Aus Solidarität und gegen Heimweh

Der Schweizer Verein Berlin feiert am 30. Juli seinen 150. Geburtstag und blickt zurück auf eine lange Geschichte. Vieles hat sich seit seiner Gründung im Jahr 1861 geändert – manches jedoch ist noch heute so wie vor 150 Jahren.
Von der Terrasse von Diekmanns Austernbar im Berliner Hauptbahnhof aus, wo an diesem Samstag die grosse Feier zum 150. Geburtstag des Schweizer Vereins Berlin steigen wird, blicken die Gäste direkt auf die Schweizerische Botschaft in Berlin und das Reichstagsgebäude, den Sitz des deutschen Bundestags.
Von den Organisatoren der Jubiläumsfeier ist dieser Ort, der auch Treffpunkt der allmonatlich stattfindenden Stammtische des Vereins ist, mit Bedacht gewählt: als Symbol für die enge Verbindung der Geschichte des Schweizer Vereins Berlin mit der Geschichte der deutschen Hauptstadt.
Ein Stück Heimat in Berlin schaffen
Den Anlass zur Gründung des Vereins bildete ein Grossbrand in der Stadt Glarus im Mai 1861, der dort mehr als 2200 Menschen obdachlos machte. In dem Bedürfnis zu helfen trafen sich am 4. Juli desselben Jahres einige in Berlin lebende Schweizer und gründeten den Schweizer Verein in Berlin. Von Anfang an zählte es zu den Zielen des Vereins, hilfsbedürftige Landsmänner zu unterstützen – Vereinsmitglieder genauso wie Durchreisende – sowie «landsmännische Geselligkeit zu pflegen».
Im Jahr 1888 zum Beispiel wurden laut Jahresbericht «[…] 104 Personen von der [Schweizerischen] Wohltätigkeitsgesellschaft und unserem Vereine gemeinschaftlich unterstützt und […] mit Schuhen, Strümpfen, Hemden, abgelegten Kleidern versehen».
Im Sinne der Geselligkeit und zur Pflege heimatlicher Traditionen organisierten die Mitglieder unter anderem Raclette- und Lotto-Abende, Diskussionsrunden und Vorträge zu aktuellen Themen, Ausflüge ins Berliner Umland sowie Bundes- und Weihnachtsfeiern. Sehr «landsmännisch» waren diese geselligen Zusammenkünfte zunächst tatsächlich, denn Frauen durften erst ab 1886 Passivmitglieder des Vereins werden, das heisst sie konnten an allen Vereinsveranstaltungen teilnehmen, hatten aber kein Stimmrecht.
Schweizer Schokolade zu Weihnachten
Für die Schweizer Kolonie in Berlin bot der Verein damals eine der wenigen Möglichkeiten, Schweizerische Traditionen auch fern der Heimat zu pflegen und Nachrichten aus der Schweiz zu bekommen. Die Zahl der Mitglieder des Vereins stieg in den ersten Jahrzehnten des Bestehens – nach 29 Mitgliedern im ersten Vereinsjahr weist der Jahresbericht von 1888 insgesamt 108 Mitglieder aus (davon zwei weibliche). Auf einem Höchststand war die Mitgliederzahl jedoch jeweils nach den beiden Weltkriegen, also in den 1920er sowie 1950er und 60er Jahren.
Teilweise knapp 1000 Schweizer waren in diesen Zeiten Mitglied im Verein und besuchten die Veranstaltungen. «In den 50ern und 60er platzte der Verein aus allen Nähten. Wir mussten für unsere Veranstaltungen immer die grössten Säle mieten, die es in Berlin gab», erinnert sich Burghard Feller. Der Schweizer ist 1943 in Berlin geboren und dem Verein seit Anfang der 50er Jahre verbunden – zuerst über die Kinder- und Jugendgruppe. «Die Menschen suchten über den Verein eine Verbundenheit mit der Schweiz, die sie in dieser Zeit mit Hilfspaketen unterstützte.»
So bekamen zum Beispiel die Kinder an den Weihnachtsfeiern Geschenke und es gab echte Schweizer Schokolade, Kaffee und Tee aus Spenden aus der Heimat.
Die Stimme der Auslandsschweizer sein
Ab den 70er Jahren ist die Unterstützung Hilfsbedürftiger Schweizer als Ziel und Tätigkeitsbereich des Vereins in den Hintergrund getreten. Seither überwiegt die Pflege von Geselligkeit und Traditionen. Heute sieht sich der Verein ausserdem verstärkt als politische Lobby, die die Interessen der fünften Schweiz aktiv vertritt.
«Je mehr Mitglieder wir haben, desto mehr wiegt natürlich unsere Stimme vor der Regierung in Bern», sagt Hans Hofmann, der seit 15 Jahren dem Verein in Berlin vorsteht. Doch seit der deutschen Wiedervereinigung sind die Mitgliederzahlen rückläufig. Von rund 4200 Schweizer Bürgern, die derzeit in Berlin leben, sind nur 108 Mitglied im Schweizer Verein. Die meisten von ihnen sind in Berlin geboren, Auslandschweizer der zweiten oder dritten Generation. Oft kämen nur 20 bis 25 Leute zu den Veranstaltungen, sagt Hofmann, und meistens die älteren.
«Zu Zeiten der Berliner Mauer war man mehr aufeinander angewiesen», erklärt er diesen Rückgang. Es habe innerhalb Berlins nicht so viele kulturelle Angebote gegeben wie heute und es war nicht so einfach, in die Schweiz zu reisen. «Heute ist man in einer Stunde in der Schweiz. Und wer heutzutage nach Berlin kommt, tut das, weil er aus der Schweiz weg will. Der sucht hier nicht den Kontakt zu anderen Schweizern.» Ein weiteres Problem sei, dass gerade viele Jüngere nur für kurze Zeit nach Berlin kämen.
Strategien gegen die Überalterung
Wenn man sich die Vereinsgeschichte ansieht, ist dies indes nicht neu. Schon im Jahresbericht von 1888 ist zu lesen: «Es ist, wie auch bereits in früheren Jahren, zu bemerken, dass gerade von den jüngeren zugereisten Landsleuten selten lange des Bleibens ist, was wohl hauptsächlich an den ungünstigen Arbeitsverhältnissen liegen dürfte.»
Um dem Problem der Überalterung entgegenzuwirken, setzt der Verein nun auf eine stärkere Öffnung der Aktivitäten. Auch Nicht-Schweizer können dem Verein beitreten und sind an den Stammtischen willkommen. Zur Geburtstagsfeier an diesem Samstag sind alle Berlinerinnen und Berliner in den Hauptbahnhof eingeladen.
Am Samstag, 30.7. lädt der Schweizer Verein Berlin zur grossen Geburtstagsfeier in den Berliner Hauptbahnhof ein. Von 12 bis 18 Uhr finden verschiedenen Mitmach-Aktionen statt: unter anderem ein «Appenzeller-Cup», ein Schweiz-Quiz und eine Rettungshunde-Staffel. Kinder sind zum Alphorn-Basteln eingeladen. Ausserdem präsentieren sich Schweizer Künstler mit Musik und Kabarett.
Am Abend gibt es einen festlichen Empfang in Diekmanns Austernbar mit Schweizer Spezialitätenbuffet, Reden und Musik. Die Schweizerische Botschaft schickt als Geburtstagsgruss ein Feuerwerk in den Berliner Nachthimm
Am Samstag, 30.7. lädt der Schweizer Verein Berlin zur grossen Geburtstagsfeier in den Berliner Hauptbahnhof ein. Von 12 bis 18 Uhr finden verschiedenen Mitmach-Aktionen statt: unter anderem ein «Appenzeller-Cup», ein Schweiz-Quiz und eine Rettungshunde-Staffel. Kinder sind zum Alphorn-Basteln eingeladen. Ausserdem präsentieren sich Schweizer Künstler mit Musik und Kabarett.
Am Abend gibt es einen festlichen Empfang in Diekmanns Austernbar mit Schweizer Spezialitätenbuffet, Reden und Musik. Die Schweizerische Botschaft schickt als Geburtstagsgruss ein Feuerwerk in den Berliner Nachthimmel.
Vereinsmitglieder, Schweiz-Begeisterte und Neugierige treffen sich jeden 2. Mittwoch im Monat von 19-21 Uhr beim Stammtisch, ebenfalls in Diekmanns Austernbar im Berliner-Hauptbahnhof. Die Treffen sind offen für alle Interessierten.

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