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Aufklärung von Vermissten-Schicksalen in Kosovo

Beat Schneider, Schweizer IKRK-Missionschef in Pristina. swissinfo.ch

Der Schweizer Beat Schneider setzt sich als Missionschef des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) in Kosovo dafür ein, dass das Schicksal der noch immer fast 2000 Vermissten des Kosovo-Konfliktes aufgeklärt wird.

Beat Schneider hat die Abteilungsleiter zur Wochensitzung in sein Büro gebeten. Er berichtet von seinem Treffen mit dem stellvertretenden kosovarischen Ministerpräsidenten: «Die Regierung ist sich ihrer Verpflichtungen bewusst. Es braucht aber mehr Motivation und Engagement, sich der Vermissten anzunehmen.»

Eine der Hauptaufgaben von Beat Schneider als IKRK-Missionschef ist der Kontakt zur Regierung Kosovos, zu verschiedenen Behörden und Institutionen. «Ich rede mit den Leuten, ich lobbyre, ich mache Druck, diplomatisch oder hartnäckig, je nachdem.»

Es geht dabei in erster Linie um das Schicksal der fast 2000 Menschen, die seit dem Kosovo-Konflikt in den Jahren 1998/1999 noch immer vermisst werden.

Fortschritte kann es dabei nur geben, wenn auch die Behörden vor Ort mitmachen und Informationen preisgeben – zum Beispiel über Massengräber. Das IKRK spielt dabei eine vermittelnde Rolle.

IKRK hat keine Druckmittel

«Leider wollen oder dürfen viele Leute nicht reden oder haben kein Interesse an der Aufklärung der Vermissten-Schicksale», beschreibt Beat Schneider die ernüchternde Realität. «Bei vielen ist die Angst gross, es könnte etwas auf sie zurückfallen.»

Wirkliche Druckmittel hat das IKRK nicht, wenn es an Kooperationsbereitschaft mangelt. Einzig die Unterstützer-Staaten von Kosovo und Serbien können hier einen gewissen Einfluss ausüben.

«Deshalb gehört es auch zu meinem Job, die Botschafter dieser Länder stets auf dem Laufenden zu halten», so Schneider. Trotz aller Schwierigkeiten hofft der Missionschef darauf, dass «noch mehrere hundert Fälle» gelöst werden können.

Das Schicksal von über 4000 der ursprünglich 6000 Vermissten (70% Kosovo-Albaner und 30% Serben) aus dem Kosovo-Konflikt ist inzwischen geklärt. In mehr als 2000 Fällen sind die Verschwundenen tot. Ihre sterblichen Überreste wurden gefunden oder ihr Tod auf andere Weise zweifelsfrei festgestellt.

Rund 1800 Mal gab es ein glückliches Ende, die Vermissten waren in den Kriegswirren ins Gefängnis gekommen und wurden schliesslich freigelassen. Das IKRK leistete dabei entscheidende Vermittlungsarbeit zwischen den Konfliktparteien.

Spannungen in Mitrovica

Ein weiterer Aufgabenbereich des IKRK ist der «Schutz der Zivilbevölkerung». In Kosovo geht es dabei meist um Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Volksgruppen.

So berichtet ein Mitarbeiter bei der Abteilungsleiter-Sitzung von einem Zwischenfall in der zwischen Kosovo-Albanern und Serben geteilten Stadt Mitrovica in Nordkosovo. Auf dem Minarett der Hauptmoschee im albanischen Süden sei in der Nacht eine serbische Flagge gehisst worden, was zu Spannungen geführt habe.

Weiter rapportiert der Mitarbeiter, dass ein Serbe in einer Polizeistation in Süd-Mitrovica wild um sich geschossen habe. Jetzt liegt der serbische Täter im Koma in einem Krankenhaus in Pristina , die Ärzte und die ihn bewachenden Polizisten sind Kosovo-Albaner – ein klassischer Fall für das IKRK.

«Sollen wir den Mann besuchen?», fragt eine Kollegin. «Nein», sagt der erfahrene IKRK-Delegierte Schneider, «wir warten damit, bis er aus dem Koma erwacht. In der Klinik passiert ihm nichts.»

Gefangenenbesuche – in anderen Konfliktgebieten der Welt eine der Hauptaufgaben des IKRK – sind in Kosovo selten geworden. «Wegen des Kontroll-Effekts, den die internationale Präsenz hat, haben die Gefangenen in Kosovo nichts zu befürchten», erklärt Schneider.

Mit Notstrom-Aggregat

Die Situation in Mitrovica ist angespannt. Der Missionschef und sein Stellvertreter, der Westschweizer Ione Ramel, entscheiden, dass Ione sofort nach Mitrovica fährt, um abzuklären, ob es für das IKRK Handlungsbedarf gibt.

Schneider trifft sich mit IKRK-Mitarbeiterinnen aus Bosnien-Herzegowina und Serbien. Sie wollen gemeinsam mit ihren kosovarischen Kollegen Ideen für die psychosoziale Unterstützung von Angehörigen von Vermissten entwickeln.

Dazwischen muss der Missionschef viel lesen, schreiben, telefonieren und besprechen. «Es ist eben doch vor allem ein Büro-Job», schmunzelt Schneider. Dass dabei immer wieder der Strom ausfällt, kostet ihn nur ein Lächeln. Er hat in seiner IKRK-Zeit ganz anderes erlebt. In Kosovo springt immerhin sofort das Notstrom-Aggregat an.

Die Schweiz stockt die Hilfe für Kosovo um 16 Millionen Franken auf und unterstützt den jungen Staat in den kommenden vier Jahren mit rund 77 Mio Franken.

Dies gab die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) am Donnerstag bekannt.

Am Freitag findet in Brüssel die internationale Geberkonferenz statt.

Dort treffen sich die EU-Mitgliedstaaten, die Internationalen Finanzinstitutionen sowie die UN-Agenturen, um für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Kosovos Unterstützungszusagen zu gewinnen.

Der aus Bätterkinden im Kanton Bern stammende Beat Schneider (52) steht seit 1985 als Delegierter im Dienste des IKRK.

In Kosovo leitet er als Missionschef seit Januar 2008 ein Team von insgesamt 29 lokalen und vier internationalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Zuvor war der ausgebildete Sekundarlehrer in zahlreichen anderen Krisengebieten: in Irak, in Südafrika, in Peru und Iran.

Weiter arbeitete der IKRK-Delegierte in El Salvador, anschliessend in Sri Lanka und darauf in Thailand.

Nach eineinhalb Jahren in der IKRK-Zentrale in Genf, wo Beat Schneider in der Abteilung für Fundraising tätig war, folgten drei Jahre in der kenianischen Hauptstadt Nairobi.

Nächste Station war wiederum Südafrika, es folgten Uganda, Kamerun, Zentralafrika, Venezuela und ein zweites Mal Thailand.

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