Ausländergesetz: Integration steht weit vorne
Nachdem die Zeit in einer Sondersession Anfang Mai nicht gereicht hatte, sagte der Nationalrat nun knapp - mit 64 zu 48 Stimmen bei 55 Enthaltungen - Ja zum Ausländergesetz.
Hauptpunkte sind das duale System, die Integrationspolitik und Regelungen im Umgang mit Missbräuchen.
In der Schweiz leben knapp 1,5 Millionen Ausländerinnen und Ausländer (rund 20% der Gesamtbevölkerung). Etwas weniger als die Hälfte (46%) stammt nicht aus EU- oder EFTA-Staaten.
Das bisherige Gesetz aus dem Jahr 1931 regelt die heutige Ausländerpolitik aus Sicht von Bundesrat und Parlament nur noch mangelhaft. So ist der Bereich der Integration bisher gesetzlich kaum geregelt. Und Missbräuche wie das Schlepperwesen oder die Schwarzarbeit beispielsweise können nur ungenügend bekämpft werden.
Integrationspolitik verankert
Das neue Ausländergesetz (AuG) soll in diesen Bereichen nun mehr Klarheit schaffen. Hauptsächliche Neuerung ist die Aufnahme der Integrationspolitik, die bisher nur auf Verordnungsstufe geregelt war.
Die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung kann laut neuem Gesetz an den Besuch eines Sprach- oder Integrationskurses geknüpft werden. Daher soll der Bund finanzielle Beiträge an Kantone, Gemeinden oder Organisationen gewähren können, wenn diese entsprechende Kurse anbieten.
Das Integrationspaket mit sieben Artikeln soll ganz zuvorderst im Gesetz festgeschrieben werden. Damit werde die Bedeutung der Integration betont, sagte Doris Leuthard, Kommissionssprecherin und Interimspräsidentin der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP).
«Es muss das Ziel sein, Ausländerinnen und Ausländer am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen, Chancengleichheit zu sichern und Zukunftsperspektiven zu eröffnen.»
Strengere Regeln für Aussereuropäische
Eine weitere Neuerung ist das «duale System»: Für Angehörige von EU- oder EFTA-Staaten gilt gemäss dem Abkommen mit Brüssel die Freizügigkeit. In aussereuropäischen Staaten sollen aber nur Führungskräfte, Spezialisten und «für spezifische Arbeiten benötigte» Personen angeworben werden dürfen.
Gedacht wird an Hilfskräfte in der Landwirtschaft, im Bau, im Tourismus und im Gesundheitswesen. Dies jedoch nur, wenn keine entsprechenden Arbeitskräfte aus dem Inland oder der EU/EFTA für eine Stelle gefunden werden.
Abgelehnt wurden Anträge, sechsmonatige Saisonbewilligungen ohne Familiennachzug wieder einzuführen, das so genannte Saisonnier-Statut (auch bekannt als Erdbeerpflücker-Artikel).
Härtere Missbrauchs-Regeln
Durchgehend für eine härtere Gangart stimmte der Nationalrat im Umgang mit renitenten Personen aus dem Ausland. So verdoppelte er die Vorbereitungs-Haft, welche Zeit für die Organisation der Ausweisung schaffen soll, auf sechs Monate.
Die Ausländerbehörden haben bei ihren Ermessensentscheiden die öffentlichen Interessen, die persönlichen Verhältnisse und den Integrationsgrad zu berücksichtigen.
Weiter sollen Fluggesellschaften, die Ausländerinnen und Ausländer ohne Identitätspapiere transportieren, mit 5000 Franken pro beförderte Person gebüsst werden. Die Busse wird ausgesetzt, wenn der Flugpassagier ein Asylgesuch eingereicht hat oder ein anerkannter Flüchtling ist.
Gemischte Bilanz
Fast vier Tage brauchte der Nationalrat für die Detailberatung des Ausländergesetzes. Was die Debatten in die Länge zog, war die hohe Anzahl Einzel- und Minderheitsanträge. Allen voran hatte der Freisinnige Migrations-Spezialist Philipp Müller viele Korrekturen verlangt.
Gegenüber swissinfo zog Müller eine «relativ positive» Bilanz seiner Anträge. «Wir werden sehen, was der Ständerat daraus macht.» Trotzdem ist das Gesetz in der nationalrätlichen Version für ihn nicht befriedigend. «Das Gesetz hätte beim Volk und bei den Kantonen keine Chance.»
Aus diesem Grund hat sich praktisch die gesamte FDP-Fraktion der Stimme enthalten.
In der Mehrzahl blieb der Nationalrat auf der Linie seiner Kommission. Justizminister Christoph Blocher zeigte sich mit der Debatte zufriedener. Nicht durchgekommen sind die Linke, die mehr erlauben und die Rechte, die mehr verbieten wollte.
Zufrieden ist denn auch nur die CVP. Sowohl die Sozialdemokraten wie auch die Schweizerische Volkspartei übten Kritik am neuen Gesetz. «Es hat auch positive Punkte darin», betonte SVP-Fraktionssprecher Hermann Weyeneth. «Aber im Bezug auf diese Integrationsförderung durch den Bund sind wir weit von unseren Zielsetzungen entfernt.»
Und auch die Migrations-Spezialistin Ruth-Gaby Vermot lässt ihren Unmut spüren. «Die SP ist gar nicht zufrieden.» Zu viele Verschärfungen seien in das Gesetz aufgenommen worden. «Es geht davon aus, das jede Ausländerin und jeder Ausländer Missbrauch betreibt. Das kann es ja wohl nicht sein.»
Blocher will weiter korrigieren
Doch noch ist nichts festgeschrieben. Das Geschäft geht nun in die Kleine Kammer, den Ständerat. Auf dessen vorberatende Kommission kommt nun wohl einiges an Arbeit zu.
Nicht zuletzt, weil Justizminister Blocher beispielsweise zu den Bereichen vorläufige Aufnahme und Zwangsmassnahmen erklärte: «Wir werden uns erlauben, bei der zweiten Lesung in der ständerätlichen Kommission neue Vorschläge einzubringen.»
Der Ständerat als Zweitrat solle das Ausländergesetz verschärfen. Blocher will nach eigenen Aussagen eine unbefristete Ausschaffungshaft einbringen, und die Bedingungen für Menschen, die ohne Papiere eingereist sind, erschweren.
Bereits in der Sondersession im Mai hatte der Nationalrat die Asylgesetz-Revision über die Bühne gebracht. Allgemein wird das Gesetz verschärft, eine Ausnahme gibt es im humanitären Bereich mit einer Lockerung der bisherigen Regelung. Auch mit dieser Vorlage wird sich der Ständerat noch befassen müssen.
swissinfo, Christian Raaflaub
Ständige ausländische Wohnbevölkerung am 31.12.2003 in der Schweiz:
1’471’033 (Ende April 2004: 1’483’756)
830’486 aus EU-/EFTA-Staaten, davon 211’652 in der Schweiz geboren.
640’547 aus Nicht-EU-/EFTA-Staaten, davon 134’568 in der Schweiz geboren.
64’652 Asylsuchende, davon 24’467 vorläufig Aufgenommene.
Das Ausländergesetz (AuG) ersetzt das «Gesetz über den Aufenthalt und die Niederlassung von Ausländern» (ANAG) von 1931.
Es soll in erster Linie die Einreise und den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern aus Nicht-EU-/EFTA-Ländern regeln.
Es besteht aus 3 Teilen:
– Zulassungssystem
– Integrationspolitik
– Missbrauchs-Regelung.
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