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Ausstellung ehrt Schweizer Judenretter Carl Lutz

Johanna Naumann vor dem Porträt von Edip Pilku, Sohn jener Familie, von der sie und ihre Eltern gerettet wurden. swissinfo.ch

Im Rahmen der internationalen Gedenkfeiern für die Opfer des Holocaust dokumentiert eine Ausstellung bei der UNO in New York Geschichten über Menschen, die mit selbstlosem persönlichem Einsatz Juden retteten.

«The Holocaust: Stories of Rescue» ist in zwei Teile gegliedert, einer porträtiert albanische Muslime, der zweite dokumentiert die Aktionen des Schweizer Vize-Konsuls Carl Lutz, der in Ungarn Zehntausende von Juden gerettet hatte.

«Nein, von Carl Lutz habe ich bisher nie gehört», sagt ein Besucher gegenüber swissinfo.

«Dies wirft ein etwas anderes Licht auf die Schweiz, als das der habgierigen Banker», sagt er unter Hinweis auf die Debatte um die nachrichtenlosen Vermögen.

Aber, fügt er hinzu, er hätte die Schweiz, die Schweizer auch damals nicht in Bausch und Bogen verurteilen wollen.

«Regierungen, aber auch Unternehmen und Individuen verhalten sich unter Kriegsbedingungen anders als in Friedenszeiten. Ich weiss nicht, ob ich den Mut hätte, in solchen Situationen mein Leben zu riskieren, um Fremden gegen den Willen der Regierung zu helfen.»

«Gerechter unter den Völkern»

Die Ausstellung dokumentiert die Zeit von Carl Lutz als Schweizer Vize-Konsul in Budapest von 1942 bis 1945.

Lutz hatte in Ungarn ohne offizielle Unterstützung aus Bern und unter Gefahr für sein eigenes Leben rund 60’000 Juden vor der Deportation in die Vernichtungslager gerettet.

Lutz war 1964 der erste Schweizer, der von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem mit der Auszeichnung «Gerechte unter den Völkern» geehrt wurde.

Erst spät, in den 1990er-Jahren, wurde Lutz in der Schweiz selbst von höchster Stelle öffentlich Anerkennung für sein humanitäres Engagement zuteil.

Nach dem Krieg war er zunächst dafür gerügt worden, er habe seine Kompetenzen überschritten. 1948 hatte er eine Auszeichnung mit der Freiheits-Medaille der USA ablehnen müssen, wegen «konsularischer Regeln», wie er in einem Brief nach Washington schrieb.

Erstmals gewürdigt wurde Lutz vor dem Schweizer Parlament 1958 vom damaligen Bundesrat Feldmann. Danach geriet er in Vergessenheit, bis in die 1990-er Jahre, als in Budapest seines Engagements gedacht wurde.

Schweizer Schutzpässe

Lutz, der Anfang 1942 sein Amt in der Schweizer Gesandtschaft in Budapest antrat, vertrat dort die Interessen von rund einem Dutzend Staaten, darunter die USA und Grossbritannien.

Als die Nazis im März 1944 Ungarn besetzten, begann auch dort die Deportation der jüdischen Bevölkerung in die Vernichtungslager.

«Die Panik wuchs mit jedem Tag, mit jeder Stunde. Jeden Tag war unsere Schutzmachtabteilung von ungeheuren Menschenmassen belagert», schrieb Lutz 1961 in der Neuen Zürcher Zeitung.

Lutz gelang es, durch die Ausstellung von Schweizer Schutzbriefen und dem Eintrag der Namen in Kollektivpässe, Zehntausende Juden vor dem Zugriff der Nazi-Schergen zu schützen.

Manchmal mehr als 1000 Leute wurden auf einem Pass eingetragen. Wer in einem dieser Pässe eingetragen war, stand unter Schutz der Schweizer Gesandtschaft.

Mit einem Trick vervielfachte Lutz die Zahl der Menschen, die gerettet werden konnten. Er hatte von den ungarischen und deutschen Behörden die Zustimmung zu rund 5000 Schutzbriefen. Er interpretierte dies so, dass ein Brief für ganze Familien galt, nicht für Einzelpersonen.

Dank diesen Schutzbriefen konnten Lutz und seine Helfer – darunter seine Frau, jüdische Widerstandskämpfer, andere Gesandtschaften, das IKRK und der päpstliche Nuntius – zumindest einen Teil der ungarischen Juden vor den Vernichtungslagern retten.

Albaniens Muslime

Der zweite Teil der Ausstellung porträtiert Albaner – oder deren Nachkommen -, die Juden halfen, der Vernichtungsmaschinerie zu entkommen. Sie wurden wie Lutz von Yad Vashem als «Gerechte unter den Völkern» geehrt.

Dass die grösstenteils muslimische Bevölkerung Albaniens sehr viel tat, um ihre jüdischen Mitbewohner und jüdischen Flüchtlinge aus dem übrigen Europa vor den Nazis zu retten, ist kaum bekannt. Das kommunistische Regime hatte dies während fast 50 Jahren unter Verschluss gehalten.

Nach fast 50 Jahren wieder Kontakt

«Ich bin so froh, dass die Welt endlich von diesem mutigen Volk hört, den Albanern. Endlich wird anerkannt, welch ausserordentliche Menschlichkeit diese Leute in der dunkelsten Zeit der Geschichte bewiesen,» sagt Johanna Naumann gegenüber swissinfo.

Mit ihrer Mutter und ihrem Vater hatte sie acht Jahre lang in Albanien Unterschlupf gefunden, bevor sie über Italien in die USA gelangte, wo sie noch heute lebt.

«Dank einer meiner Freundinnen in Europa habe ich 1991 die Familie in Albanien wieder gefunden. Dies ist der Sohn», sagt Johanna Naumann, und zeigt auf eines der Porträts.

Eine einzige jüdische Familie in Albanien sei Opfer der Nazis geworden, hiess es in New York. Bei Kriegsende lebten rund 1800 Juden in Albanien, zu Beginn waren es etwa 200 gewesen.

swissinfo, Rita Emch, New York

Die Ausstellung wurde organisiert von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und der Budapester Carl-Lutz-Stiftung in Zusammenarbeit mit den Permanenten UNO-Missionen Albaniens, Ungarns und der Schweiz.
Die Ausstellung in der Besucher-Lobby des UNO-Hauptsitzes in New York dauert bis zum 2. März.
Die Ausstellung stiess auf reges Interesse. Weit mehr als 100 Personen kamen an die Eröffnungsfeier.
Der Vertreter von UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon, der Japaner Kiyo Akasaka, ehrte die Retter bei der Eröffnung der Ausstellung als Leute, die die Würde des Menschen über alle anderen Regeln gestellt hätten.
Der internationale Tag zum Gedenken an die Opfer des Holocaust am 27. Januar wurde von der UNO vor drei Jahren ausgerufen. Am 27.1. 1945 waren die Überlebenden des KZ Auschwitz von sowjetischen Truppen befreit worden.

Jener Teil der Ausstellung, der den albanischen Rettern gewidmet ist, trägt den Titel: «BESA, ein Ehrenkodex – Muslimische Albaner, die während des Holocaust Juden retteten.»

Die Hilfe der albanischen Muslime für die Juden basierte auf den Prinzipien eines Ehrenkodex, genannt «Besa» (Versprechen einhalten). Der Kodex spielt neben dem Kanun in Albanien als ethische Referenz noch heute eine wichtige Rolle.

Jemand, der sich nach den Vorgaben des Kodexes verhält, ist jemand, der sein Wort hält, jemand, dem man sein Leben und das Leben seiner Familie anvertrauen kann, wie es in einer Begleitschrift zur Ausstellung heisst.

Die Bilder hat der Fotograf Norman Gershman gemacht. Er hatte sich während Jahren in Albanien auf die Suche nach Rettern oder deren Nachkommen gemacht, nachdem er erste Berichte darüber gehört hatte.

Zu jedem Porträt gehören Aussagen der Retter oder ihrer Nachfahren darüber, was sie zu ihrem Tun veranlasst hat.

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