von Flüchtlingen verursacht», kritisiert Yves Brutsch, Pressesprecher des Genfer CSP (Centre Social Protestant).

«Gleichzeitig aber sagen uns die Politiker – vor allem die Bundesbehörden – selten die Wahrheit über das Asylwesen und die Wichtigkeit internationaler Solidarität gegenüber verfolgten Menschen.»

Mit anderen Worten: Die Debatte ist verfälscht und überlässt der nationalistischen und populistischen Rechten viel Spielraum, was diese auch ausnützt, um schnelle Wahlerfolge zu erzielen.

Sie gibt sich lieber mit leicht erzielten Erfolgen zufrieden statt die Asylfrage wirklich zu beantworten. Sie tut dies mit Hilfe von Appellen an widersprüchliche Gefühle und dem Schüren irrationaler Ängste.

Die Ängste der Bevölkerung

Die Geschichte könnte uns lehren: In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit haben nationalistische und fremdenfeindliche Strömungen immer Auftrieb gehabt.

«Wenn der Mensch mit einem Gefühl der Unsicherheit konfrontiert wird, kann er kaum der Versuchung widerstehen, einen Sündenbock zu suchen», erklärt Marie-Claire Caloz-Tschopp, Philosophie-Professorin an der Universität Genf.

«Auf diesen Sündenbock fokussiert er alle seine Ängste – und trifft häufig diejenigen, die auf der sozialen Leiter zuunterst stehen, die Flüchtlinge und Asylsuchenden.»

«Heute», so Caloz-Tschopp, «nützt die SVP-Kampagne diese Ängste der Gesellschaft aus, die konfrontiert wird mit der Globalisierung, der steigenden Arbeitslosigkeit, der neoliberalen Wirtschaft, in welcher der Einzelne wenig zählt.»

Eine kollektive Verantwortung

«Doch die populistische Rechte ist nicht allein verantwortlich», sagt die Professorin. «Parteien und Regierung haben nicht den Mut, aktiv gegen diese Ängste anzukämpfen.»

Daher spielt sich die Debatte mehrheitlich in den trüben Wassern des kollektiven Unterbewusstseins ab. Umso mehr, weil die Regierung keine klare Diskussion zum Thema führe, betonen die Gegner der Initiative.

Schlimmer noch: Seit ungefähr 10 Jahren habe der Bundesrat das Asylrecht verschärft und immer mehr Prinzipien der nationalistischen und populistischen Rechten integriert.

Die Regierung habe die meisten Vorschläge der SVP schon in die laufende Revision des Asylrechts aufgenommen, erinnert Yves Brutsch.

Der Rückzug auf sich selbst

Das Problem liegt für Brutsch in der Tatsache, «dass die Regierung mit der Aufnahme einiger Vorschläge der SVP die Ideen der populistischen Rechten legitimiert».

Für Boël Sambuc, Vize-Präsidentin der eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, zieht die Bevölkerung «generell das Original einer Kopie vor».

Nur europäische Länder, wie Schweden oder Norwegen, die sich ernsthaft mit den Menschenrechten auseinandersetzten, könnten der Versuchung widerstehen, sich auf sich selber zurückzuziehen.

«Dies ist die einzige Art und Weise, der Bevölkerung eine echte Alternative anzubieten.»

Der Missbrauch existiert

Wenn man den Befürwortern des Asylgesetzes glaubt, gibt sich die Regierung derzeit damit zufrieden, die Thesen der rechten Populisten zu übernehmen – unter dem Vorwand, man wolle das Feld nicht der SVP überlassen.

Mit dem Risiko allerdings, bei einem Teil der Gesellschaft Ressentiments gegenüber Ausländern zu schüren.

Was soll’s, entgegnen Befürworter einer restriktiveren Asylpolitik: Kriminalität und Missbrauch des Asylrechts würden allenthalben existieren.

Uli Windisch kommt zum Schluss: «Wenn wir vor diesen Tatsachen die Augen verschliessen, erhöhen wir nur die Spannungen im Land und treiben einen Teil der Gesellschaft in die Arme der Extremisten.»

swissinfo, Vanda Janka

Asyl in Zahlen (September 2002):
40’829 Asylgesuche
6’185 anerkannte Flüchtlinge
27’268 provisorisch Aufgenommene
1’486 ausgewiesene oder abgereiste Personen

Die Initiative «gegen Asylrechtsmissbrauch» der SVP will die «Drittstaaten-Regelung» einführen: Asylsuchende, die über einen so genannten sicheren Drittstaat in die Schweiz eingereist sind, sollen wieder dorthin zurückgeschickt werden. Die Argumentation der SVP: Die Person hätte schon in diesem Land ein Gesuch stellen können.

Die vorliegende Initiative wurde in der Zeit des Kosovo-Krieges 1999 lanciert. Damals suchten besonders viele Menschen Schutz in der Schweiz. Sie wurde im November 2000 mit 107’000 Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht.

Die Initiative kommt am 24. November ohne Gegenvorschlag der Regierung zur Abstimmung.

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